Duisburg. Mehr als sieben Jahre nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg beginnt vor dem Landgericht Duisburg am Freitag der Strafprozess.
Siebeneinhalb Jahre nach der Duisburger Loveparade beginnt der Strafprozess, der die Ereignisse des 24. Juli 2010 aufarbeiten soll. Das Verfahren ist eines der größten der Nachkriegsgeschichte. Gegen wen wird hier eigentlich verhandelt und welche Strafen drohen? Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Was war am 24. Juli 2010 geschehen?
Auch interessant
Am Eingang zum Veranstaltungsgelände am alten Güterbahnhof kam es am Nachmittag zu einer Massenpanik. 21 Menschen kamen zu Tode, mehr als 600 wurden verletzt oder traumatisiert. Auf der Rampe (siehe Grafik), die zeitweise der einzige Ab- und Zugang zum Gelände war, hatten sich die Menschenmassen gedrängt. Die Masse an Besuchern hatte auch Polizeiketten durchbrochen, die den Zugang zum Gelände begrenzen sollten.
Wer sitzt auf der Anklagebank?
Angeklagt sind vor allem jene Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Loveparade-Veranstalters Lopavent, die für Planung und Genehmigung zuständig waren. Der ehemalige Bau-Dezernent Jürgen Dressler (70) muss sich gemeinsam mit der 51-jährigen Leiterin des Bauamts, einem 58-jährigen Abteilungsleiter, einem 55-jährigen Sachgebietsleiter und zwei Sachbearbeitern (55 und 63) verantworten. Von Lopavent sind der Produktionsleiter (40), der Technische Leiter (65), der 58-jährige Sicherheits-Verantwortliche und der 46-jährige Gesamtleiter angeklagt. Sie werden von insgesamt 30 Verteidigern vertreten.
Nicht beschuldigt sind zwei Männer, die viele Betroffene für verantwortlich halten: Duisburgs später abgewählter Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) und Lopavent-Chef Rainer Schaller, vor allem bekannt als Chef der Fitness-Kette McFit. Laut Staatsanwaltschaft Duisburg liegen gegen beide keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die rechtswidrige Genehmigung genommen haben. Auch der Polizei wurden schwere Vorwürfe gemacht, sie habe nicht richtig reagiert. Auf die Anklagebank muss aus ihren Reihen aber niemand.
Wie lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft?
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten unter anderem fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor. Durch ihr „fehlerhaftes und pflichtwidriges Verhalten“ sowie „schwerwiegende Planungsfehler“, so heißt es in der Anklage, seien bei der Loveparade 21 Menschen getötet und mindestens 652 verletzt worden.
Welche Strafen drohen den Angeklagten?
Laut Paragraph 222 des Strafgesetzbuches kann fahrlässige Tötung mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden. Fahrlässige Körperverletzung (Paragraph 229 StGB) wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Im Falle einer Verurteilung droht den Angeklagten also Haft oder eine Geldstrafe. Bei einem Strafprozess muss den Angeklagten immer die individuelle Schuld nachgewiesen werden.
Wer sind die Nebenkläger?
Hinterbliebene und Überlebende werden als Nebenkläger dem Prozess beiwohnen. Etwa 60 haben sich dafür entschieden, mancher sprang inzwischen auch wieder ab: Je näher der Prozess rückte, desto belastender wurde für einige Trauernde und Traumatisierte die Erinnerung; einige trauen sich ihre Anwesenheit im Gerichtssaal nun doch nicht mehr zu. Aber selbst, wenn sie als Nebenkläger auftreten – was vor allem Familien der bei der Loveparade umgekommen jungen Menschen tun – niemand muss persönlich am Prozess teilnehmen. 35 Rechtsanwälte als Vertreter der Nebenkläger sind an jedem Tag im Saal. Von den Richtern aus gesehen, sitzen die Nebenkläger übrigens rechts – auf mehr als hundert Stühlen in neun langen Reihen bis hinten an die Wand. In der Ecke wird auch Moritz hocken. Er ist der Therapiehund eines Überlebenden.
Wieso gibt es eigentlich zwei Loveparade-Gutachten?
Das Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still, auf das sich die Duisburger Staatsanwälte bei ihrer Anklage stützten, ist umstritten. Das Landgericht attestierte ihm „gravierende inhaltliche und methodische Mängel“. 2016 beauftragte die Staatsanwaltschaft deshalb den Wuppertaler Sicherheitsexperten Prof. Jürgen Gerlach mit einem neuen Gutachten. Zu Prozessbeginn liegt davon erst die Hälfte vor, 2000 Seiten. Sie beschäftigen sich – ebenso wie das Verfahren – mit Planung und Genehmigung der Loveparade. Was am Veranstaltungstag selbst geschah, wird erst im zweiten Teil behandelt, der im Februar erwartet wird. Gerlach nimmt am Prozess teil, Still wird nur an einigen Tagen geladen.
Wer leitet die Verhandlung?
Mario Plein sitzt dem Gericht, der 6. Großen Strafkammer am Landgericht Duisburg, vor. Der 46-Jährige aus Mülheim hat in Düsseldorf studiert, ist seit 1999 Richter, seit 2002 am Landgericht Duisburg. Seit vier Jahren leitet er eine große Strafkammer, bearbeitet regelmäßig auch Schwurgerichtssachen. Unter anderem verurteilte seine Kammer 2014 den ehemaligen Satudarah Chef Yildiray K. (Ali Osman) zu sechseinhalb Jahren Haft.
Plein, der sich allein für die Hauptakte durch 117 Bände mit mehr als 53.000 Seiten arbeiten muss, wird unterstützt von zwei Beisitzern und zwei Schöffen. Zusätzlich stehen drei Ergänzungs- und fünf Laienrichter als Ersatz bereit. Mehrfach waren zuletzt Schöffen ausgetauscht worden, wegen Befangenheit oder gesundheitlicher Probleme.
Wie lange dauert der Prozess?
Bis zum 27. Juli 2020 muss ein erstinstanzliches Urteil gefallen sein. Andernfalls verjähren die Vorwürfe. Wenn der Prozess bis dahin nicht abgeschlossen ist, wird das Verfahren eingestellt. Das Gericht drückt deshalb aufs Tempo: 111 Verhandlungstage – bis zu drei in der Woche – hat die Strafkammer bis Weihnachten 2018 bereits terminiert. Pausen für Urlaube müssen dabei eingehalten werden.
Dass die Zeit nun eng wird, liegt an der späten Entscheidung, den Prozess stattfinden zu lassen. Fast vier Jahre hatte die Staatsanwaltschaft ermittelt, 2014 endlich Anklage erhoben. Nach zweijähriger Prüfung lehnte das Landgericht Duisburg die Eröffnung eines Verfahrens zunächst ab. Nach Beschwerden von Seiten der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf erst im April dieses Jahres, dass es doch zur Verhandlung kommt.
Wo findet der Prozess statt?
Der größte Saal des Duisburger Landgerichts ist noch nicht groß genug für diesen Prozess, der wegen seiner vielen Beteiligten der größte ist in der deutschen Nachkriegszeit. Am geballten öffentlichen Interesse wäre eine Verhandlung in Duisburg nicht gescheitert. So aber wird eigens das Congress Center Düsseldorf Ost angemietet. Auf diesem Gelände der Messe finden sonst Hauptversammlungen statt.
Der Saal im CCD Ost mit seinen 754 Quadratmetern bietet Platz für 500 Prozessbeteiligte und Zuhörer sowie moderne Sitzungstechnik, kostet aber auch 14.000 Euro – am Tag. Dafür bekommt der Trakt für die Sitzungstage einen neuen Namen: Landgericht Duisburg, Außenstelle Messe Düsseldorf. (afi/mawo)