Revierleiter Werner Tenter muss im Zoo das Giraffenbaby per Hand aufziehen. Die Mutter hatte den Nachwuchs, der am 3. Oktober geboren wurde, einfach ignoriert.
Die Junggiraffe klappt die Ohre auf Seitenlage, blickt konzentriert in die Menge der Fotografen und schreibenden Zunft. Der junge Herr will nicht so recht an der Milchflasche nuckeln, die ihm Revierleiter Werner Tenter reicht. Die vielen Beobachter scheinen den jüngsten Nachwuchs im Giraffenstall zu irritieren.
Dabei hätte alles so einfach sein können, wenn Mutter „Malindi” den Nachwuchs nicht einfach ignoriert hätte. Bei der Geburt lief alles nach Plan. Dass der Giraffenjüngling aus etwa zwei Metern Höhe auf den Boden plumpst, gehört zum normalen Geburtsvorgang bei den extremen Größenverhältnissen in den Familienkreisen. Doch dann war's auch schon vorbei mit der Mutterrolle.
Dabei hatte sich Malindi bei der Geburt von Linda im Februar 2008 als vorbildliche Mutter erwiesen. Doch diesmal interessierten sich ausschließlich Vater Kiringo, Schwester Linda und Halbbruder Kimoni für den kleinen Kerl.
Also war Werner Tenter gefragt. Der 54-Jährige beobachtete drei Tage lang, ob es den Nachwuchs vielleicht doch zum Euter treiben würde. Doch das mütterliche Desinteresse schien sich auf ihren Sprössling übertragen zu haben. Es tat sich nichts in Sachen Milchversorgung.
Werner Tenter musste die Rolle des Milchmanns übernehmen. „Ich habe mitunter fast zwei Stunden vor der Giraffe gestanden, um ihr die Flasche zu reichen.” Da kann der Arm schon mal schwer werden. Denn das Giraffenbaby überragt mit seinen 185 cm die Ersatzmutter um 12 cm. Schießlich klappte es doch, der junge Herr nuckelte an der Flasche, nach 30 Sekunden hatte er die von Lämmern abgezapfte 1 Liter Ersatzmilch aus der Plastikflasche gesaugt.
Sechs Mahlzeiten pro Tag gibt's. Nicht immer hat das Pflegekind gleich die Flasche im Maul. Doch Werner Tenter bleibt geduldig: „Mal lutscht er an meiner Nase oder stupst an meinem Bart.” Manchmal erweist sich auch Kimoni als Störenfried, wenn er während der Mahlzeit am Hosenbein knabbert.
Von sechs bis 22 Uhr ist der 54-Jährige für den jungen Giraffenmann im Einsatz. Freie Tage gibt's erstmal nicht. Werner Tenter genießt seine neue Rolle. Seit elf Jahren betreut er die Giraffen, zum erstenmal zieht er ein Tier mit der Hand auf. Nach 14 Tagen wird's etwas ruhiger werden. Dann kann der Jungbulle schon mal die ersten Versuche unternehmen, an Kohlrabi, Möhren und Äpfeln zu knabbern.