Duisburg. Der MSV Duisburg möchte sich nicht nur gegen Nazis positionieren, sondern aktives Engagement ermöglichen. Die Entwicklung in den Fankurven beobachtet der Sicherheitsbeuaftragte sehr genau. Auch ein Verbot der bei Neonazis beliebten Marke Thor Steinar im Stadion ist für den MSV möglich.
Ein Zwischenfall in der Kurve, ein Betrunkener schreit und provoziert – kaum eine Randnotiz wert bei einem Fußballspiel. Doch in Burghausen, wo der MSV Duisburg am 28. Juli zu Gast war, reagierten die Polizei und der Duisburger Fanbeauftragte sofort und verwiesen ihn der Kurve. Der Mann hatte lautstark erklärt, er sei ein Nazi. Was man denn gegen ihn tun wolle, blaffte er einer Ultra-Gruppe entgegen, die sich in der Vergangenheit antirassistisch positioniert hatte. Mit dieser Frage beschäftigt sich auch der Verein.
„Unter den Zuschauern gibt es mit Sicherheit einen Prozentsatz von Menschen, die rechtes Gedankengut in sich tragen“, sagt Martin Haltermann über die Situation in den Stadien, auch in Duisburg. „Solange sie das nicht durch Kleidung oder Äußerungen nach außen tragen und wir sie somit nicht erkennen, müssen wir das hinnehmen, dass solche Leute da sind.“ Der Pressesprecher des MSV sieht zwar keine konkrete Bedrohungssituation durch Rechte in den Kurven und auf den Tribünen, doch räumt er ein: „Wir sagen nicht, dass es gar keine Probleme mit Rechten gibt.“
Rechte Parolen beim Auswärtsspiel in Halle waren Tiefpunkt
Das bleibt den Stadionbesuchen auch nicht verborgen. Einer der Tiefpunkte in der jüngsten Vergangenheit waren antisemitische und rassistische Parolen, die vor einem Jahr beim Auswärtsspiel in Halle aus dem Block der mitgereisten Duisburger schallten. MSV-Fans, die sich offen gegen Nazis stellen wurden bedroht, körperlich angegangen. Das setzte sich in der vergangenen Saison bis zum letzten Spieltag fort. Jude, Zigeuner – für die Rechten sind das Schimpfwörter, und man hört sie immer wieder im Stadion.
Hunderte brüllen auch in der Nordkurve „Zick-zack-Zigeunerpack“, wenn sie die gegnerische Mannschaft verunglimpfen wollen. Nachdem er diesen Ruf zum ersten Mal im Stadion gehört habe, seien „keine 24 Stunden vergangen, bis ich geprüft hatte, ob das einen Straftatbestand erfüllt“, erklärt Michael Meier. Es erfüllt ihn nicht, und somit ist der Sicherheitsbeauftrage des MSV Duisburg in diesem Punkt machtlos.
MSV-Fans zeigen sich nicht untereinander an - eine Art Ehrenkodex
Doch Meier betont, dass er immer auf die Kurve schauen würde, um bei rechten Parolen zu handeln. „Ich würde bei jedem, dem ich in dieser Richtung etwas nachweisen kann, von meinen Möglichkeiten Gebrauch machen – bis hin zu bundesweiten Stadionverboten.“ Oft bedürfe es dabei aber auch der Unterstützung der anderen Fans. Nicht wenige machen bei den Heim- und Auswärtsspielen Beobachtungen, einige werden selbst bedroht, doch Anzeigen bei der Polizei würden keine erfolgen, klagt Meier.
Auch nicht nach dem Spiel in Halle, wo die Aktivitäten der rechten Szene so offensichtlich waren wie selten zuvor. „Wenn niemand in der Kurve diese Vorfälle bestätigt, ist es nur schwer zu beweisen. Dazu war, so leid es mir tut, in den letzten Jahren keiner bereit. Welche Chance haben da der Ordnungsdienst oder die Polizei? Gar keine.“ Der Sicherheitsbeauftragte erklärt das damit, dass ein MSV-Fan eben nicht einen anderen MSV-Fan anzeigen würde. Eine Art Ehrenkodex, meint Meier.
Andere MSV-Fans distanzieren sich von Hooligans der "Division Duisburg"
Die Realität in der Kurve sieht anders aus: Die Zahl der Rechten, meist trainierte Männer mit Kampfsporterfahrung, ist gewachsen. Oft treten sie nur in Gruppen auf, werden zum Beispiel den Hooligans der „Division Duisburg“ zugerechnet. Wer einen von ihnen anzeigt, fürchtet die Folgen, wenn er beim nächsten Spiel den anderen aus der Gruppe begegnet. Denn in der Kurve gibt es kaum Anonymität, wenn man seit Jahren auf engstem Raum nebeneinander steht. „Die Angst kann ich leider keinem nehmen“, räumt Michael Meier ein.
Die Rechten und Gewalttätigen scheuen sich auch nicht, bei anderen Gelegenheiten Präsenz zu zeigen. Während des angemeldeten „Fanmarschs“ zum Stadion vor dem ersten Spiel der jungen Drittliga-Saison präsentierte die „Division Duisburg“ ihr Banner in der ersten Reihe. Einige Anhänger der Zebras verzichteten deshalb auf eine Teilnahme, fordern die Fan-Szene auf, sich deutlich von Rechten abzugrenzen.
Arbeitsgruppe gegen Rechts pausierte wegen drohender Insolvenz
Der Verein möchte Strukturen schaffen, die ein solches Engagement unterstützen. „Im Frühjahr hatten wir mit einem Projekt begonnen, das wegen der drohenden Insolvenz pausieren musste: einer Arbeitsgruppe gegen Diskriminierung, gegen Rechts. Wenn hier der Alltag wieder einkehrt, wollen wir das intensivieren“, verspricht Martin Haltermann. Die Marketing- und Merchandise-Abteilungen, die Fanbetreuung und die Pressestelle würden in diesem Punkt zusammenarbeiten. Und es soll mehr sein als eine Positionierung nach außen hin, betont Haltermann.
Ein Banner mit einem Aufruf zu Toleranz und gegenseitigem Respekt ins Stadion zu tragen, beeindruckt in den deutschen Fußballstadien ohnehin längst niemanden mehr. Der MSV möchte aus der Arbeitsgruppe heraus Aktivitäten starten. Doch Haltermann sagt auch: „Wir können uns als Verein nicht auf die Fahne schreiben, 14-, 15- oder 16-Jährige über Politik aufzuklären, das müssen zum Beispiel die Schulen machen.“
MSV denkt auch über Verbot von Thor Steinar-Kleidung nach
Eine Möglichkeit, die Rechten auf den Tribünen in ihrem aggressiven Auftreten zumindest einzuschränken, hätte der Verein schon durch einen kleinen Zusatz in der Stadionordnung. Kleidungsstücke des Herstellers Thor Steinar sind in einigen Stadien der Republik bereits verboten, denn die Marke spielt mit Codes der Szene, richtet sich bewusst an Rechte und verhilft ihnen zu einem uniformen Auftreten. „Wir überlegen in der Tat, das explizit mit in die Stadionordnung aufzunehmen“, sagt Pressesprecher Martin Haltermann. „Ob wir auch die Leute durch so ein Verbot aus dem Stadion kriegen, wage ich zu bezweifeln. Allen muss klar sein, dass sie was anderes finden werden.“ Doch bis dahin können sie ihre Gesinnung zumindest nicht durch ihre T-Shirts zur Schau stellen.
Sollte der Verein sich zu einem Verbot entschließen, müsse der Ordnungsdienst in diesem Punkt geschult werden, erklärt Michael Meier. Dass Besucher mit solchen Kleidungsstücken, die sie vielleicht unter Jacken oder Pullovern tragen, ins Stadion gelangen und sie dort zeigen, sei allerdings nie auszuschließen, gibt Martin Haltermann zu bedenken. Darum geht es den meisten Fans auch nicht, die diesen Paragraphen der Stadionordnung bei anderen Vereinen durchgesetzt haben. Sie sehen in einem solchen Beschluss auch ein Symbol, ein Signal an die Rechten.
Wie Werder Bremen das Problem mit rechten Fans in den Griff bekam
Ohne Unterstützung der Vereine, da sind sich viele Fan-Vertreter einig, könne sich keine Gruppierung für eine Ausgrenzung von Neonazis in den Kurven engagieren. Ein positives Beispiel, wie das geschehen kann, ist in Bremen zu finden. 2007 wurde dort eine Veranstaltung von Werder-Ultras überfallen, rechtsextreme Schläger stürmten den Ostkurvensaal. Die für ihre antirassistische Einstellung bekannte Gruppe „Racaille Verte“ wurde zuvor schon von Neonazis bedroht und musste sich entscheiden, ob sie ihre klare Position aufgibt. „Der Überfall ist der Knackpunkt, danach mussten wir gucken, wie wir mit dieser Bedrohung umgehen wollen.
Die Diskussion damals war auch von Angst geprägt“, erklärt ein Werder Ultra, der seit zehn Jahren in der Szene ist, im Gespräch mit DerWesten. „Der Verein wollte zunächst einen Runden Tisch, der Fanbeauftragte zu der Zeit sagte sogar auf Presseanfrage, dass es sich bei den Vorfällen um innerpolitische Auseinandersetzungen der Kurve handeln würde. Dabei sei es um es um Fanpolitik gegangen.“ Doch nachdem sich die Verantwortlichen auf Seiten des Vereins informiert hatten, wollten sie schließlich doch keinen Runden Tisch anbieten. Sie erkannten das Problem in der eigenen Kurve.
Werder Bremen hat Vorreiterrolle im Kampf gegen Neonazis in Stadien
Die Ultras von „Racaille Verte“ hatten sich auch entschieden, sie wollten den Rechten nicht das Feld überlassen. Deshalb gründeten sie über das Fanprojekt eine Antidiskriminierungs-AG. „Darüber konnte zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden und wir als Gruppe waren erst mal aus der Schusslinie“, erklärt der Bremer Ultra. Heute haben Aktionen der Antidiskriminierungs-AG Vorbildcharakter für die Fanszenen in ganz Deutschland; Materialien, die hier erstellt werden, finden weite Verbreitung. „Uns war damals klar, dass wir nicht aufhören dürfen, nur weil ein paar Leute zusammengeschlagen wurden. Aber der wichtigste Punkt war doch die Sicherheit der Einzelpersonen“, erzählt der Werder-Ultra, der deshalb auch seinen Namen nicht in den Medien lesen möchte. „Man darf nicht alleine bleiben und muss aus der Opferrolle heraustreten, sich Freunde und Gleichgesinnte suchen, die mitmachen.“
Werder Bremen hat das Engagement der Fans und deren Ideen aufgenommen. Im Stadion gibt es zum Beispiel eine Gruppe von Ordnern, die speziell ausgebildet wurde und sensibilisiert ist. „Die sind auch auswärts ansprechbar und setzen sich aktiv mit der Problematik auseinander. Wenn Neonazis im Stadion auftauchen und sich unauffällig verhalten, stellen sich diese Ordner trotzdem daneben, um ein Zeichen zu setzen. Die Rechten wissen dann: Wenn sie etwas anstellen, fliegen sie sofort raus.“
Durch solche Maßnahmen hat Werder Bremen eine Vorreiterfunktion im Kampf gegen Neonazis in Fußballstadien eingenommen. Ein aktuelles Beispiel ist, dass der Verein zu den Erstunterzeichnern der „Berliner Erklärung“ gehört, die sich gegen Homophobie im Sport richtet. Dennoch warnt auch der Werder-Ultra: „Es wird immer eine Grauzone geben, das kann man bei 40.000 Leuten im Stadion nicht verhindern, das kommt einfach aus der Gesellschaft.“
Warum Aachener Ultras vor den Neonazis kapituliert haben
Wie weit rechte Strukturen in ein Stadion wirken können, zeigt das Beispiel Alemannia Aachen. Hier gab eine ganze Ultra-Gruppe nach einer langen Auseinandersetzung mit Neonazis und Hooligans auf: Im Januar 2013 nach einem Pokalspiel bei Viktoria Köln erklärten die „Aachen Ultras“ (ACU), die Spiele ihres Vereins nicht mehr besuchen zu wollen. „Wir hatten überlegt, welche Perspektive wir noch bei Alemannia haben“, erklärt ein Mitglied der Gruppe gegenüber DerWesten, der Name soll aus Furcht vor Reaktionen aus dem rechten Spektrum ungenannt bleiben. „Wir hatten keine großen Forderungen, sondern wollten einfach, dass der gesellschaftliche Konsens in Bezug zum Beispiel auf Rassismus auch im Stadion umgesetzt wird. Aber das ist nicht geschehen.“
Die ACU leistete Bildungsarbeit in Aachen, lud zu Vorträgen, Lesungen und Infoveranstaltungen ein. Immer wieder wurde die Gefahr von rechts dabei thematisiert. Den Neonazis in Aachen und dem Umland war die Gruppe deshalb ein Dorn im Auge. Im Dezember 2011 erfolgte der erste Übergriff auf die Aachen Ultras – im Stadion der Alemannia. Es folgten weitere, zum Beispiel auf einem Rastplatz bei Pforzheim: Ein Wagen, in dem auch zwei Minderjährige saßen, wurde von Personen aus einer Gruppe der Aachener „Karlsbande Ultras“ heraus angegriffen, schildert das ACU-Mitglied. Nach einem Auswärtsspiel in Saarbrücken wurden sie ebenfalls körperlich angegangen.
Ultras fühlten sich von Alemannia Aachen im Stich gelassen
Lange habe man davor zurückgeschreckt, Anzeigen zu erstatten, räumt das Ultra-Mitglied aus Aachen ein. „Wenn man zur Polizei geht, wird die eigene Adresse bekannt, denn sie wird in die Akte aufgenommen. Dadurch geraten Einzelpersonen in den Fokus. Deshalb dachten viele: Wenn einmal etwas passiert und ich nicht zur Polizei gehe, bleibt es vielleicht bei diesem einen Vorfall. Aber wenn ich zur Polizei gehe und die Neonazis meine Adresse haben, werde ich immer weiter tyrannisiert.“ In Aachen blieb es aber längst nicht bei nur einem Vorfall. Und es wurden mit der Zeit doch Anzeigen erstattet. Verurteilungen folgten, zum Beispiel wegen Zeigens des Hitler-Grußes.
Der Verein allerdings habe weiterhin die Augen vor dem Problem verschlossen, heißt es von Seiten der ACU. „Da ist über Jahre ein rechter Konsens gewachsen. Es reicht nicht, dass die Spieler mit einem Spruchband gegen Gewalt und Extremismus ins Stadion einlaufen, nachdem es mal wieder einen Angriff auf uns gab.
Verein wollte als unpolitisch gelten und sich nicht einmischen
Nachhaltige Arbeit wurde nie betrieben. Der Verein wollte als unpolitisch gelten.“ Die Rechten sollten im Stadion ruhig sein, Menschen, die sich für Antirassismus engagieren, allerdings auch. Wohin das führen kann, zeigte sich jüngst ausgerechnet wieder bei einem Spiel in Köln, diesmal bei Fortuna: Der Verein aus der Domstadt kapitulierte vor dem rechten Anhang aus Aachen und verbot den eigenen Fans, Plakate gegen Rassismus ins Stadion zu bringen – die Aachener sollten nicht provoziert werden.
Beim MSV Duisburg gibt es auch außerhalb des Stadions Probleme
Zurück nach Duisburg. Hier können derzeit beide Entwicklungen beobachtet werden: Die Arbeitsgruppe gegen Diskriminierung von Seiten des Vereins ist ein positives Signal, das Auftreten der Rechten zum Beispiel beim „Fanmarsch“ – auch wenn sie ihre Gesinnung nicht offen zur Schau stellten – sollte jedoch warnen. Denn dadurch droht, dass die Anwesenheit von Neonazis zum Alltag im Stadion gehört, sie leichteren Zugang zur Fanszene finden.
Die Situation für Gruppen, sie sich antirassistisch positionieren, wird dadurch noch schwieriger. Und das auch schon außerhalb des Stadions. „Die Fans sind nicht nur am Spieltag in Duisburg“, sagt der Fanbeauftragte des MSV, Christian Ellmann. „Es gibt wohl auch Scharmützel unter der Woche.“