Duisburg..
„Wer läuft denn morgens um halb zehn mit der Posaune unter dem Arm im Stadtwald herum?“ Die Frage liest man in den Gesichtern mancher Jogger und Hundebesitzer, die am Sonntag von der Neudorfer Kammerstraße her ihre Frührunde drehen.
Die Bläser streben den Hügel zum „Heiligen Brunnen“ empor, um zum letzten evangelischen Waldgottesdienst der Saison zu spielen. Viele von ihnen gehören dem Posaunenchor des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) aus der Innenstadt an. Aber es gibt auch Gastbläser aus den umliegenden Gemeinden, die sich immer am ersten Sonntag im Monat zwischen Himmelfahrt und September ihr Instrument schnappen und einfach mitspielen. „Einen Fall von extremer Treue“, nennt Pfarrer Stefan Blank das.
Taufwasser für die Salvatorkapelle
Knapp 200 Besucher bevölkern auch an diesem Morgen die Bänke unter den hohen Buchen am alten Brunnen, in dessen Bruchsteineinfassung die Jahreszahl 1869 eingeritzt ist. Die meisten sind „Stammgäste“, die sich wohlversorgt mit Decken, Sitzkissen und Liedblättern auf ihrem Lieblingsplatz niederlassen. Aber auch ein paar Jogger traben, vom Klang der Posaunen angezogen, herbei und finden ein Plätzchen in der Freiluftgemeinde.
Wie lange es die Waldgottesdienste schon gibt, weiß keiner so ganz genau. „Hundert Jahre bestimmt schon“, schätzt ein älterer Besucher, „auch mein Vater konnte sich nicht erinnern, wie das angefangen hat.“ In alten Beiträgen zur Duisburger Stadtchronik ist nachzulesen, dass die Bürger der Stadt schon im Mittelalter das Taufwasser für ihre Salvatorkapelle von der Quelle holten, die unterhalb des Brunnens im Wald liegt. Auch heute gibt es hier noch Taufen mit dem Wasser aus der Quelle.
Seit über 60 Jahren kommt Maria Müller aus Buchholz hierher: „Mein Vater Otto Vetter war in den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts Superintendent im Duisburger Kirchenkreis und nahm mich mit, wenn er den Waldgottesdienst hielt. Die besondere Atmosphäre hier hat mir schon als Kind gefallen.“ Heute teilen sich die evangelischen Gemeinden von Neudorf Ost, Neudorf-West, Hochfeld, Wanheimerort und Duissern den Predigtdienst im Freien untereinander.
Predigt im Freien
Pfarrer Blank benutzt die Brunneneinfassung als Kanzel. Nach der Predigt lädt er zum anschließenden Picknick ein, das viele fleißige Helfer vorbereitet haben: „Ich weiß ja nicht, ob Sie auch so kalte Hände haben, aber ich könnte jetzt eine schöne, heiße Tasse Kaffee vertragen.“ Unter dem dichten Blätterdach ist es in der Tat schattig. Man merkt, dass die Freiluftsaison langsam zu Ende geht. Der Posaunenchor spielt zum Schluss den Choral von Paul Gerhard „Geh aus mein Herz und suche Freud“, der mit seinen vielen Strophen über Gottes schöne Natur so etwas wie die heimliche Hymne der Waldgottesdienste ist. Maria Müller ist gerührt, der morgendliche Weg den Hügel hinauf, die Musik, das gemeinsame Singen und Beten im Freien haben auch diesmal ihre Wirkung nicht verfehlt.