Duisburg. Nach einer Kollision von Lkw und Schulbus in Duisburg-Meiderich hatte eine junge Mutter 19 geschockte Kinder aus dem Bus heraus geholt. Um sie herum standen gaffende Menschen, die Handyfotos schießen. Niemand kam auf die Idee, der jungen Frau bei der Rettung der Kinder zu helfen.
Als Melinda Schubert (28) am vergangenen Montag Mittag ihre Wohnung in Meiderich verlässt, um wie immer ihre Tochter aus der Grundschule an der Heinrich-Bongers-Straße abzuholen, da kann sie nicht ahnen, dass das Schicksal sie wenige Sekunden später auf die Probe stellen wird.
Eine Probe, die sie mit mächtig klopfendem Herzen, einer guten Portion menschlichen Instinktes und einer Packung Mut bravourös bestanden hat. Bravo Melinda! Die vielen anderen Menschen in Meiderich, die Melinda Schubert am Montag an der Bürgermeister-Pütz-Straße beim Helfen in der Not mit ihren schicken Smartphones gefilmt und fotografiert haben, dürfen sicher sein: Sie sind arme Kreaturen mit kalten Herzen.
Aus dem Pressebericht der Polizei
Zur Geschichte: Was war passiert? Die NRZ meldete gestern aus einem Pressebericht der Polizei: Bei einem Verkehrsunfall sind am Montagmittag (26. Mai) ein Lastwagenfahrer (48) schwer, ein Busfahrer und acht Kinder leicht verletzt worden. Der Busfahrer (71) war gegen 13.45 Uhr mit seinem Fahrzeug auf der Bürgermeister-Pütz-Straße in Richtung Ruhrort unterwegs. Im Bus waren 19 Kinder, die auf dem Heimweg von ihrer Schule in Dinslaken waren. Der Fahrer des Sattelzuges hatte die Autobahn 59 an der Abfahrt Ruhrort verlassen und wollte an der Einmündung nach links in die Bürgermeister-Pütz-Straße abbiegen. Nach Zeugenangaben soll der Fahrer das Rotlicht übersehen haben und war frontal in die rechte Seite des Busses geprallt. Der Bus kam auf der Gegenfahrbahn zum Stehen.“
Der Bus rollt führerlos weiter
Melinda Schubert hört den Knall zwischen Lkw und dem voll besetztem Schulbus und ist sofort alarmiert: „Ich sehe den Bus mit zerbrochenen Fenstern, sehe wie in dem Bus Kinder über einander fallen und sehe am Fahrersitz einen Busfahrer nach vorne kippen.“ Der Bus rollt führerlos weiter, er droht ungebremst gegen einen Brückenpfeiler zu knallen.
„Ich bekomme eine Riesenangst, doch der Busfahrer berappelt sich und bremst den zerstörten Bus ein paar Meter vor dem Pfeiler ab.“ Sofort rennt die junge Frau, die eigentlich nur ihre Tochter aus der Schule abholen will, zum zerstörten Unglücksbus, aus dem von Weiten schon Geschrei und Gewimmer von Kindern zu hören ist. „An einem zerborstenen Fenster rufe ich zu einem Kind „komm raus, ich helfe dir“. Doch das Kind weint hemmungslos und macht gar nichts.“ Zielstrebig stürmt die junge Frau jetzt zur vorderen Eingangstüre, drückt sie irgendwie halbwegs auf: „Da kommt mir der Busfahrer entgegen, er stürmt aus dem Fahrzeug und ich sehe ihn nicht wieder.“
Beruhigt euch, keine Angst, ich hole euch hier raus, kommt zu mir.
Was jetzt tun? Sie ruft in den Bus hinein: „Beruhigt euch, keine Angst, ich hole euch hier raus, kommt zu mir.“ Und jetzt fassen sich 19 Kinder ein Herz, alle geschockt, einige durch Glas und Schnitte leicht verletzt, streben nach vorne zu der freundlichen jungen Frau, die ihre Arme nach ihnen ausstreckt. „Dann habe ich eines nach dem anderen aus dem Bus gezogen, 18 oder 19 Kinder. Sie haben geschrien und geweint.“
Um den Unglücksbus herum – in sicherem Abstand – hat sich unterdessen eine Blase von gaffenden Menschen gebildet, die interessiert schauen, was passiert. Viele haben gar ihre Handys gezückt und machen gestochen scharfe Erinnerungsfotos. Ihr Gewissen indes meldet sich nicht zu Wort. „Ich habe diese Leute erst gar nicht bemerkt. Ich habe mich allerdings sehr alleine gefühlt, Unterstützung hätte mir gut getan.“ Als dann alle Kinder sicher auf der Straßeninsel stehen und auf Polizei und Feuerwehr und Helikopter warten, stürmt die junge Meidericherin noch mal in den Bus, um zu kontrollieren, ob irgendwo noch ein vergessenes Kind liegt.
„War aber nicht. Ich war überrascht, dass ich keine Anschnallgurte gesehen habe,“ sagt sie. Doch Rückhaltegurte sind in Linienbussen keine Pflicht. „Später kamen dann doch ein Mann und eine Frau zu mir, doch da war alles vorbei. Sie konnten nichts mehr tun.“ Als schließlich die professionellen Helfer heranstürmen, ist Melinda Schubert erst mal entlastet. Sie ruft drei, vier Eltern der verunglückten Kinder an. Ihr eigenes Kind wird inzwischen von einer Bekannten aus der Schule abgeholt.
„Ich finde es furchtbar!“
Später in den Arbeits-Containern unter der Berliner Brücke werden alle Kinder von mehreren Notärzten untersucht. „Die Polizei hatte mich noch gebeten, von den Kindern die Namen und Adressen aufzunehmen. Das habe ich dann zusammen mit einer Frau gemacht.“
Warum niemand der kleinen zierlichen Frau beim Retten der Kinder geholfen hat? Etwa, weil man denken konnte, ach, da hilft ja schon einer, da werde ich nicht mehr gebraucht? „Ich weiß es nicht. Ich finde es aber furchtbar!“ Einen Tag später ist sie immer noch aufgeregt, wenn sie ihre Geschichte erzählt. Sie würde sich sehr aber freuen von „ihren Kindern“ zu hören, ob es ihnen wieder gut geht. Ein Wunsch, der ja leicht zu erfüllen ist.