Duisburg.. Der im vergangenen Herbst – in zwei Stücke geteilt – im Rhein aufgefundene Leichnam konnte bis heute nicht identifiziert werden. Die Ermittler aus Duisburg stehen vor einem Rätsel. Im Gespräch erläuterte Kriminalhauptkommissar Michael Thielkes noch einmal alle Fakten und Hintergrundinfos.
Dieser ungeklärte Todesfall beschäftigt die Kriminalpolizei und die Rechtsmedizin in Duisburg nun seit fast einen Jahr: Aber noch immer konnte jener Leichnam nicht identifiziert werden, der im vergangenen Herbst – in zwei Stücke geteilt – im Rhein aufgefunden wurde.
Die Ermittler stehen vor einem großen Rätsel: „Irgendwo muss es doch Familienangehörige geben, die eine verschollene Person vermissen“, wundert sich auch Michael Thielkes. Der 37-jährige Kriminalhauptkommissar ist zuständiger Sachbearbeiter und kennt alle Details zu diesem mysteriösen Fall. Im Gespräch mit der WAZ legte er noch einmal alle Fakten und Hintergrundinfos vor.
Der Leichenfund
Es ist der 3. Oktober 2011. Ein Angler sitzt im Xantener Stadtteil Obermörmter am Rhein, als er im Wasser einen seltsamen Gegenstand treiben sieht. Bei näherer Betrachtung erkennt er, dass es sich um den Torso eines menschlichen Körpers handelt. Beine, Arme und der Kopf fehlen. Die Polizeibeamten aus dem Kreis Wesel erkennen sofort ein auffälliges Verletzungsbild.
„Alle Gliedmaßen waren glattrandig und symmetrisch abgetrennt“, berichtet Thielkes. Verletzungen, die einem Körper durch Schiffsschrauben zugefügt werden, sehen normalerweise anders aus. Somit kann die Möglichkeit eines Kapitalverbrechens nicht mehr ausgeschlossen werden. Die zuständige Kriminalhauptstelle – das Polizeipräsidium Duisburg – wird alarmiert. Eine zehnköpfige Mordkommission nimmt sofort ihre Arbeit auf.
Die ersten Ermittlungen laufen an
„Wir hatten von Beginn an kaum Ermittlungsansätze“, sagt Thielkes. „Außer dem Auffindungsort und dem Torso, das sofort zur Rechtsmedizin im Klinikum am Kalkweg transportiert wurde, hatten wir nicht viel.“ Es gab keine Zeugen außer dem Angler und keine Nachbarn, die befragt werden konnten. Also begann die Kripo zu überprüfen, welche Vermisstenfälle bekannt sind. Beim Landeskriminalamt in Düsseldorf existiert eine Datei mit einer Auflistung entsprechender Personen.
Eine neue Spur
Drei Tage nach dem Torso-Fund geht eine Frau mit ihrem Hund im Emmericher Yachthafen spazieren und entdeckt am Ufer die nächsten Leichenteile – und zwar den Unterkörper samt Beinen. Die Füße sind abgetrennt. Nach dem Zustand dieses neuerlichen Fundes zu urteilen, trieb die Leiche nur wenige Tage im Wasser. Thielkes und einige Mordkommissions-Mitglieder fahren sofort zum Fundort. „Anhand der Schnittstellen war schnell klar, dass dieser Teil zu unserem Torso gehört.“ Kopf, Arme und Füße bleiben unauffindbar. Bis heute.
Die Suche beginnt
Da die Identität des männlichen Toten nach wie vor ungeklärt ist, wendet sich die Polizei an die Öffentlichkeit. Erste Untersuchungen der Leichenreste ergeben folgende Eckdaten zur Person: 20-60 Jahre alt, etwa 1,88 m groß (+/-4 cm), dunkle Brust- und Schambehaarung, am Glied wurde eine religiös motivierte Beschneidung vorgenommen, mittel- bis südeuropäischer Hauttyp. Trotz mehrfacher Veröffentlichungen in der Presse ist der Rücklauf an brauchbaren Hinweisen laut Thielkes in den Wochen danach gleich Null. Die Mitarbeiter der Rechtsmedizin setzen ihre Analysen fort.
Die Mediziner-Sicht
Dr. Lars Althaus ist nun schon seit 2004 der Leiter der Duisburger Rechtsmedizin, die im Klinikum am Kalkweg angesiedelt ist. 500 Obduktionen werden dort pro Jahr vorgenommen, bei rund 20 handelt es sich um Tötungsdelikte. „Aber dies ist der mit Abstand aufwändigste Fall in meiner Laufbahn“, sagt der 44-Jährige rückblickend.
Rund ein Dutzend Untersuchungen haben er, seine Kollegen Dr. Matthias Schubries und Dr. Dr. Claus Grundmann sowie zahlreiche weitere Experten aus dem In- und Ausland in den vergangenen Monaten inzwischen vorgenommen. Das Problem: „Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass der Mann ertrunken ist. Manches spricht aber auch dafür, dass er bereits tot war und ins Wasser geworfen wurde“, sagt Dr. Althaus. Opfer eines Badeunfalls oder einer Straftat? Für Althaus sind beide Theorien anhand von Indizien belegbar.
Die Untersuchungen liefern wenig Ergebnisse
Der obligatorische Abgleich von polizeilich erfassten Fingerabdrücken oder dem von Zahnärzten erhobenen Gebiss-Status entfiel hier, weil die entsprechenden Körperteile fehlten. Deshalb mussten andere Tests her: Die DNA wurde bestimmt und mit den Daten in der Zentralstelle für Langzeitvermisste abgeglichen – ohne Treffer. Eine feingewebliche Untersuchung sollte Aufschluss darüber bringen, ob schwere Vorerkrankungen wie ein Herzinfarkt oder eine Leberentzündung vorlagen. Ebenfalls negativ!
Per virologischer Analyse wurde eine HIV-Erkrankung ausgeschlossen. Eine Giftstoffuntersuchung ergab, dass beim Tote weder Drogen- noch Alkohol oder Medikamentensucht vorlag. Ein auf Ertränkungstode spezialisierter Experte aus Frankreich nahm die „Kieselalgen-Untersuchung“ vor, bei der kleinste Ablagerungen in der Lunge überprüft werden. Anhand einer Isotopen-Untersuchung (kleinste Teilchen, die jeder Mensch über Luft, Nahrung, Trinkwasser aufnimmt) konnte zumindest eingeengt werden, dass sich der Unbekannte in den letzten Monaten seines Lebens in Deutschland aufgehalten hat.
Hilfe von Fachleuten
Die Polizei setzte sich währenddessen sogar mit Konstrukteuren von Schiffsschrauben zusammen, um an noch genauere Erkenntnisse zu deren Wirkungsgrad zu kommen. Doch auch das lieferte nicht die erhofften 100-prozentigen Aufschlüsse zum Entstehen der Schnittwunden am Torso. Die Mordkommission wurde dann aufgelöst. Heute kümmert sich Michael Thielkes als Sachbearbeiter allein um den Fall.
Der Ausblick
Ist dieser Fall noch aufzuklären? „Bei einer Identifizierung des Toten schaffen wir es“, sagt Thielkes. Ist eine Identifizierung ein Jahr nach der Tat möglich? „Wenn wir den passenden Hinweis erhalten, dann zu 100 Prozent.“ Dr. Dr. Claus Grundmann nickt zustimmend. „In 2008 hatten wir einen Fall, den wir nach 30 Jahren aufklären konnten.“
Und was denkt Rechtsmedizin-Leiter Dr. Althaus? „Wir haben alles Erdenkliche und medizinisch Mögliche getan. Es bedarf jetzt eines Impulses von außen oder der Mithilfe von Kommissar Zufall, damit wir weiterkommen.“ Dass dieser mysteriöse Fall seine Aufklärung erfährt, hofft auch Dr. Schubries: „Es nervt und ist unbefriedigend, wenn die ganze Arbeit ins Leere laufen würde.“ Vielleicht kommt der entscheidende Hinweis von einem TV-Zuschauer: Der Fall wird im Oktober bei „Aktenzeichen XY“ vorgestellt.