Duisburg-Obermeiderich. Die Evangelische Gemeinde Obermeiderich betet zusammen, ohne gemeinsam in der Kirche zu sein. So nehmen alle an der Sonntagspredigt teil.
Die Glocken läuten. Pastorin Sarah Süselbeck zündet eine Kerze auf dem Abendmahltisch an und spricht ein Gebet vor leeren Bänken: ,,Gott, wir beten in deinem Namen, an verschiedenen Orten, verbunden durch deinen Geist. Die Welt f̈ühlt sich so komisch an, alles scheint aus den Fugen zu geraten, und wir wissen nicht, was wird morgen sein.’’
Stille. Die Kerze brennt. Obwohl niemand sonst in der Kirche ist, ist die Gemeinde im Geiste verbunden – so wie in Süselbecks Gebet. Es ist das Gebet vieler Obermeidericher: Die Gemeindeglieder haben zeitgleich zu Hause dasselbe Gebet gesprochen. Nach dem Gebet schließt die Pastorin das Vaterunser an. Sie verweilt noch eine Moment in der Kirche – und geht.
Ihre Schritte hallen durch die Kirche. So einen Gottesdienst hat sie noch nie abgehalten. Doch die Coronakrise zwinge derzeit einfach alle zum Umdenken, wie sie erklärt: ,,Die Kirche ist geschlossen, wir können uns nicht mehr hier treffen. Doch die Verbindung zwischen uns wollen wir trotzdem aufrecht erhalten’’, sagt sie. Der Zeitpunkt für solche Maßnahmen hätte nicht schlechter sein können: Süselbeck ist erst seit Anfang März Pfarrerin in der Gemeinde. Viel Zeit, die Gläubigen in Obermeiderich kennenzulernen hatte sie daher nicht. Auch ihre offizielle Einführung Anfang April wird ausfallen.
Die Sonntagspredigt können Gläubige im Internet als Video sehen
Jeden Tag will sie jetzt um Punkt 19 Uhr eine Kerze in der Kirche anzünden und ein Gebet sprechen. Um welches Gebet es sich handelt, erfahren die Gemeindeglieder auf der Homepage der Gemeinde. ,,Wir glauben fest daran, dass wir so miteinander verbunden sind, ein schönes Gefühl zu wissen, dass viele mit beten’’, sagt sie. Die Sonntagspredigt finden die Gläubigen als Video im Internet. ,,Wir nehmen das einen Tag vorher auf und laden es dann am Sonntagmorgen hoch’’, erklärt die 39-jährige Pastorin, die gemeinsam mit Pfarrer Michael Schurmann die Gemeinde betreut.
Die Gemeindemitglieder sind von den Ideen der beiden Pfarrer begeistert. ,,Wir sind eine sehr gesellige Gemeinde. Das persönliche Treffen vermissen wir sehr. Unsere Musikgruppe Tensing probt zum Beispiel nicht mehr, was sehr schade ist’’, sagt etwa Hans Richter (63). ,,Daher ist es toll, wenn wir jetzt so in Kontakt bleiben können’’, sagt er. Er hat gemeinsam mit seiner Frau um 19 Uhr eine Kerze angezündet und das Gebet gesprochen. ,,Eine sehr schöne Idee, die gerade jetzt nötig ist’’, sagt er. Auffangen könne man den Wegfall der Treffen damit allerdings nicht.
Die Verbundenheit aufrecht zu erhalten scheint jetzt wichtiger zu sein als je zuvor
Silja Heitzer wohnt ganz in der Nähe der Kirche, sie kann die Glocken läuten hören. ,,Es fehlt mir, mit den anderen in die Kirche zu gehen, doch in dieser Zeit muss man darauf halt verzichten. Gemeinsam zu beten, auch wenn wir nicht zusammen sind, ist eine schöne Idee’’, sagt sie. ,,Ich kann mir vorstellen, dass viele einsam sind und sich in diesem Moment vielleicht verbunden fühlen. Das kann helfen. Vor allem, weil man nicht weiß, wie lange die Krise dauert und wie die Lage sich entwickelt’’, sagt sie 29-Jährige. Gerade jetzt dürfe die Kirche sich nicht zurückziehen, findet sie. ,,Jetzt ist es wichtiger denn je, eine Verbundenheit aufrecht zu erhalten’’, sagt sie. Den Gottesdienst live im Internet zu streamen, hält sie auch für eine schöne Alternative, wenn die Krise länger dauert und vielleicht eine Ausgangssperre auf die Menschen zu kommt.