Duisburg. Sie ist eine von 282 Duisburgern, die an Covid-19 erkrankten und daran starben: Jakoba Kliem. Vom Leben und Sterben in Zeiten von Corona.
Sie lebte allein in ihrer Wohnung in Duisburg. Kochen, mit dem Elektromobil einkaufen oder zum Arzt fahren – Jakoba Kliem war das, was man eine rüstige Rentnerin nennt. Sie gehört aber auch zu den 282 Corona-Toten (Stand: Sonntag, 20. Dezember), die Duisburg 2020 zu beklagen hat.
Freundlich schaut sie aus auf dem Foto, interessiert guckt sie durch die rahmenlose Brille, die Haare schick frisiert. Weil sie immer auf sich achtete, wie aus dem Ei gepellt war, fiel die 87-Jährige auf, erzählt Schwiegertochter Resi. Auch körperlich sei sie vergleichsweise fit gewesen, bis vor wenigen Jahren trug sie noch die WAZ und NRZ frühmorgens in Bergheim aus.
Senioren wollen auch in Pandemiezeiten niemandem zur Last fallen
Dass sich Jakoba Kliem mit dem Coronavirus infizierte, verwundert die Hinterbliebenen allerdings auch nicht. Wie manche ihres Alters lebte sie zwar allein, wollte aber nicht allein sein. „Ich habe ihr immer angeboten, Einkäufe zu übernehmen“, erzählt ihr Sohn Friedhelm Kliem. Aber manches wollte sie sich nicht nehmen lassen, fuhr für einzelne Lieblingsmarken verschiedene Geschäfte an, „sie wollte niemandem zur Last fallen“. Und so richtig verstanden habe sie die Bedrohung wohl auch nicht.
„Sie war immer pflichtbewusst, wollte es allen recht machen“, beschreibt das Paar die Verstorbene. Jakoba Kliem ist gebürtige Ostfriesin, sie fand im Ruhrgebiet Arbeit als Haushälterin, hier lernte sie auch ihren Mann kennen, bekam mit ihm zwei Kinder. Seit 2002 war sie Witwe, lebte zwar allein, hatte durch den Kirchenkreis aber viele Kontakte. „Sie war eine lustige, liebenswerte Person“, beschreibt es ihr Sohn, „und sie hatte eine bemerkenswerte Art von Weisheit.“
Ende Oktober wurde Jakoba Kliem positiv auf Corona getestet
Ende Oktober machte Jakoba Kliem schlapp. Zum Arzt wollte sie nicht, da blieb ihr Sohn über Nacht – und rief am nächsten Morgen doch den Krankenwagen. „Das war schlimm, sie musste ja allein in die Notaufnahme“, erinnert sich ihr Sohn. Der Coronatest: positiv. Auch Sohn und Schwiegertochter ließen sich testen, bei ihm war er ebenfalls positiv, sie blieb negativ – ein Glück, da sie chronisch lungenkrank ist und seit Monaten darauf achtet, sich nicht anzustecken.
Friedhelm Kliem beschreibt die Erkrankung an Covid-19 so: „Ich hatte leichtes Fieber, fühlte mich schlapp, abwechselnd kalt und warm, hatte heftige Kopfschmerzen.“ Nach einigen Tagen seien die Symptome wieder verschwunden. Coronaleugner treiben ihm seither noch heftiger den Puls in die Höhe, „ich halte mich lieber an Fakten“.
Pflegedienste wollten Aufträge für Coronapositive nicht annehmen
Während sich das Ehepaar im Haus aus dem Weg ging, um doch noch eine Ansteckung zu verhindern, lag Jakoba Kliem im Krankenhaus. Nach vier Tagen sollte sie entlassen werden. „Eine Ärztin meinte, ich müsse sie dann pflegen. Aber ich war doch in Quarantäne“, erzählt Kliem. Pflegedienste, die er abtelefonierte, winkten bei Coronapositiven ab.
Parallel koordinierten die Kliems einen Hilfstrupp für Jakoba, falls sie entlassen wird – und versuchten zugleich, das Krankenhaus zu überzeugen, dass die 87-Jährige dort womöglich besser aufgehoben wäre. Am Telefon habe die Seniorin über Schmerzen geklagt, nicht geleerte WC-Schüsseln. Und schließlich wurde das Ehepaar Kliem informiert, dass Jakoba am Knie operiert worden sei, eine ältere Geschichte, die bislang ambulant behandelt worden war.
„Eine OP unter Vollnarkose“, schimpft der Sohn. Sie schwächte seine Covid-19-kranke Mutter so sehr, dass sie das Handy nicht mehr halten konnte, dabei war nur darüber der Kontakt möglich. Auf der Intensivstation durfte Friedhelm Kliem seine Mutter noch mal sehen – und kurz vor ihrem Tod auf der Coronastation, in voller Schutzmontur, „da hat sie nur noch geseufzt“, erzählt der 55-Jährige erschüttert.
Bestattung unter Corona-Regeln
Noch ist er zu aufgewühlt, außerdem lasten die Wohnungsauflösung und andere Pflichten auf ihm. Ob er die Ereignisse im Krankenhaus unkommentiert lassen will? Er ist unschlüssig, deshalb nennen wir hier das kritisierte Haus nicht. Kliem schränkt auch sofort ein, dass ihm die Überlastung des Personals durch die Pandemie völlig klar sei. Aber dass eine Operation trotz Patientenverfügung ohne seine Zustimmung durchgeführt wurde, das geht ihm deutlich zu weit. Zumal es aus seiner Sicht der Anfang vom Ende war.
Die Bestattung stellte das Paar vor neue Herausforderungen. Jakobas Tochter zum Beispiel lebt mit ihrer Familie in der Schweiz, sie durfte nur für 72 Stunden einreisen – wenig genug zum Abschied nehmen. Auch die Vorstellung, Jakoba in ihrer Lieblingskleidung zu beerdigen, musste aufgegeben werden. „Der Sarg wurde zwar aufgebahrt, musste aber geschlossen bleiben“, beschreibt Resi Kliem die Corona-Regeln. Ihre Schwiegermutter sei wie eine Mumie eingewickelt worden und man habe sie so wenig wie möglich bewegen dürfen.
Statt eines Trauercafés packte Resi Tütchen für jeden – mit einem Kaffee, Keksen, Schokolade und einem Likörchen – so wie es Jakoba gefallen hätte. Auf einer Banderole steht neben einem Foto der Verstorbenen: „Wenn Du den nächsten Kaffee trinkst, bin ich bei Dir“.
So wollen sie sie auch in Erinnerung behalten. Die Gedenkecke mit Bild, weißer Rose und Kerzen soll später einer Flasche Eckes Edelkirsch weichen, die mit einem goldenen Herzen geschmückt wird. Auf Jakoba.