Duisburg..
In einem Gastbeitrag zum Jahrestag der Loveparade schreibt Fritz Pleitgen über die Verantwortung von Ruhr.2010 und das Versagen der Medien. Pleitgen erinnert an die Leiden der Opfer und kritisiert die Reaktion „der politischen Klasse“ in Duisburg.
Als Geschäftsführer des Kulturhauptstadt Ruhr.2010 hatte Fritz Pleitgen noch in der Nacht der Loveparade-Katastrophe den Mut, moralische Verantwortung zu übernehmen. In seinem Gastbeitrag zum Jahrestag der Loveparade schreibt Fritz Pleitgen über die Verantwortung von Ruhr.2010, das Versagen der Medien vor und die Reaktion der politischen Klasse in Duisburg nach der Katastrophe:
„Ein Jahr danach. Es ist die Zeit der bitteren Erinnerungen. Zum Jahrestag der Loveparade kehren die Schrecken mit voller Wucht zurück. Die Leiden der Hinterbliebenen und der Schwerverletzten gehen in der Flut der Berichte fast unter.
Am späten Abend des 24. Juli ging ich durch die Straßen zum Duisburger Hauptbahnhof. Ich wanderte durch eine Stadt im Ausnahmezustand. Blaulicht, Sirenengeheul, die Straßen voll mit Menschen. Die Einen feierten wie berauscht, die Anderen irrten völlig verstört herum.
Wir von der Ruhr.2010 hatten uns für die Loveparade ausgesprochen und „das größte Musikfest der Welt“ in unserem Programm mitgenommen, wie auch „Extraschicht“ und „Jedem Kind ein Instrument“. Das war ein Fehler. Ohne Vertrag und ohne finanzielle Beteiligung hatten wir mit der Organisation nichts zu tun.
Vielleicht hätten unsere Experten, die soeben „Still-Leben A 40“ sicher über die Bühne gebracht hatten, die organisatorischen Mängel erkannt und gestoppt, sagte ich mir in den dunklen Stunden vor einem Jahr in Duisburg. Eine Hypothese! Aber ich fühlte mich moralisch mitverantwortlich, sagte es auch und bleibe dabei.
Grobe Fahrlässigkeit
Wie ist es Anderen ergangen? In den Medien hatte es kein Wort der Warnung gegeben, obwohl Platz und Zugang bekannt waren, spätestens nach einer Begehung mit der Presse. Keine Meisterleistung! Warnungen sollen im Netz gestanden haben, erfuhr ich nachträglich. Leider bin ich kein Netznutzer. Die Journalisten waren es in diesem Fall offensichtlich auch nicht. Nach der Katastrophe wussten sie allerdings, dass es so kommen musste.
Hochrangige Politiker von Regierung und Opposition hatten sich für die Loveparade ausgesprochen. Kein Vorwurf deshalb, aber sie hätten dazu stehen können. Wie alle anderen Befürworter hatten sie sicher nicht damit gerechnet, dass sich eine fröhliche Technoparty durch grobe Fahrlässigkeit in ein Monster verwandeln könnte. Man hatte doch zeigen wollen, dass das Ruhrgebiet auch jungen Menschen, deren Abwanderung man stoppen will, Attraktionen bieten kann.
Der Oberbürgermeister ist ein redlicher Mann. Er hat von der Loveparade gewiss einen Imagegewinn für Duisburg erhofft. Dass er sich der Katastrophe nicht gewachsen zeigte, gibt er selbst zu. Zu spät. Vertrauen und Ansehen sind dahin. So kann der Oberbürgermeister seiner Stadt nicht mehr dienen. Bitter, aber wahr. Und die übrige politische Klasse? Warnungen hat sie öffentlich nicht verlauten lassen. Musste der Stadtrat nach einer solchen Katastrophe nicht zusammenstehen und in Sondersitzungen Schaden von Duisburg abwenden? Mir nicht bekannt. Stattdessen ging man in den Urlaub, um danach als Hauptaufgabe die Abwahl des Oberbürgermeisters zu betreiben. Gab es nichts Wichtigeres, als die Tragödie zum Machtwechsel nutzen zu wollen?
Zeichen der Hoffnung
Tröstlich waren und sind die aufrichtigen Bemühungen aus der Bürgerschaft, der Opfer der Loveparade und dem Ansehen der Stadt gerecht zu werden. Sie sind die Hoffnung, dass Duisburg doch als eine Stadt mit Haltung wahrgenommen wird. Über die schrecklichen Geschehnisse vom 24. Juli 2010 darf kein Gras wachsen. 21 junge Menschen sind gestorben. Viele Besucherinnen und Besucher werden ihr Leben lang traumatisiert sein, einige sind für immer berufsunfähig. Es ist zu hoffen, dass diese Menschen ausreichend unterstützt werden.
Die Sicherheitsmaßnahmen sind inzwischen verschärft worden. Doch das wird nicht reichen. Wenn es um Großveranstaltungen geht, müssen die Sicherheitsfragen statt hinter verschlossenen Türen in aller Öffentlichkeit behandelt werden, damit nicht wieder Menschenleben für irgendwelche Interessen, selbst ehrenwerte, riskiert werden.“