Duisburg. Fliegende Eier, Menschenketten, wohldosierte Streiks: Vor 25 Jahren verkündete der Konzernvorstand das „Aus“ für das Werk in Rheinhausen. Der Arbeitskampf einte alle, ob Stahlkocher, Schüler oder Schimanski. Geblieben ist Stolz und HKM. Der Bürgermeister wurde bei einer Demo zum Helden.

Die Tinte ist noch nicht ganz trocken unter der Vereinbarung zwischen Krupp-Vorstand und Betriebsrat der Rheinhauser Hütte über den Abbau von 2000 Arbeitsplätzen, da brodelt schon wieder die Gerüchteküche. Am 26. November 1987 fragt der Betriebsrat noch einmal nach, was aus der Hütte wird, was aus den noch 6300 Arbeitsplätzen – und erntet vielsagendes Schweigen.

„Das hat erst keiner geglaubt“, erinnert sich der damalige Betriebsrat Klaus Löllgen. Noch in der Nacht sei man durch die Betriebe gegangen, habe die Kollegen informiert über die Pläne des Vorstands, die traditionsreiche Friedrich-Alfred-Hütte Ende 1988 ganz zu schließen. Die Hütte, die fast 100 Jahre für Rheinhausen alles war.

Einen Tag später stehen 3000 Stahlkocher vor der Hauptverwaltung, Krupp-Chef Gerhard Cromme verkündet jetzt auch öffentlich die Schließungspläne, ein 160-tägiger Kampf um die Hütte beginnt.

Die Nachbarn kämpfen mit.
Die Nachbarn kämpfen mit. © NRZ | NRZ

Und er ist anders, als die Arbeitskämpfe zuvor. Betriebsräte waren kurz zuvor gewählt worden, die sich nicht mehr in erster Linie als Kruppianer, sondern als Gewerkschafter verstanden. Und vor allem: Die Hüttenbeschäftigten sind nicht allein. Ein Bürgerkomitee steht an ihrer Seite, die Kirchen sind dabei, Einzelhändler, Politiker, Betriebsräte anderer Unternehmen, normale Bürger. Ganz Rheinhausen kämpft um „seine“ Hütte, um seine Zukunft.

Schiene auf der Schulter

10.000 Menschen sind am 30. November bei einer außerordentlichen Betriebsversammlung völlig neuer Art, auch Cromme ist dabei, Eier fliegen, die Bilder des Konzern-Chefs hinter Schutzschildern sorgen mit für eine Öffentlichkeit, die diesen Arbeitskampf ebenfalls einzigartig macht. Und Duisburg ist eins mit Rheinhausen, Oberbürgermeister Josef Krings reiht sich ein in einen Demonstrationszug, wuchtet sich eine Schiene auf die Schulter – ein klares Zeichen.

Journalisten aus aller Welt zu Gast in Rheinhausen

Aktionen sind an der Tagesordnung, die Mahnwachen mit den glühenden Kokskörben vor Tor 1 sind ein weiteres Bild, das für diesen Arbeitskampf steht. Delegationen geben sich die Betriebsratsklinke in die Hand, Bands treten auf, Journalisten aus aller Welt entdecken Rheinhausen.

Eine Reporterin eines namhaften Magazins fängt in der Krupp-Siedlung die Sorge ein, man werde am Futter für Hunde und Katzen sparen müssen ohne die Hütte. Kaum war das Blatt auf dem Markt, stand ein Lkw mit 7,5 Tonnen Tierfutter am Tor 2, geschickt von Tierschützern aus München. Die Aufgabe war neu für den Betriebsrat, aber Adressaten wurden zügig gefunden. Löllgen: „Auch Solidarität muss man organisieren.“

Anfang Dezember stürmen die Kruppianer aus Rheinhausen die Villa Hügel, zum zweiten Mal wird die Rheinbrücke nach Hochfeld blockiert. Am 10. Dezember 1987 ist Stahlaktionstag, nicht der erste, aber ein einzigartiger: Stahlkocher, Bergleute, Bauern, Studenten, 100.000 Menschen insgesamt sind auf den Beinen im ganzen Revier, Brücken und Straßen werden blockiert. Löllgen: „Das ganze Ruhrgebiet stand.“

Menschenkette ums Werk

Stillstand kennen die Kämpfer für ihre Hütte indes nicht: Am 20. Januar 1988 ist die Rheinbrücke wieder gesperrt, Duisburger und Dortmunder Stahlarbeiter taufen sie gemeinsam auf den Namen „Brücke der Solidarität“. Eine Woche später bilden 15.000 Schüler, Azubis und Stahlkocher Hand in Hand eine Menschenkette ums bedrohte Werk, im Monat drauf sind 40.000 beim „AufRuhr“-Festival im alten Walzwerk mit Herbert Grönemeyer, den Toten Hosen und anderen Stars.

Gestreikt wird auch, aber dosiert. Und gut vorbereitet, schließlich sollten die Anlagen nicht Schaden nehmen.

1993 war dann endgültig Schluss in Rheinhausen

160 Tage Aktionen, ob kleine Mahnwache oder Massendemo, ob an Tor 1 bei Krupp oder rund um den Landtag in Düsseldorf, aber parallel gibt’s auch ständige Gespräche zwischen Betriebsräten und Vorstand. „Wir haben immer mit denen verhandelt“, blickt Steegmann zurück. Gutachten werden angefordert, Alternativen zur Schließung erarbeitet.

Die Weltpolitik kommt schließlich den Arbeitnehmern zu Hilfe, zumindest ein wenig: 1989 fällt die Mauer, die Stahlnachfrage steigt, Rheinhausen wird gebraucht. Und dann übernimmt Krupp 1992 Hoesch, Hoffnung glimmt auf im Duisburger Westen. Man hat das modernste Stahlwerk Deutschlands, man liegt verkehrsgünstig am Rhein und ist nicht wie Dortmund ein „trockener Standort“, wohin das Erz mühsam und kostenträchtig per Bahn geschafft werden muss.

„Rheinhausen war besser!“, ist Steegmann nach wie vor überzeugt. Das Management ist Anfang der 90er-Jahre anderer Meinung. Inzwischen ist der Stahlstandort Dortmund Geschichte und Duisburg der größte Deutschlands, wenn nicht der Welt. Dazu gehören die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM), in der über 1000 Kruppianer weiterbeschäftigt wurden. „Die Belegschaften sind zusammengewachsen, die konnten beide voneinander lernen, und das hat sich gut entwickelt.“