Buchholz..
Sein Leben war irgendwann wie ein Rennen im Hamsterrad. „Ich bin nur noch zwischen Fernseher und Bett hin- und hergependelt und habe dabei ständig getrunken“, erinnert sich J. an schlimme Zeiten vor rund zwölf Jahren. Die Alkoholsucht hatte ihn völlig im Griff, er war ganz unten angelangt - begriff aber, dass er handeln musste. Doch mehrere Entgiftungen brachten nichts. Zwar war der heute 52-Jährige auch mal zwei Jahre lang trocken, doch immer wieder wurde er rückfällig.
Eine Alkoholkarriere, die schon in der Jugend begann und endlich ein Ende finden soll. J. lebt seit einigen Monaten im „Haus an der Buche“, einer soziotherapeutischen Einrichtung des Diakoniewerkes, das chronisch suchtkranke Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren versucht. Sie feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. 207 Personen ist es seit 1982 gelungen, mit Hilfe des professionellen Betreuerteams zurück zu finden in einen abstinenten Alltag in einer Wohngemeinschaft oder einer eigenen Wohnung.
Wer im „Haus an der Buche“ stationär aufgenommen wird, ist ein „harter Brocken“, hat in der Regel Jahre der Sucht und Selbstzerstörung hinter sich. „Wir verfügen über 22 Plätze für alkohol- oder medikamentenabhängige Menschen mit langem Krankheitsverlauf. Viele unserer Bewohner leiden bereits unter Folgeschäden des Suchtmittelmissbrauches“, sagt Leiter Claus Germeshausen. Körperliche oder hirnorganische Schädigungen - teils lebensbedrohlich - zählen dazu, aber auch „seelische Behinderungen“ wie eine Minderung der Selbstwahrnehmung und Selbstachtung, mangelnde Impulskontrolle oder der Verlust der Selbststeuerungsfähigkeit. Arbeitslos sind sie alle, manche auch wohnungslos. Soziale Kontakte fehlen. „Sogar einfachste Alltagskompetenzen wie zum Beispiel das Zähneputzen sind verloren gegangen, bei vielen ist Verwahrlosung eingetreten“, so der Diplom-Pädagoge.
Zwei Drittel seiner Klienten - das weiß er - sind nicht von ungefähr abgerutscht. „Sie hatten in ihrem Leben von Anfang an schlechte Startbedingungen, waren schon früh sozial benachteiligt, hatten Eltern, die auch getrunken haben.“ „Heidenrespekt“ habe er daher vor jedem, der den schweren Kampf gegen die Sucht auf sich nehme.
Im „Haus an der Buche“ sollen sich die Bewohner Alltagskompetenzen wieder antrainieren, sollen mittelfristig „auch wieder Lebensfreude, Selbstachtung und Selbststeuerungsfähigkeit erfahren“ und schließlich in ein eigenständiges Leben starten. Das Wohnheim bietet den festen Rahmen fürs Lernen, Regeln prägen das Zusammenleben. Die wichtigste Vorschrift: Abstinenz ist Pflicht (wird in der Regel auch eingehalten). Jeder Klient muss im Rahmen seiner individuellen Fähigkeiten Aufgaben übernehmen. Kochen, spülen, waschen, putzen gehören dazu. Verlässlichkeit zählt - das muss jeder lernen. „Wer morgens im Bett bleibt statt das Frühstück zuzubereiten, kriegt die Verärgerung der anderen natürlich zu spüren“, so Claus Germeshausen. Über die Arbeit erfahren die Klienten stärkende Anerkennung. Gruppenangebote und Einzeltherapiegespräche zeigen alternative Sichtweisen und Handlungsspielräume auf. Wieder soziale Kontakte zu knüpfen, Meinungsverschiedenheiten auszuhalten und fair auszutragen, gehört ebenso zum Lernprogramm.
H.G. (54), ebenfalls seit ein paar Monaten im „Haus an der Buche“, kennt seine Defizite inzwischen. „Ich hatte immer schon Probleme mit Nähe und Distanz. Ich explodiere schnell. Mich anzupassen, fällt mir sehr schwer“, berichtet er. Er habe aber erkannt, dass Einzelgängertum ihn nicht weiterbringe.
Rückfälle können passieren im „Haus an der Buche“, sie sind nicht das Ende der Therapie. Zwar geht es sofort in die Entgiftung, aber danach gibt es im „Zuhause auf Zeit“ eine weitere Chance.
J. hat es bisher ohne Rückfall gepackt, er wird nun auf das betreute Wohnen in einer WG vorbereitet. Er hat Pläne (wieder arbeiten, auch fachfremd) und neue Hobbys wie das Kochen gefunden. Und er hat sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. Einen Satz wird er im Hinterkopf behalten: „Das Trinken ist ein Selbstheilungsversuch mit einem völlig ungeeigneten Mittel.“