Duisburg. Dr. Stephan Hollensteiner – Mitarbeiter der Uni Duisburg – hat mit zwei Professoren die 111 schönsten Fußballgeschichten aus Deutschland und Brasilien zusammengetragen.
Dr. Stephan Hollensteiner hat es gut: Der Mitarbeiter der Uni Duisburg-Essen (UDE) hat sein Büro dort, wo Millionen Fußballfans in ein paar Tagen gerne wären: in Brasilien. Formal gehört er zum Campus Duisburg, aber seit 2012 koordiniert er in Rio und Sao Paulo das Lateinamerika-Büro der Universitätsallianz Ruhr, ein Zusammenschluss der Hochschulen Essen-Duisburg, Bochum, Dortmund.
Und weil Hollensteiner Fußballfan ist, hat er mit Literaturprofessor Elcio Cornelsen und dem Sozialanthropologen Martin Curi in einem Buch mit viel Witz 111 deutsch-brasilianische Fußball- und WM-Geschichten versammelt.
Prägende Ereignisse und viele Erklärungen
Hollensteiner und Team erinnern an prägende Ereignisse (vom Wunder von Bern bis zur Schande von Cordoba), stellen berühmte Spieler und Vereine vor oder erklären wissenschaftlich, wie eine Bananenflanke funktioniert („gekrümmte Flugbahn wegen der Querkraftwirkung auf eine rotierende Kugel“). Der Leser erfährt, dass ein „Zebra“ in Brasilien nix mit dem MSV zu tun hat und der Fallrückzieher am Zuckerhut „Bicicleta“ heißt – Fahrrad.
Nebenbei: Duisburg kommt in 6 der 111 Einträge vor. Als Dreingabe gibt’s ein umfassendes Wörterbuch von A wie Abseits (impedimento) bis Z wie Zweikampf (disputa de bola). Die unterhaltsamen Geschichten sind perfekter Smalltalk-Stoff für die Halbzeitpausen auf WM-Partys und lesenswert auch für Fußballmuffel. Weil – so heißt es hübsch im Vorwort – „Fußballbegriffe aufgrund ihrer weitreichenden historisch-kulturellen Bedeutung weit über den Sport in die Gesellschaft hineinreichen“.
Und das Beste: Den kompletten Lesespaß gibt’s als Pdf-Version auf der Homepage der Uni Duisburg. Wir haben hier bereits die 11 schönsten Geschichten ausgesucht.
Von Aberglaube bis Zebra - die schönsten Geschichten
1. ABERGLAUBE, der [Superstição]. Fußball ist ein Spiel, bei dem nicht unbedingt der Bessere gewinnt. Deshalb greifen viele Beteiligte auf Aberglauben zurück. Brasilien hat eine lange Geschichte abergläubischer Fußballer. Als Spezialist für solche Rituale galt der 2009 verstorbene Masseur des EC Bahia, José Lourival dos Santos, genannt „Alemão“, der Flaschen mit den Namen der Gegenspieler in die Kühltruhe stellte, um ihre Schritte zu lähmen – allerdings nicht immer erfolgreich.
2. BALLJUNGE, der [Gandula]. Der Gandula (in letzter Zeit gibt’s auch Ballmädchen) gehen zurück auf den Fußballer Bernardo Gandulla, der 1939 beim Club Vasco da Gama anheuerte, dort aber nicht ins Team fand. Um sich nützlich zu machen, flitzte er Bällen im Aus hinterher – nicht nur für die eigene Mannschaft, sondern auch für den Gegner. Um dieses Fairplay zu würdigen , heißen Balljungen in Brasilien Gandula.
3. BARBOSA (1921-2000, Torhüter) ist die tragischste Figur des brasilianischen Fußballs. Am 16. Juli 1950 ließ er vor 200 000 Zuschauern das 2:0 des späteren Weltmeisters Uruguay durchflitschen. Dieser „ewige Patzer“ ruinierte die Karriere eines der besten brasilianischen Torwarte aller Zeiten. Als Barbosa 1993 die brasilianische Auswahl im Trainingslager besuchen wollte, wurde ihm der Zugang verweigert.
4. BOLZEN, das [Pelada]. Das sozialromantische Stereotyp sagt, dass die Brasilianer so gut Fußball spielen, da sie ihre Kunst auf unebenen Feldern wie Strand oder Straßenasphalt erlernen. Diese Art des improvisierten Spiels wird in ganz Brasilien gepflegt und man nennt es „Pelada“, wörtlich „Die Nackte“. Das berühmteste Bolzturnier ist der „Peladão“, der „große Nackte“, in Manaus. Daran nehmen bis zu 1000 Teams teil, die mit einer Mannschaft und einer Schönheitskönigin antreten. Die Mädchen tragen einen parallelen Misswettbewerb aus.
5. BRASILIANER IN DER BUNDESLIGA [Brasileiros na Bundesliga]. Paul Breitner kommentierte einmal die schlechte Leistung brasilianischer Bundesligaspieler mit „sie sollen nicht glauben, dass sie Brasilianer sind, nur weil sie aus Brasilien kommen“. Hinter dem vordergründig abstrusen Zitat versteckt sich das tief in der deutschen Vorstellung verwurzelte Stereotyp, dass alle Brasilianer filigran und bezaubernden Angriffsfußball spielen. Um genauer zu sein, ist die Verpflichtung von Spielern aus Brasilien eigentlich immer ein Glücksspiel. Die ersten Brasilianer in der Bundesliga waren Raoul Tagliari (1964-66, MSV Duisburg) und José Gilson Rodriguez (1964/65, 1. FC Köln). Beide kamen in Deutschland aber nicht über ein Randdasein hinaus, bei Zezé wurde gar eine „Schnee-Allergie“ diagnostiziert.
6. DORTMUND, BV Borussia 09 (BVB). Der Namenszusatz „Borussia” hat in Dortmund der Legende nach nichts mit der lateinischen Übersetzung für Preußen zu tun. Den Gründern des Vereins soll am 19. Dezember 1909 im Wirtshaus Freischütz schlicht das Bier der lokalen Borussia-Brauerei besonders gut geschmeckt haben.
7. FAHRSTUHLMANNSCHAFT, die [Time de Elevador]. Der Ruhm dieser Spezie gründet sich darin, in möglichst kurzer Zeit möglichst oft die Spielklasse zu wechseln. Traditionelle Vertreter sind das Team von Arminia Bielefeld, das bisher 14-mal zwischen erster und dritter Liga auf- und abstieg sowie der MSV Duisburg und VfL Bochum (je zwölfmal).
8. KANTERSIEG, der [Goleada]. Aus der Reitersprache entlehnter Begriff (mit „leichtem Galopp” errungener Erfolg), der einen Sieg mit einer außergewöhnlich großen Tordifferenz bezeichnet. Deutscher Kantersieg-Spezialist ist (immer noch) Borussia Mönchengladbach. Den bisher höchsten Kantersieg auswärts erzielte vor fast 50 Jahren der MSV Duisburg – 9:0 bei Tasmania Berlin.
9. MARACANÃ, das. Das wichtigste Gebäude Brasiliens. Es wurde für die WM 1950 als Nationalstadion errichtet und ist ein in Beton gegossenes Denkmal des brasilianische Demokratieverständnisses. In Rio Wurde das größte Stadion der Welt gebaut, das quasi jedem Fan Zugang garantieren sollte. Das M. fasste damals 200.000 Zuschauer, also zehn Prozent der Stadtbevölkerung.
10. RUHRGEBIET, das [Região do Ruhr]. Keine Region erfreut sich so vieler Fußballvereine, obwohl die relative Bedeutung des Ruhrgebiets mit dem Strukturwandel abgenommen hat. Die Vereinsdichte im „Land der tausend Derbys“ hängt zusammen mit der großen Zahl an Zechen und Stahlschmieden und den proletarischen Milieus. Erst in den späten 1920er Jahren wurde der Fußball im Ruhrgebiet zum Massensport, und der „Pott“ die führende Fußballregion. 1955 bis ‘58 gingen vier Meistertitel hintereinander ins Revier
11. ZEBRA, das (Zebra). Der Ausdruck „das Ergebnis ist Zebra“ bedeutet wörtlich Sieg des Außenseiters. Das Zebra dient als Metapher für ein unerwartetes und zugleich als negativ betrachtetes Ergebnis – wenn etwa eine favorisierte Mannschaft verliert. In Brasilien wurde das Tier zudem durch das Maskottchen „Zebralein der Fussball-Lotterie“ bekannt.