Duisburg. Nach 18 Jahren ist Schluss: In der Duisburger Großraum-Disco Delta können Feierwütige am Samstag zum letzten Mal tanzen. Zuletzt kamen einfach zu wenig Leute. Rund 3000 Gäste brauchte Besitzer Pikkemaat für einen guten Abend, im Schnitt waren es nur noch 1000. Wie es weiter geht, steht noch nicht fest.
Der Parkplatz war schon einmal voller und an der Garderobe hängen gerade einmal drei Reihen voller Jacken: Samstagabend, kurz vor Mitternacht im Delta. Es läuft nicht gut, in der nächsten Woche macht das Disco-Zelt endgültig dicht. Damit schließt sich ein legendäres Party-Kapitel in Duisburg. Im Februar 1996 hat die Großraum-Disco in Meiderich eröffnet. Seitdem haben sich hunderttausende Menschen auf der Tanzfläche gedreht, Schlagersternchen sich die Ehre gegeben.
Doch das Ausgeh-Verhalten der Feiernden hat sich geändert, wissen Delta-Betriebsleiter Michael Lange und -Geschäftsführer Christian Dames. Gut 4000 Leute brauchten sie für einen runden Abend, bei 3000 Tanzenden war die Stimmung schon gut. Zuletzt kamen nur knapp über 1000. Diejenigen, die eine Woche vor Schluss „atemlos durch die Nacht“ zappeln, sind traurig, dass ihnen nicht mehr viele Abende im Delta bleiben. Am 31. Mai öffnet das Zelt zum letzten Mal. Heute Abend startet die letzte Beach-Party.
Leute kommen später und gehen früher
Es gibt viele Gründe, warum die Leute wegbleiben, sinniert Dames bei einem Kaffee vor der „Main“, der größten Halle. „Man muss nicht mehr in die Disco gehen, um seinen Partner kennen zu lernen. Da läuft viel über Facebook oder Singlebörsen.“ Und früher kamen auch Musikfreunde zum Tanzen, weil die DJs schon die neuesten Scheiben auflegten – bevor man sie im Laden kaufen oder im Radio hören konnte.
Auch die Zeiten sind vorbei. Noch vor ein paar Jahren seien Nachtschwärmer bis zu 100 Kilometer für einen guten Abend gefahren. Das habe sich drastisch verändert. „Viele gehen lieber essen, ins Kino oder zu einzelnen Partys“, erklärt Michael Lange. Dabei haben die Betreiber noch versucht, mit der Zeit zu gehen – immer wieder das Musik-Konzept geändert und auch in neue Technik investiert. „Wir bekommen viele Mails, dass die Leute es schade finden, dass wir schließen. Sie schreiben uns von legendären Nächten und wie sie im Delta ihre Liebsten kennen gelernt haben.“
Eine von ihnen ist Sarah. Die 24-Jährige trägt eine Schärpe, „Braut“ steht darauf. Vor eineinhalb Jahren hat sie ihr Zukünftiger auf der Tanzfläche angequatscht. „Ich soll traurig ausgesehen haben“, erinnert sie sich. Das war aber wohl nur ein Vorwand, um ins Gespräch zu kommen. An das Lied, zu dem sie das erste Mal getanzt haben, kann sie sich nicht mehr erinnern, es war schon spät. Schwester Stefanie – Schärpentitel „Trauzeugin“ – musste jedenfalls nicht lange überlegen, wo der Junggesellinnenabschied stattfindet. Auch die stolze Mutter zieht mit ihnen um die Häuser.
Nun rocken sie die Tanzfläche. Von der Decke „tropft“ blaues und grünes LED-Licht, die Mädels schmeißen ihre Arme zu „Mr. Saxobeat“ in die Luft, jubeln. Dichter Nebel wabert durch das Zelt, Blitze zucken, die Gruppe hat ihren Spaß – und jede Menge Platz, um zu hüpfen. Wie der Abend endet, wird der Braut natürlich noch nicht verraten. „Auf uns“, ruft die Glückliche und prostet ihren Begleiterinnen zu. In einem Monat ist die Hochzeit. DJ Sascha Vogt beobachtet die Szenerie von seinem Pult. Seit 2000 jobbt er im „Delta“. Tagsüber malocht der 35-Jährige als Kfz-Mechaniker, nachts macht er sein Hobby zum Beruf. Seine Arbeit beginnt jetzt wesentlich später. „Die Leute kommen erst um 1 Uhr, hauen dafür aber auch schon um 3 Uhr wieder ab. Als ich rausgegangen bin, wollten wir um 22 Uhr in eine Disco und möglichst viel vom Eintritt haben. Vor 4 Uhr sind wir nicht gegangen.“ Die meisten, die zu seinen Füßen tanzen, sind gut und gerne 15 Jahre jünger. Das stört ihn nicht. „Man ist immer so alt, wie man sich fühlt.“
Früher war mehr Rock
Im „Extra“-Zelt nebenan läuft Schlager. Früher war mal mehr Rock. „Hier bin ich am liebsten“, sagt Carina Lüttkenhaus strahlend – und zieht ihre Freundin Mona auf die Tanzfläche. „Ich habe hier meine Jugend verbracht“, schwärmt Carina Lüttkenhaus – und lobt die zivilen Preise. Wer vor Mitternacht an den Türstehern vorbeikommt, trinkt für die Hälfte. „Keine Ahnung, wo wir demnächst hinfahren, es ist einfach schade, dass das Delta nach so einer langen Zeit schließt“, bedauert sie. Zum Feiern wird sie wohl künftig weitere Wege in Kauf nehmen.
Rund 65 Mitarbeiter zählte der Disco-Zirkus zuletzt. Die Barkeeper, DJs, das Kassen- und Toilettenpersonal haben nebenberuflich die Nacht durchgemacht. „Viele werden sich jetzt was Neues suchen“, glaubt Michael Lange. Auch Musikmacher Sascha Vogt kann sich nicht vorstellen, demnächst die Samstage auf der Couch zu verbringen. „Ich hab’ noch eine eigene Partyreihe am Niederrhein“, erzählt er.
Am letzten Abend wollen sich die Mitarbeiter bei ihren treuen Fans mit einem Knall verabschieden: „Wir möchten nochmal alles geben und mit Euch die Nacht der Nächte feiern. An diesen Abend wird man sich noch lange erinnern.“ Ein paar Tränen werden wohl dennoch fließen.
Rückschlag für den Party-Standort Duisburg
Die Schließung des Delta ist ein weiterer Rückschlag für den Party-Standort Duisburg. „Es wird immer weniger, was die Stadt zu bieten hat, da muss man aufpassen, dass die Leute überhaupt noch zum Feiern nach Duisburg kommen“, bedauert Peter Jurjahn, Eigentümer des „Kultkellers“ das Ende der Großraum-Disco. Zwar habe es vom Publikum kaum Überschneidungen gegeben. „Wenn ich profitieren wollte, müsste ich mein Programm umstellen.“ Doch der Samstag sei mit Gothic-Partys gut besucht – und auch sonst hat der Nachfolger des „Old Daddy“ seine Fans. „In der Dark-Szene fährt man auch ein bisschen weiter für einen guten Abend.“
Auch DJ „Steve Clash“, der beispielsweise die Partyreihe „Nachtstreuner“ am Pfingstsonntag veranstaltet, findet, dass das Delta fehlen wird. Er selbst war freilich schon seit Jahren nicht mehr unter der Zirkuskuppel unterwegs. „Eigentlich ist es gut, wenn zwischendurch mal ein Laden schließt, und ein neuer aufmacht. Das Problem ist nur, dass in Duisburg nichts nachkommt.“ Nachtstreuner sei ein Angebot in verschiedenen Clubs, durch die die Feierwütigen mit einem Bändchen am Arm ziehen können. Solche Einzelveranstaltungen und Festivals laufen immer besser, sind sich die Experten für die gepflegte Abendunterhaltung einig. „Einzelne Events bekommen mehr Aufmerksamkeit vom Publikum“, weiß Clash aus Erfahrung. Das Großraum-Konzept habe sich schlicht überlebt. „Kleine Clubs sind aber auch kein Garant für einen guten Abend, da spielen viele Faktoren eine Rolle.“
Das „Pulp“ ist künftig somit die einzige Disco mit mehreren Tanzflächen. „Wir haben uns über die Jahre immer wieder den Publikumswünschen angepasst“, erklärt Drago Orec, Inhaber des „Pulp“. Es sei aber nicht gesagt, dass die Nachtschwärmer, die sonst nach Meiderich gefahren sind, automatisch zum Hochfelder Event-Schloss kommen. „Von der Schließung des PM in Moers haben wir allerdings profitiert.“ Die „Tür-Politik“ des „Pulp“ sei eher locker. „Wer sich gut benimmt, der kommt rein.“ Umgekehrt: Wer Ärger macht, fliegt raus und bekommt für einige Abende Hausverbot.
Gema und Vergnügungssteuer
„Die Belastung für einen Großraum-Betrieb sind zu hoch geworden“, erklärt Delta-Inhaber Hans Pikkemaat, warum er Insolvenz anmelden musste. „Pro Monat zahlen wir rund 3000 Euro an die Gema und etwa 4000 Euro Vergnügungssteuer. Das muss man erstmal wieder einspielen.“ Hinzu kommen noch die Gehälter der Mitarbeiter. Fünf Euro Eintritt haben die Besucher zuletzt bezahlt. Der Getränke-Umsatz schwankte. „Wenn’s voll ist, trinken die Leute mehr“, weiß Delta-Geschäftsführer Christian Dames. Allerdings: Zum Ende des Monats wurde der Deckel auch schonmal mit Kleingeld beglichen.
Die Zelte in Nachbarschaft zum Landschaftspark bleiben zunächst stehen. Zur WM soll noch es noch Public-Viewing geben. „Die Vorbereitungen laufen, wir warten nur noch auf grünes Licht von der Stadt“, erklärt Christian Dames. Wie es nach dem Sommer für die Disco weiter geht, ist noch nicht klar.
Von den goldenen 90ern bis zum Negativ-Image der Gegenwart
Es waren die goldenen 80er, als Hans Pikkemaat mit einem Zirkuszelt-Verleih richtig erfolgreich war. Nur, dass alsbald nicht mehr nur Artisten durch die Manege turnten, sondern die Zelte auch für Partys umfunktioniert wurden. „Irgendwann haben wir einen festen Standort gesucht“, erinnert sich der Veranstalter. Nach dem Fall der Mauer zog es ihn zunächst in die neuen Länder, später schaute er sich im Ruhrgebiet um. „Es kamen nicht viele Locations in Frage, weil so ein Zelt ziemliche Probleme mit Schall-Emmissionen hat.“ Meiderich, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Landschaftspark und dem Autobahnkreuz, schien die ideale Adresse.
Und tatsächlich strömten in den ersten Jahren die Leute zu Tausenden in den Musikpark. „Wir hatten viele gute Jahre. Normalerweise ist der Hype im Disco-Betrieb schon nach ein paar Monaten wieder vorbei“, zieht Pikkemaat Bilanz.
In den vergangenen Jahren sank die Besucherzahl langsam aber stetig weiter. Das Delta steuerte gegen, machte aus dem Rock-Bereich eine Schlagerbar, buchte Schlager-Größen für Konzerte. Das funktionierte auch zuletzt noch gut. Sogar Promis, manchmal auch selbst ernannte, ließen sich immer wieder unter der Zirkuskuppel blicken.
Negativschlagzeilen blieben nicht aus
Allerdings gab es hin und wieder auch Negativ-Schlagzeilen, die dem Delta zusätzlich geschadet haben, vermutet Geschäftsführer Christian Dames. Etwas im April 2013, als sich Parkplatz-Anweiser auf die Lauer legten, um Autoknacker zu schnappen. Die Mitarbeiter erwischten einen möglichen Verdächtigen, überwältigten ihn und fixierten ihn am Boden. Der 26-Jährige hatte Verletzungen am ganzen Körper, verlor das Bewusstsein, und starb im Krankenhaus. Gegen drei Mitarbeiter wurde Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben. „Türsteher und Sicherheitsleute sind nicht direkt beim Delta angestellt, aber da unterscheiden die Leute nicht genau.“