Duisburg/Essen. Sie haben sich selbst in Gefahr begeben, um anderen zu helfen. Für ihre Zivilcourage sind die Duisburger Elisabeth Sistig, Annabel und Naemi Abt sowie Sebastian Jung am Freitag in einer Feierstunde auf der Zeche Zollverein mit der Rettungsmedaille des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet worden.

Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt: An einem Nachmittag im Juli 2011 trifft sich eine Siebenjährige mit ihrem Spielkameraden auf dem Spielplatz vor ihrem Elternhaus in Duisburg-Wanheim. Die 85-jährige Rentnerin Elisabeth Sistig, die auch dort wohnt, ist gerade auf dem Heimweg. Kurz vor ihrer Haustür wird sie von einem ihr unbekannten 27-jährigen Mann überholt. Er grüßt sie und wendet sich dann den beiden spielenden Kindern zu. Als Elisabeth Sistig wieder in ihrer Wohnung im ersten Stock ist, sieht sie bei einem Blick aus dem Fenster, wie der Spielkamerad des Mädchens mit seinem Roller davonfährt. Der Mann spricht jetzt allein mit dem Mädchen.

Elisabeth Sistig hat ein ungutes Gefühl, als sie das sieht. Ein so ungutes Gefühl, dass sie beunruhigt mit ihrem Schlüsselbund in der Hand nach unten läuft. Dort beobachtet sie, wie der Mann die Hand der Siebenjährigen ergreift. Sie vermutet, dass der Mann das Mädchen in das nahe Gebüsch ziehen will. Couragiert ruft sie ihm deshalb zu, er solle das Kind in Ruhe lassen. Daraufhin gibt der – wie sich später herausstellt – Betrunkene die Hand des Kindes frei und wendet sich stattdessen Elisabeth Sistig zu. Unvermutet trifft sie sein Schlag ins Gesicht. Als der Mann ihr Schlüs­seletui sieht, will er es ihr entwenden. Dabei verdreht er den Arm der alten Dame und bricht ihr dabei Elle und Speiche. Als er feststellt, dass seine Beute kein Portemonnaie ist, wirft er das Etui fort und flüchtet. Er wird kurz danach von der Polizei festgenommen.

"Elisabeth Sistig brachte sich in Lebensgefahr, als sie das kleine Mäd­chen mutig und ohne auf ihre eigene körperliche Unversehrtheit zu achten vor einem möglichen Übergriff des Fremden rettete", würdigte Innenminister Ralf Jäger in einer Feierstunde auf der Zeche Zollverein das Eingreifen der alten Dame. "Der junge, kräftige Mann war durch seine Alkoholisierung so enthemmt, dass sein gewalttätiger Angriff der Seniorin auch das Leben hätte kosten können."

Ihre Brüche kurierte Elisabeth Sistig im Krankenhaus; als "Heldin von Duisburg" wurde sie mit Blumen und Geschenken überhäuft. Später verzieh sie ihrem Peiniger vor Gericht.

Mutige Mädchen

Auch diese beiden Geschwister haben außergewöhnlich Mut bewiesen: An einem Nachmittag im November 2010 treffen sich die damals elfjährige Annabel und die achtjährige Naemi Abt mit einer sechsjährigen Freundin im Botanischen Garten in Duisburg-Hamborn. Sie spielen an einem Teich, der an diesem Tag von einer dünnen Eis­schicht bedeckt ist. Die Kinder schlagen das Eis mit einem Stock auf und versuchen dann, die Eisschollen aus dem Wasser zu ziehen.

Um näher an das Eis heranzukommen, steigt die Sechsjährige auf die Steinplatten der Teichumrandung. Ohne zu bemerken, dass diese ver­eist und glitschig sind, rutscht sie ab und fällt ins eiskalte Wasser. Ihre dicke Winterkleidung saugt sich sofort voll, dem Mädchen steht das bitterkalte Wasser bis zur Brust. Es kann sich zwar am Teichrand festhalten, schafft es aber nicht, aus dem Wasser auf den Beckenrand zu klettern.

Erwachsene, die die Geschwister Abt um Hilfe bitten könnten, sind nicht in Sicht. Annabel und Naemi Abt zögern keine Sekunde. Obwohl sie selbst Angst haben, ebenfalls abzurutschen und in den Teich zu fallen, ziehen sie ihre völlig unterkühlte Freundin unter größter Anstren­gung aus dem Wasser. Annabel Abt nimmt das vor Kälte zitternde Mäd­chen kurzer Hand huckepack auf den Rücken und trägt es etwa einen Kilometer bis nach Hause. Naemi Abt bleibt unterdessen am Teich und passt auf die Spielsachen auf, bis ihre Schwester Annabel sie abholt.

"Nur durch das beherzte und für ihr Alter sehr mutige Eingreifen von An­nabel und Naemi Abt unter Einsatz ihres eigenen Lebens wurde das Leben der sechsjährigen Freundin gerettet", so Jäger.

Soldaten in Lebensgefahr

Als vierten Lebensretter aus Duisburg zeichnete der Minister Sebastian Jung mit der Rettungsmedaille des Landes aus: Im Juni 2010 fahren die Soldaten Martin Lobert, Florian Machala, Sebastian Jung und Oliver Ulke des „Feldjägerba­taillons 252 Hilden“ im Bundeswehr-Lkw über die Autobahn A 565 nach Bonn. In einem Autobahnbereich ohne Standstreifen prallt der Pkw vor ihnen plötzlich unkontrolliert erst links und dann rechts gegen die Leit­planke, ehe er auf der rechten Fahrspur zum Stehen kommt.

Der Fahrer des Bundeswehr-LKW hält sofort an, so dass sich der fol­gende Verkehr dahinter zunächst staut. Martin Lobert und Florian Machala eilen zum Unfallfahrzeug und ziehen den 54-jährigen be­wusstlosen Fahrer aus dem Wagen. Sie legen ihn auf der rechten Fahr­spur ab und beginnen mit der Wiederbelebung. Sebastian Jung und Oliver Ulke rufen derweil die Rettungskräfte, stellen ein Warndreieck auf und versorgen ihre auf der Fahrbahn hockenden Kameraden mit Verbandskasten und Decke. Zwi­schenzeitlich löst sich der Stau auf und die Autofahrer rasen mit hoher Geschwindigkeit auf der Überholspur an der Unfallstelle vorbei. Weil die beiden Kameraden befürchten, dass es dadurch zu einem für sie alle lebensbedrohenden Folgeunfall kommen könnte, machen sie in ihren Warnwesten mit Handzeichen auf die Gefahr aufmerksam. Es dauert etwa 15 Minuten, bis der Rettungsdienst eintrifft. Bis dahin muss der verunglückte Mann mehrfach reanimiert werden.

"Die vier jungen Männer schaffen es durch ihren auch für sie selbst le­bensgefährlichen Einsatz, den Mann aus seiner lebensgefährlichen Lage zu retten", lobte Jäger. Wie sich später herausstellt, hatte er während der Fahrt einen Herzinfarkt erlitten. Nach einem langen Krankenhausaufenthalt, bei dem er die ersten zehn Tagen ohne Bewusstsein war, geht es ihm heute den Umständen entsprechend gut.

Knapp tausend Medaillen in 60 Jahren

Neben den vier Duisburgern zeichnete der Innenminister stellvertretend für Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 39 Personen mit der Ret­tungsmedaille des Landes Nordrhein-Westfalen aus, zwei weitere erhielten eine Öffentliche Belobigung. „Sie haben sich selbst in Gefahr begeben, um anderen in großer Not zu helfen. Mit Ihrem Verhalten sind Sie Vorbilder für uns alle. Und Sie haben eine weit verbreitete Ansicht widerlegt – die Ansicht, dass sich heute jeder nur für sich selbst interessiere und für die Not des Anderen völlig unempfänglich sei", dankte Jäger allen Rettern.

Die Rettungsmedaille des Landes Nordrhein-Westfalen wird seit 1951 an couragierte Bürger verliehen, die sich selbst in Gefahr bringen, um einen anderen Menschen aus einer lebensbedrohlichen Notlage zu befreien. In den vergangenen 60 Jahren wurde die aus massivem Silber gefertigte Rettungsmedaille knapp über tausend Mal verliehen und zählt damit zu den am seltensten vergebenen staat­lichen Ehrungen.