Duisburg-West. Axel Quast, 53, leitet zehn Chöre, etliche davon in Duisburg. Die Arbeit mit den Hobbysängern macht ihm nach 20 Jahren immer noch Riesenspaß.

Die Pandemie hat viele Spuren hinterlassen. Aber diese hier ist richtig schön! Axel Quast schaut über einem Mundschutz mit bunten Notenschlüsseln hervor. Oben die Brille, drunter Musik. Ideal für einen Dirigenten. Aber die Maske kleidet nicht nur. Sie steht auch für das, was Quast seit über 20 Jahren mit seinem Job verbindet. Als die Mund-Nasen-Bedeckung Pflicht wurde, hat eine seiner Sängerinnen zu Nadel und Faden gegriffen und für alle im Chor genäht. Ein tolles Geschenk. Und ein Symbol für den Zusammenhalt, den man in nahezu allen Ensembles findet, die der 53-Jährige dirigiert. Ein Gespräch über die Kraft der Musik und des Miteinanders, je stimmiger, desto besser.

Der Chorleiter in Aktion beim Auftritt des Frauenchors Rheinhausen in der Christuskirche.
Der Chorleiter in Aktion beim Auftritt des Frauenchors Rheinhausen in der Christuskirche. © FUNKE Foto Services | Oleksandr Voskresenskyi

Es ist ein normaler Vormittag in diesem kaum normalen Corona-Jahr, das auch Kulturschaffenden einiges abverlangt. Zehn Chöre leitet Axel Quast in Duisburg, Bottrop, Essen und Krefeld - bei den Restroom-Singers, dem Männer-Vokalensemble der Duisburger Polizei, singt er außerdem, Bass. Das bedeutet mit Vorbereitungen, dem Verfassen von Arrangements, Proben und Konzerten viel Arbeit, vor allem in der zweiten Jahreshälfte. Normalerweise. Diesmal jedoch fallen alle Advents- und Feiertagsauftritte wegen Corona aus. Heißt für Berufsmusiker: ungewohnt viel Zeit. „Leider“, sagt Quast. Der Zustand ist auch für einen Dirigenten mit wirtschaftlichen Einbußen verbunden.

Aber zumindest darf wieder geprobt werden! Heute Nachmittag ist der Frauenchor Rheinhausen an der Reihe, hierfür fährt Quast gleich nach Neukirchen-Vluyn und setzt sich dort ans Klavier. Im dortigen Kulturcafé ist genug Platz für die Abstandsregeln. Im Gemeindesaal der Rheinhauser Christuskirchengemeinde, in dem die Damen normalerweise singen, ist es zu eng.

Sprechen wir über die Musik. Hochgedient habe er sich, sagt Quast mit sonorer Bassstimme, während seine Finger einen flotten Rhythmus auf den Tisch trommeln. Wobei er sicher privilegiert sei: „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.“ Dabei stammt der gebürtige Hamburger aus keinem Musikerhaushalt. Er lernte zunächst klassisch Blockflöte spielen. Ein Paradebeispiel für den Nutzen frühkindlicher Musikerziehung: Der Junge zeigte großes Talent. Dabei stand ihm früh der Sinn nach orchestralem Wirken, erinnert sich Quast. Er konnte schnell Partituren lesen und musizierte immer mit vollständigem Notenbuch, „weil ich so sehen konnte, was die anderen machen oder vielmehr machen sollen.“

Fast hätte ihn seine Begabung als Flötist als Jungstudenten an die Hochschule Hannover befördert. Doch daraus wurde nichts. Die Eltern wünschten sich einen „seriösen“ Beruf. „Aber inzwischen“, weiß Quast, „sind sie sehr stolz.“ Er sang auch schon als Kind, mit neun durfte er damit beginnen, Klavier zu spielen. Schon damals habe er keinen Plan B gehabt, erinnert sich Quast. Musiker wollte er werden, basta. Pianist, danach am besten Dirigent. „Ich hab’ instinktiv gespürt: Das ist es.“

Studium in Maastricht

Für das Klavierstudium an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf zog er ins Ruhrgebiet. Dann stellte das Schicksal die Weichen. Als ein Mitstudent keine Zeit hatte, einen Chor zu übernehmen, sprang der junge Quast ein. Und so wurde er mit 26 erstmals Chorleiter. Die Proben mit dem Volkschor Duisburg-Süd machten einen Riesenspaß. Es folgte ein zweites Studium. Quast erlernte am Conservatorium Maastricht das Handwerk des Dirigierens, die Königsdisziplin. Hier gibt es mehr Artikel aus dem Duisburger Westen

Heute schlägt er den Takt für sieben Männerchöre, zwei Frauenchöre und einen gemischten Chor, den Männer- und Frauenchor Rumeln. Viele kennt er seit Jahren, so dass Quast weiß, ob ein lockerer Ton willkommen ist. „Meine Damen, vielleicht wäre es zusammen noch eine Spur köstlicher“, hat er den Rheinhauser Frauenchor neulich ermahnt und einmal mehr fröhliche Lacher geerntet. „Jetzt kommt das Problem in Gestalt der Tenöre hinzu“, flachste er unlängst mit den Männern. „Eine gute Atmosphäre ist wichtig“, weiß Quast. „Meine Sänger sollen gern zur Probe kommen.“ Für viele bedeute das Singen auch Sozialkontakte, umso wichtiger, da die meisten schon älter seien.

Musik kann Wunder bewirken und hält 90-Jährige gesund

Warum er solange dabei ist? Wegen der Kunst, ja! Aber ebenso, weil ihn die Arbeit mit den Hobbysängern erfüllt, die ihn immer noch überraschten; etwa, wenn über 90-Jährige kraft der Musik einfach umwerfend fit und gut bei Stimme blieben. Wegen der Auftritte, die eine künstlerische Herausforderung darstellten, ein gemeinsames Ziel - egal, ob Gottesdienst, Geburtstagsständchen oder Jahreskonzert. Und ein bisschen auch, weil er gern der Chef ist: „Man muss in der Lage sein, viele Menschen zu vereinen und einen Teamgeist herzustellen.“

Unendliches Repertoire der Freizeitchöre

Wichtig ist die Auswahl des Programms, die Publikum und Chor gefallen muss, aber auch eine Herausforderung sein sollte. Das Repertoire der Freizeitchöre ist dabei schier unendlich. Von Popmusik über Musicals bis zu Opernchören lässt sich alles arrangieren. Quast selbst bezeichnet sich als „alten Klassiker. Kollege Beethoven liegt mir doch sehr.“

Aktuell hofft er, zumindest mit den Restroom-Singers ein Weihnachtskonzert geben zu können. Ein Drei-Gänge-Menü mit Musikeinlagen schwebt ihm vor, ein Hygienekonzept ist ausgearbeitet. Und sonst? Wird er Zeit mit seinem 13-jährigen Sohn verbringen. Der hat mit Musik nicht viel im Sinn. Macht nichts, winkt Quast ab. Eine andere Muse bahnt sich an. Der Junge spielt gern Theater.