Duisburg. Alois Richards hat 1965 den Meisterbrief bekommen. Der Duisburger Friseur probierte 2011 „mal was Neues“ und zog mit einer Kollegin um in ein Café.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert hört sich Alois Richards die Sorgen und Nöte der Menschen an, erfährt Privates, verfolgt ganze Lebenswege. Er könnte viel erzählen – allein er tut es nicht. Seine Berufsethik verbietet es ihm. Richards ist Friseur, seit 50 Jahren Meister. An den Ruhestand denkt er nicht. „Das ist wie bei einem Sänger“, sagt der 71-Jährige. „Wenn die Leute einen nicht mehr mögen, sollte man Schluss machen. Bei mir ist es noch nicht so weit.“
In Prüm, einem 5000-Einwohner-Städtchen, ist Richards vor knapp 60 Jahren mit seiner Mutter zum Friseur gegangen. Irgendwann begann er damit, im Salon kleine Arbeiten zu übernehmen. „Heute würde man das vielleicht Praktikum nennen“, erzählt er. Daraus wurde eine Lehrstelle. „Klassische Fassonschnitte waren damals in Mode, das war auch für die Gesellenprüfung Pflicht. Dann kamen die Amis mit den GI-Schnitten. Ganz kurz, wie ein Brett.“ Richards schnitt Bürstenfrisuren, seifte Ballons ein und rasierte sie, durfte sich dann auch mit dem Messer Kunden nähern. Drei Jahre lang dauerte die Lehre, dann wollte er weg, „raus aus der Eifel“.
Meisterbrief mit 21
Es verschlug ihn nach Bonn, kurz darauf nach Duisburg, wo er eine Meisterschule besuchte. Hier ereilte ihn auch der Einzugsbescheid der Bundeswehr. „Da war ich aber schon zur Meisterprüfung angemeldet“ – das habe ihm die Schule zumindest so bestätigt. Vielleicht war das aber auch nicht ganz der Fall, Richards erinnert sich nicht mehr genau und lacht.
Jedenfalls blieb er in Duisburg und bekam mit 21 Jahren den Meisterbrief als jüngster Friseur in Nordrhein-Westfalen, was nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Handwerkskammer möglich war.
Umzug an die Obermauerstraße
Nach einigen Zwischenstationen in Düsseldorf kam er 1976 zurück und eröffnete an der Gutenbergstraße seinen eigenen „Herren Spezialsalon“. Über Jahrzehnte prangte dieser Name in aufdringlicher 70er-Jahre-Typografie dort im Fenster. „Viele Leute aus dem Rathaus sind zu mir gekommen“, denn es waren ja nur wenige Meter bis zum Salon. Stadtdirektoren, Amtsleiter: Jeder hatte etwas zu erzählen – und ein Interesse daran, was die anderen so treiben. „Mir wurde viel Privates erzählt, was sonst keiner hört, aber ich habe es nie weitergegeben“, betont Richards. „Der eine hat gefragt, was der andere so macht. Meine Antwort: Ich weiß es nicht.“
Der Friseur hörte nur zu, wickelte Locken für den Minipli, schnitt Pilzköpfe. 30 Jahre änderte sich im Salon wenig, außer der Haarmode. Bis 2006 mit Christiane Alt eine Kollegin einzog. Mit ihr ließ sich Richards schließlich vor vier Jahren auf eine Veränderung ein: Er zog eine Ecke weiter an die Obermauerstraße. Der Friseursalon ist nun in ein Café, das „Glück“, integriert. Aus Umbau und Renovierung hielt sich Richards raus, das war ihm zu viel Stress. Er schnitt einen Tag vor der Eröffnung noch an der Gutenbergstraße, kam dann einfach mit seinem kleinen Täschchen rüber. „Man muss doch mal was Neues machen“, sagt er. Sänger wechseln schließlich auch ihre Bühnen.