Dortmund. „Es steht wirklich etwas auf dem Spiel!“: Auf seiner Wahlkampftour hat Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck am Montag in Dortmund Halt gemacht.
Politischer Brunch in Bochum, politische Mittagspause in Dortmund, und danach zur Abendveranstaltung nach Frankfurt. Vielleicht noch ein Zwischenstopp irgendwo entlang der A45. Robert Habecks Tag ist mit Terminen vollgepackt, auf seiner Deutschlandtour geht‘s Schlag auf Schlag. Da passiert auch interessierten Bürgern mal ein Planungsfehler. Wie Stephan Meyer aus Dieburg bei Darmstadt: Er wollte zur Wahlkampfveranstaltung in Frankfurt – ist aber in Dortmund gelandet. „Ich habe den falschen Termin angeklickt und war plötzlich hier angemeldet“, sagt er. Der 61-Jährige kam trotzdem in den Westfälischen Industrieclub. Um 5 Uhr sei er losgefahren. Mit dem Zug – Ausfälle, Umwege und Verspätungen inklusive. „Ich wollte einfach mal den Habeck sehen“, sagt er.
+++ Folgen Sie der WAZ Dortmund auf Facebook und Instagram +++
Damit war er am Montagmittag nicht allein: 300 Menschen waren zur „Politischen Mittagspause“ an den Alten Markt gekommen. „Und wir hätten noch 300 Interessenten mehr gehabt“, sagt Dortmunds Grünensprecher Marek Kirschniok. „Mal den Habeck sehen“ wollten offenbar viele. Nach ein paar einleitenden Worten der Dortmunder Grünen-Direktkandidatinnen Hannah Rosenbaum und Tina Wilken betrat Kanzlerkandidat Robert Habeck die provisorische Bühne im großen Industrieclub-Saal.

Dass zu einer „politisch maximal ungünstigen Zeit“ so viele Menschen gekommen seien freue ihn, sagte Habeck – und meinte damit nicht (oder nicht in erster Linie) die politische Großwetterlage im Land, sondern die zeitliche Lage der Veranstaltung. Mitten am Tag, über Mittag. Dafür gab‘s für die Gäste aber auch ein handfestes Mittagessen mit Kürbissuppe, Crackern, Brot und Dip.
Die politische Eskalation der vergangenen Tage nahm einen großen Teil seiner Rede ein. „Der Wahlkampf nimmt eine ganz andere Wendung als erwartet“, so Habeck. Aber Profit daraus zögen nicht die, die am lautesten schreien und „miese Stimmung machen“, sondern die Grünen: „Uns rennen die Leute die Bude ein.“ Selten habe es so viele Parteieintritte gegeben wie jetzt gerade. „Die Menschen haben Angst davor, was in Deutschland droht“, schildert der Kanzlerkandidat. Wie der verunsicherte Unternehmer, der ihn letztens angerufen habe: „Bei mir arbeiten Leute aus 20 Nationen. Was wird denn dann aus denen?“, habe er gefragt. Einer gesellschaftlichen Spaltung erteile Habeck aber eine klare Absage. „Solidarität ist nicht nur eine Floskel“, versicherte er allen, „die jetzt besonders Angst haben, die nicht Müller, Meier oder Habeck heißen.“
Habeck zieht drei Unterscheidungslinien: EU, Klima, Gesellschaft
Nach einem wahlkämpferischen Exkurs über die drei Unterscheidungslinien zwischen Grünen und anderen Parteien (1. starke Rolle Deutschlands in der EU, 2. klare klimapolitische Ausrichtung der Wirtschaft, 3. die Gesellschaft zusammenhalten und das Leben wieder bezahlbar machen) kehrte Habeck zurück zu dem Thema, dass die politische Agenda in den letzten Tagen bestimmt hat: Der Anlauf von Friedrich Merz (den Namen nannte Habeck nie), seinen Fünf-Punkte-Plan zur Migration mit Stimmen der AfD durchzubringen.

Klar, das offenbare „Vollzugsdefizit“ in Deutschland müsse man beheben und diejenigen abschieben, die „Böses getan“ und kein Bleiberecht in Deutschland haben, so Habeck. „Das ist ein Durchsetzungsproblem, das danach schreit, angegangen zu werden.“ Mit dem „nicht funktionierenden europäischen Asylsystem“ sei das nicht zu schaffen. „Das ist ein sehr, sehr emotionales Thema, aber die Diskussion muss geführt werden.“ Aber eines gehe in einer Demokratie nicht: „Bockig zu sagen: ‚Ich kriege meinen Willen nicht und setze mich jetzt über das Recht hinweg.‘ “ Das dürfe ein Politiker nicht tun, „der von sich behauptet, er könne eine Regierung führen.“
Robert Habeck: Antwort auf Schwarz kein helleres Schwarz, sondern Bunt
Mit Rechtsextremisten zusammenzuarbeiten sei in der europäischen Historie immer das Ende der konservativen Parteien gewesen, so Habeck. „Es ist die falsche Antwort zu sagen: ‚Wenn der Populismus schwarz ist, machen wir halt ein helleres Schwarz.‘ Niemand wird für Grau gewählt werden.“ Die Antwort auf Schwarz sei stattdessen die „bunte, vielfältige Gesellschaft.“
Die Wochen bis zur Bundestagswahl seien Entscheidungswochen, wie es sie selten in der deutschen Geschichte gegeben habe. „Es steht wirklich etwas auf dem Spiel – materiell, aber auch politisch-kulturell bei der Frage, wer wir als Land sein wollen“, schloss Habeck voller Überzeugung.
Zeit für eine echte Diskussion mit den 300 Gästen im Saal gab es danach kaum noch. Drei Publikums-Fragen zu Umfragewerten, Fachkräfte-Einwanderungsgesetz und AfD-Verbotsverfahren hakte Robert Habeck zügig ab – eine weitere zum Umgang mit dem anti-grünen Agenda-Setting der Bild-Zeitung blieb weitgehend unbeantwortet. Für den unfreiwillig weitgereisten Stephan Meyer aus Dieburg habe sich die Fahrt nach Dortmund dennoch gelohnt, sagt er: „Ich finde es enorm wichtig, dass man sich mit Politik auseinandersetzt – gerade jetzt, an einem politischen Scheidepunkt.“