Dortmund. Das Westfalenstadion ist ein Synonym für viele Dinge: grandiosen Fußball und legendäre Stimmung genauso wie für Größenwahn und Abstiegsangst. Am 2. April 1974 wurde es eingeweiht.
Das Westfalenstadion ist ein Synonym für viele Dinge: grandiosen Fußball und legendäre Stimmung genauso wie für Größenwahn und Abstiegsangst. Am 2. April 1974 wurde es eingeweiht.
Um 18.18 Uhr war es soweit: Das erste Tor im neu eröffneten Dortmunder Westfalenstadion fiel. 18 Minuten waren zwischen dem TBV Mengede und dem VfB Waltrop gespielt. Es war die 17-jährige Elisabeth Podschwadtke vom TBV, der die Ehre zuteil wurde, den ersten Ball im neuen Stadion in die Maschen zu setzen. Mengede verlor mit 1:2. Nach dem Damen-Kick folgte die eigentliche Eröffnung. Borussia Dortmund empfing die Mannschaft des Revierrivalen Schalke 04.
Die Knappen aus Gelsenkirchen gewannen 3:0 und waren voll des Lobes für die neue Arena. „Wir stehen hier in Deutschlands bestem WM-Stadion“, schwärmte Klaus Fichtel. Sein Mannschaftskamerad Rolf Rüssmann befand: „Dieses Stadion ist absolute spitze in Deutschland.“ Der Kölner Nationalspieler Wolfgang Overath fand jedoch ein Haar in der Suppe: „Diese Anlage hat einen Nachteil – sie steht nicht in Köln.“ Bundestrainer Helmut Schön war schon ein Jahr vor der Eröffnung begeistert: „Dieses Stadion wird auf der Welt nur vom Aztekenstadion in Mexiko übertroffen.“
Dabei war das Westfalenstadion in seiner ursprünglichen Form ein Billigmodell in Fertigbauweise. Nach englischem Vorbild entstand an der Strobelallee eine Arena mit vier einzelnen Tribünen. Alle Planungen – vor allem im finanziellen Bereich – hingen eng mit der WM 1974 in Deutschland zusammen. Ein langes Hickhack um den Austragungsort Dortmund und den damit zusammenhängenden Stadionbau war die Folge. Mittendrin: der DFB, der mit hohen Anforderungen die Kommunen ans finanzielle Limit drängte. Einige Städte schlossen sich sogar zusammen, um gegen die DFB-Vorgaben zu protestieren. Dortmund spielte dabei eine führende Rolle. Die Quittung dafür erhielt die Stadt am 17. Mai 1971, als der Chef des WM-Organisationskomitees Hermann Neuberger den verdutzen Planern verkündete, Dortmund sei endgültig aus dem Rennen um eine WM-Arena.
Somit drohte Dortmund nicht nur in sportlicher Hinsicht den Anschluss zu verlieren. Der BVB stieg in die Zweitklassigkeit ab und hatte mit großen finanziellen Sorgen zu kämpfen. Die Mannschaft musste ihre Spiele in der altehrwürdigen, aber maroden Kampfbahn Rote Erde austragen. Ein neues Stadion hätte der Stadt und dem Verein neuen Schwung gegeben. Bei den Machern um Sportdezernent Erich Rüttel reifte nun der Gedanke, auch ohne WM ein Stadion zu bauen – möglichst günstig in Palettenbauweise und komplett überdacht. Die Landesregierung sagte zu, den Bau auch ohne WM-Spiele zu fördern.
Rüttel fand außerdem eine Hintertür, wie Dortmund doch noch zur WM-Stadt werden konnte: als Ersatzspielort. Tatsächlich zog Köln im August 1971 seine Bewerbung zurück – Dortmund wurde WM-Stadt und hatte das billigste aller WM-Stadien (der Bau kostete nur 33 Millionen Mark). Fehlte noch ein Name. Die Leser der Westfälischen Rundschau votierten in einer Umfrage für den Namen „Westfalenstadion“ – passend zum Westfalenpark und zur Westfalenhalle.
Das Westfalenstadion war bei der WM Austragungsort eines der besten Spiele der gesamten Titelkämpfe, als die Niederlande auf Weltmeister Brasilien trafen. Nun fehlte noch eine Bundesligamannschaft. Der BVB dümpelte während der gesamten Bauzeit in der zweitklassigen Regionalliga herum. Auch in der zweiten Liga Nord konnten die Borussen nicht überzeugen. In der Saison 1973/1974 verirrten sich im Schnitt 8.900 Zuschauer in die Rote Erde. Das Stadion, in dem der BVB 1963 die Startruppe von Benfica Lissabon 5:0 vom Platz fegte, drohte das Grab der Borussia zu werden. Doch dann kam das Westfalenstadion.
In der ersten Saison im neuen Stadion sahen im Schnitt 25.400 Fans die Spiele des BVB, oder sie kamen einfach trotz der Spiele des BVB. Die Dortmunder gingen „Stadion kucken“. Egal ob es regnete, schneite oder ein Gegner vom Kaliber der SpVgg. Erkenschwick drohte – das Westfalenstadion allein war das Eintrittsgeld wert. In der zweiten Saison stieg der Zuschauerschnitt noch einmal. Die durch die Einnahmen gesundete und erstarkte Borussia spielte um den Aufstieg mit und schaffte 1976 in der Relegation gegen den 1. FC Nürnberg die Rückkehr in die Bundesliga.
In der Folgezeit wurde das Westfalenstadion berühmt, obwohl es lange Zeit keinen internationalen Fußball sah. Auch die Nationalmannschaft ließ sich höchstens gegen Mannschaften wie Malta oder Albanien im einst so hochgelobten Stadion blicken. Der BVB war weit von den internationalen Plätzen entfernt. Europacup-Flair kehrte erst am 15.9.1982 für einen Tag ein. Der BVB empfing im UEFA-Cup die Glasgow Rangers, spielte 0:0 und schied nach einem 0:2 im Rückspiel aus. Bevor das Westfalenstadion dauerhaft zum Schauplatz europäischer Spiele werden sollte, wurde es Zeuge eines der spannendsten Spiele der deutschen Fußballgeschichte, das bis heute prägend für alle BVB-Fans ist.
1986 musste der BVB in der Relegation gegen Fortuna Köln antreten. Nach einem 0:2 im Hinspiel mussten die Borussen mit drei Toren Unterschied gewinnen. Oder mit zwei Toren, um zumindest ein Entscheidungsspiel zu erzwingen. Doch zur Pause führten die Gäste aus der Kölner Südstadt mit 1:0. Der BVB stand am Rande der Zweitklassigkeit. Erst in der 54. Minute gelang Michael Zorc der Ausgleich. Der BVB rannte an, fand aber immer und immer wieder im Kölner Torwart Jarecki seinen Meister. Raducanu erhöhte nach 68 Minuten auf 2:1 – immer noch nicht genug. Jarecki hielt, was es zu halten gab und dem Sturmlauf der Dortmunder und den Anfeuerungsrufen der Südtribüne stand. Das Spielende drohte, die Fans schwankten zwischen frenetischem Anfeuern und hoffnungslosem Weinen. Irgendwie musste es klappen. Und es klappte! In der 90. Minute kam Jürgen Wegmann im Fünfmeterraum der Kölner an den Ball und stolperte das Leder ins Tor. Das Westfalenstadion hatte in diesem Moment sein erstes Tor „geschossen“ und den bis heute legendären Ruf der Südtribüne begründet. Diese Stehplatztribüne sog auch in den Folgejahren so manchen Ball in letzter Sekunde noch ins Tor. Lastminutetreffer waren keine Seltenheit, wenn der BVB in der zweiten Halbzeit Richtung Süden spielte.
In der Saison nach der Relegation erreichten BVB und Westfalenstadion den UEFA-Cup. Celtic Glasgow reiste an die Strobelallee und wurde 2:0 besiegt, nachdem die Dortmunder in der zweiten Halbzeit das Tor vor der Südtribüne bestürmten. Der Trainer der Schotten sollte nach dem Spiel zu dem Fazit kommen: „Wir haben heute nicht gegen Borussia verloren, sondern gegen diese Verrückten auf der Tribüne.
Der Mythos wuchs bis in die 90er Jahre hinein. Die Borussia drehte vor heimischem Publikum so manches Spiel und erkämpfte sich 1995 den ersten Meistertitel seit 32 Jahren. Ende der 90er Jahre kehrte der Größenwahn in Dortmund ein. Das Westfalenstadion wurde nach und nach ausgebaut. Zwischenzeitlich auf eine Kapazität von 69.000 Zuschauern, letztlich auf gut 80.000. Diese dritte Ausbaustufe, die Dortmund als Spielort für ein Halbfinale bei der WM 2006 qualifizierte, kostete den BVB beinahe die Existenz. Das Stadion, das den Verein aus der Versenkung der Zweitklassigkeit befreite, drohte ihn finanziell aufzufressen.