Dortmund.. Claudia K. sagte vor zwölf Jahren gegen ihren Ex-Freund aus, er habe sie vergewaltigt. Thomas Ewers, heute 45, saß dafür sieben Jahre in Haft. Nachdem die Mutter seiner Tochter ihre Aussage überraschend zurückgenahm, verhandelt nun das Landgericht Dortmund gegen sie - wegen Freiheitsberaubung.

Ein Vergewaltiger, dieser Thomas Ewers aus Hamm. Jedenfalls saß er dafür fast sieben lange Jahre in Haft, verbüßte seine Strafe bis zum letzten Tag. Als Kapitalverbrecher, als einer, der die Mutter seiner Tochter mit Handschellen an die Heizung kettete, der Jahre nach der Trennung bei ihr einbrach, um sie „brutal und unberechenbar“ zum Sex zu zwingen. So steht es im Urteil, denn so hat das Opfer es erzählt.

Nur sagt Claudia K. heute etwas anderes: „Alles nur erfunden.“

Deshalb steht die 41-Jährige seit Mittwoch nun selbst vor dem Dortmunder Landgericht, demselben, vor dem sie vor zwölf Jahren als Zeugin aussagte. Diesmal ist er Nebenkläger und sie Angeklagte: wegen Freiheitsberaubung, „mittelbar“, sagen Juristen, sie hat ihren Ex-Freund ja nicht persönlich eingesperrt.

Aber angezeigt hat sie ihn damals, zusammen mit dem neuen Lebensgefährten, der als mutmaßlicher Anstifter neben ihr sitzt. Man habe den längst Verflossenen damals loswerden wollen, gesteht Claudia K.: „Herr Ewers hat uns immer aufgelauert.“ Die Staatsanwältin sagt: „Tatsächlich vergewaltigte er sie nicht.“

Die Angeklagte sagt, sie habe sich unter Druck gesetzt gefühlt

Ob das nun so stimmt, will der Vorsitzende Richter wissen. Claudia K. nickt. Die schwarz gefärbten langen Haare hängen wie ein Vorhang vor ihrem Gesicht, man hört kaum mehr von ihr als ein Schniefen, sieht nur ihre Kopfbewegung. „Alles nur erfunden?“ Nicken. Die Sache mit den Handschellen auch nicht wahr? Nicken. „Nichts gewesen?“ Nicken. „Auch erfunden?“ Am Ende seufzt selbst der erfahrene Richter Thomas Kelm schwer. „Aber warum??“

Sie habe sich unter Druck gesetzt gefühlt, bekommt er durch mühsames Nachfragen heraus. Auch eine Einstweilige Verfügung gegen den Ex habe diesen nicht davon abgehalten, ihre neue junge Familie zu belästigen. Auch habe der heute mit ihr Angeklagte Angst vor Ewers gehabt.

Und also diese Idee: Sie solle die Vergewaltigungen erfinden. Sonst, habe er gedroht, werde er der Tochter etwas antun. „Dabei hat er seine Hand auf ihren Mund und ihre Nase gelegt.“ Claudia K. spricht leise, bringt kaum einen Satz zu Ende, hält sich krampfhaft am Riemen ihrer Leinenhandtasche fest, versteckt sich hinter den riesigen Gläsern ihrer schwarzen Sonnenbrille.

2002 wirkten die die Horrorgeschichten "glaubhaft"

Schwer vorstellbar, dass dieselbe Frau im Zeugenstand und gegenüber der Polizei detailreiche Horrorgeschichten erzählt hat, die die damalige Kammer ausdrücklich als „glaubhaft“ und „nachvollziehbar“ bezeichnete. Im Urteil findet sich auch der überzeugte Halbsatz, „dass die Zeugin sich das nicht ausgedacht haben kann“. Dabei saß ihr damals wie heute dieser kräftige Mann gegenüber, ihre Jugendliebe schon mit 15, der standhaft behauptet: „Ich habe das nicht getan.“ Der deshalb auch keine „mildernden Umstände“ bekam.

Hier begegnen sich zwei, die einander nie mehr begegnen wollten. „Ich will keinen Kontakt“, sagt sie; „ich mag sie am liebsten gar nicht sehen“, sagt er am Morgen vor der Tür. Trotzdem ist es schon das zweite Treffen in dieser Woche: Am Montag ging es am Landgericht Essen um eine Wiederaufnahme seines Verfahrens, entschieden ist noch nichts. Aber auch dort hat Claudia K. bestätigt, was sie erst nach der Trennung vom Mitangeklagten in einem Brief niederzuschreiben wagte: „Die vorgeworfenen Vorwürfe sind frei erfunden. Ich kann mit dem schlechten Gewissen nicht mehr leben.“

Mitangeklagter bestreitet Anstiftung

Diesmal aber, im öffentlichen Strafverfahren, sind die Beiden nicht allein. Da ist ihr Ex-Partner David K., Vater ihres zweiten Kindes und Mitangeklagter: Der sagt, wenn er nicht grinsend schweigt, er habe nur weitergegeben, was seine Freundin ihm erzählt habe. Da ist Ewers’ Schwester, da sind die jeweiligen neuen Partner. Schon in der Warteschlange kommen die Parteien sich zu nah, es gibt Wortwechsel, Schubser und Tränen, später fällt im Saal das Wort „Schlampe“.

Thomas Ewers (45) bekommt das nicht mehr mit, er verlässt nach der Anklage den Saal. Er will das alles nicht mehr hören, was er aus dem alten Urteil kennt: dass er seine Freundin geschlagen habe, ihr nachstellte, ihr drohte mit einem Messer, sie am Arm aus einer Kneipe schleifte.

Dazu sein Vorstrafenregister. Er ist kein Unschuldsengel, dieser Ewers, wenn auch womöglich kein Vergewaltiger. „Aber sie hat mir sieben Jahre meines Lebens genommen.“ Verzeihen, sagt er, „geht nicht“. Aber hoffen kann er – dass er sich nach drei Jahren in Freiheit bald befreit fühlen darf.