Dortmund. „Wer bändigt die Hooligans“, fragte der WDR und lud zu einer Diskussion nach Dortmund. NRW-Innenminister Ralf Jäger und Experten sollten sich des Problems der Fangewalt annehmen. Am Ende kreiste die Debatte aber einmal mehr um das Verhalten der Polizei – und endete mit einem ungewöhnlichen Angebot.
Der Titel der Podiumsdiskussion, die der WDR für seinen Inforadio WDR 5 am Dienstag im Dortmunder Harenberg Center aufgezeichnet hat, klingt martialisch und reißerisch: „Wer bändigt die Hooligans? Damit Fußball wieder Spaß macht...“ Mit entsprechendem Unverständnis reagierten denn auch die vier Diskutanten: Fansprecher Jan-Henrik Gruszecki, Fan-Forscherin Judith von der Heyde, BVB-Fanbeauftragter Jens Volke sowie NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Unisono vertraten sie die Meinung, es mache nach wie vor Spaß ins Stadion zu gehen.
„Mehr Fußball, weniger Drama“, forderte Fan-Forscherin von der Heyde, die gut ein Jahr lang eine Ultra-Gruppe wissenschaftlich begleitet hatte. „Mehr Entspannung, bitte“, verlangte Volke. Und auch der als Hardliner bekannte Jäger widersprach dem Motto des Abends: „Ich fühle mich immer noch sicher, wenn ich mit meinen Kindern ins Stadion gehe.“
Auch befragte Zuschauer wünschten sich eine „Versachlichung der Diskussion“ um Gewalt. Das Thema sei letztlich zu großen Teilen ein „Medien-Hype“. Im Stadion sei die Stimmung bei weitem nicht so negativ wie sie dargestellt werde.
„Als Fan hat mehr mit der Polizei zu tun als mit gegnerischen Fans“
Die anfängliche Harmonie wurde jedoch durch Gruszeckis Eingangs-Statement gestört: „Es macht mir immer noch Spaß. Als Fan hat man mehr mit der Polizei zu tun als mit gegnerischen Fans“, sagte der als Fan-Lobbyist geladene BVB-Fan – und gab damit die Stoßrichtung für die kommende Stunde vor. „80.000 Menschen gehen nicht ins Stadion, weil sie lebensmüde sind.“ Gewalt sei kein Fußball-, sondern ein Alltagsphänomen: „ Vor jeder Disco steht nachts ein Polizeifahrzeug. Es nervt, dass das Gewaltproblem der Gesellschaft dauernd auf den Fußball projiziert wird“, so Gruszecki.
Judith von der Heyde berichtete kurz von ihren Erfahrungen mit der Ultra-Gruppe. Dort sei es meist sehr entspannt zugegangen und sie habe sich sicher gefühlt. „Gefährlich war es immer, wenn Polizei dabei war. Da steht oft so viel Polizei und man weiß überhaupt nicht, warum“, resümierte sie. Ultras lebten schließlich eine Form der Jugendkultur und Auswärtsfahrten seien so etwas wie Klassenfahrten – nur ohne Lehrer.
Diskussion drehte sich im Kreis
Das brachte Innenminister Ralf Jäger auf den Plan: „30 Prozent der Einsatzstunden der Einsatzhundertschaften werden bei Fußballspielen geleistet“, so der Fan des MSV Duisburg. „Dann setzen Sie doch weniger ein“, entgegnete Gruszecki und erntete zustimmendes Gelächter aus dem Publikum. Weite Teile der Diskussion drehten sich dann immer im Kreis um die Frage, ob die Polizei weniger Personal einsetzen könne. Die Fans im Publikum und die Experten im Panel waren sich einig: Weniger Polizeipräsenz oder deeskalierendes Auftreten ohne Kampfmontur würden auch zu weniger Fangewalt führen.
Jäger hielt dem entgegen, er müsse sich Vorwürfe gefallen lassen, zu wenig Beamte eingesetzt zu haben, wenn eben doch einmal etwas passiere. Allerdings stimme es, dass die Einsatzkonzepte der deutschen Polizeien zu unterschiedlich seien und dass deeskalierende Konzepte erfolgreicher seien.
Dennoch wurde deutlich, dass der Innenminister und die Fans völlig aneinander vorbei reden. Jäger betonte zwar, er wolle die deutsche Fankultur mit Stehplätzen und den vielen Freiheiten erhalten, führte aber immer wieder die ein bis zwei Prozent gewaltbereiter Fans an und verstieg sich allzu oft zu einer Gleichsetzung von Ultras und Gewalt. Eine Darstellung, der aus dem Publikum und von Jan-Henrik Gruszecki vehement widersprochen wurde.
„Lassen Sie die friedlichen 98 Prozent in Ruhe“
Ältere Fans meldeten sich zu Wort und sagten, sie fühlten sich ebenfalls eher durch die Polizei denn durch Ultras bedroht. „Da stehen vermummte und verkleidete Armeen. Das hat automatisch eine negative Ausstrahlung auf die Fans“, sagte einer. Und ein weiterer fügte hinzu: „Wenn ich mit dem Sonderzug zu einem Auswärtsspiel fahre, werde ich von der Polizei meiner Reisefreiheit beraubt. Kümmern Sie sich um die zwei Prozent Gewalttäter, aber lassen Sie die friedlichen 98 Prozent in Ruhe.
Ich bin 60 Jahre alt und darf im Bahnhof nicht mal auf die Toilette.“Jäger ging darauf nicht ein, widmete sich den Ultras und dem gescheiterten Dialog zwischen Polizei und dieser besonderen Fan-Gruppierung. Es war deutlich zu merken, dass Jäger und Ultras weit davon entfernt sind, ein entspanntes Verhältnis zueinander aufzubauen.
Fan-Forscherin von der Heyde ging schließlich noch auf die Hooligan-Thematik ein, die sie ebenfalls für stark übertrieben halte. Hooligans habe es schon immer gegeben. Neu sei, dass sie in letzter Zeit wieder verstärkt in Erscheinung treten. Die Auseinandersetzung in der Kölner Innenstadt, bei der ein Schalker Hooligan schwer verletzt worden war, sei zwar neu, aber „keine neue Dimension der Gewalt“. Sie warnte vor einer Überdramatisierung.
Fans sollen sich von Gewalttätern abgrenzen
Jäger verlangte wiederum von den Fans, sich stärker von Gewalttätern abzugrenzen, da sonst die gesamte Fankultur in Gefahr sei. Jens Volke warnte vor drastischen Maßnahmen und schilderte die Situation in Italien oder den Niederlanden. Dort könnten Fans nur gesammelt zu Auswärtsspielen fahren, was die Konsequenz habe, dass etwa ein Ajax-Fan, der in Enschede wohnt, nicht von zu Hause aus zum Auswärtsspiel von Ajax in Enschede gehen dürfe, sondern erst nach Amsterdam fahren müsse, um gemeinsam mit den anderen Ajax-Fans zum Spiel an seinem Wohnort zu reisen.
Nach dem Spiel müsse er dann wieder nach Amsterdam zurück, von wo aus er dann wieder nach Enschede fahren könne. Durch solche Maßnahmen halte man genau das Publikum aus den Stadion fern, das dort gewünscht werde: Familien, die sich den Stress einer komplizierten Fahrt nicht antun wollen. „Die, wegen denen diese Maßnahmen eingeführt worden sind, fahren trotzdem“, so der BVB-Fanbeauftragte.
GewaltHoffnungen auf friedliches Revierderby
Am Ende sollten die Teilnehmer ihre Erwartungen zum anstehenden Revierderby zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 verraten – abseits des Sports. Doch das Spiel wollte keiner mitspielen. „Es geht um Sport. Ich hoffe, dass der BVB gewinnt und dass es nach dem Spiel keinen ARD-Brennpunkt gibt“, so Gruszecki. Judith von der Heyde warnte vor einem Medienhype, der die Gewalt in den Vordergrund rücke: „Diese Diskussion ist ja nicht umsonst vor dem Derby angesetzt worden“, kritisierte sie.
Jens Volke mochte ebenfalls nur eine rein sportliche Betrachtung abgeben und betonte, dass es mal wieder Zeit für einen Heimsieg sei. Die Fragen nach Gewalt nervten ihn: „Ständig werde ich gefragt, was denn wohl passieren wird. Ich weiß es nicht. Wollen Sie denn, dass etwas passiert?“ Für ihn sei die ständige Frage nach Gewalt eine selbsterfüllende Prophezeihung, da die ständige Thematisierung „die falschen Leute anlockt.“
Jäger lädt Fan-Vertreter zum Polizeieinsatz ein
NRW-Innenminister Jäger wollte sich sportlich nicht festlegen, hofft aber auf ein friedliches Derby. Und am Ende reichte er seinem Haupt-Kontrahenten Jan-Henrik Gruszecki noch verbal die Hand: „Ich lade Sie ein, einen Fußballeinsatz auf Seiten der Polizei zu begleiten“ – ein Angebot, dass Gruszecki, so verriet er nach der Diskussion, wohl auch gerne annehmen wird.
WDR 5 sendet die Diskussion am Donnerstag um 20.05 Uhr.