Dortmund.. Ein düsteres Familien-Geheimnis decken Jörg Hartmann als Psycho-Cop und sein Dortmunder Team auf. Dahinter steckt Top-Regisseur Stephan Wagner.

Noch laufen die Dreharbeiten für den Dortmunder "Tatort: Hundstage". Das Drehbuch schrieb Christian Jeltsch, in Szene gesetzt wird vom Thriller-Experten Stephan Wagner. Jürgen Overkott sprach mit dem Regisseur.

In Ihrem „Tatort“ geht es um Familie. Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Stephan Wagner: Wir stellen uns die Frage: Was ist Familie? Ist Familie das, woraus wir geboren sind, oder ist Familie das, was wir angenommen haben? Entspricht das gelebte Familienbild dem gelernten Familienbild?

Einer der prägendsten Familien-Filme ist „Der Pate“. Gibt es eine Verbindung zwischen der Mafia-Saga und Ihrem „Tatort“?

Wagner: Egal wie groß der Clan ist und egal auf welcher Seite des Gesetzes er steht: „Der Pate“ zeigt uns, dass sich Familien am Ende des Tages alle mit den gleichen Problemen herumschlagen.

Welche Filme haben Sie geprägt?

Wagner: Das Umfeld, in dem ich meine Ausbildung gefunden habe, hat mich geprägt: in der Filmakademie in Wien. Das ist ein Pool, aus dem ich heute noch schöpfe, was dem Filmhistorische, aber auch was das Aktuelle betrifft. Mir geht es darum, Stoffe so zu erzählen, dass sie den Zuschauer auf besondere Art erreichen.

Drehen wir das Rad der Geschichte weiter zurück. Wir befinden uns in dem Jahr, in dem Stephan Wagner 14 Jahre alt war. Was hat Sie begeistert?

Wagner: (lacht) Das kann ich Ihnen ziemlich genau sagen. Ich komme aus einer Familie, in der Film und Fernsehen nicht zu den Künsten gehörten, die zu fördern waren. Zu fördern waren: Musik, Literatur und Theater. Fernsehen und Kino waren ein Abfallprodukt dessen. Ich habe mich aus meinem Naturell heraus, dass das Verbotene interessant sein muss...

Sie wären vermutlich auch aus dem Paradies vertrieben worden...

Wagner: ...wahrscheinlich... und deshalb habe ich mich in den wenigen Zeitfenstern, die ich hatte, umso intensiver mit dem Verbotenen beschäftigt. Meine ersten Kinobesuche fanden im Alter von zwölf Jahren statt; sie lagen sehr eng zusammen.

Der erste Kinobesuch fand mit meinen Eltern zusammen statt. Sie wollten mich an die höhere Form der niederen Kunst heranführen: sie wählten „Mon Oncle“ von Jacques Tati. Und ein paar Tage später habe ich dann „Die glorreichen Sieben“ angesehen. Das war unter der Kulturschwelle meiner Eltern. In diesem Spannungsfeld beweg ich mich noch heute.

Was sagen Ihre Eltern gesagt, als Sie ausgerechnet ein Filmstudium anfingen?

Wagner: Für eine Familie, in der bürgerliche Sicherheit ein hohes Gut ist, war das erst mal ein Schock. Erst als die erste Anerkennung über die entstandenen Arbeiten von außen kam, entstand so langsam die Perspektive, dass mein Schritt möglicherweise doch der richtige war.

Hat Ihre Familie in dem Sinn aufgearbeitet, dass sie sagte: Na, wenigstens geht er nicht nach Hollywood?

Wagner: Nein, im Gegenteil, das hätte dem Erfolgskonzept meiner Familie entsprochen. Und es hätte auch zu meiner persönlichen Frühausrichtung gepasst. Meine ersten Kinderjahre habe ich in Australien verbracht. Und später, in Mainz, habe ich meine Schullaufbahn wegen mangelnder Deutsch-Kenntnisse in einer Grundschule der amerikanischen Armee begonnen. Insofern wäre der Weg nach Hollywood viel eher zu erwarten gewesen.

Sie aber haben sich für Deutschland entschieden...

Wagner: ...und das hat mich der Frage zu tun, wo ich kulturell herkomme. Ich bin dann doch der Sprache und Denkweise tiefer verhaftet, als ich das anfangs selbst geglaubt habe.

Die Aussicht, in den USA mit den ganz großen Budgets zu arbeiten, hat Sie nicht gereizt?

Wagner: Ich habe die gleiche Sehnsucht, die viele meiner Kollegen teilen: den Traum, alle erzählerischen Instrumente für einen Film zur Verfügung zu haben. Ich habe aber auch die Sehnsucht nach der Freiheit in der Arbeit. Und diese Sehnsucht ist die größere.

Umgekehrt: Ich habe erlebt, dass die Größe von Budgets auch mit dem Schwinden schöpferischer Freiheit verbunden war. Das führt zu dem äußeren Druck, bei der Wahl der erzählerischen Mittel im Zweifelsfall auf Nummer sicher zu gehen, und das führt zu einem Verlust der Leichtfüßigkeit, die der Zuschauer spürt.

Nun gibt es gerade beim Dortmunder „Tatort“ eine ganze Menge Vorgaben, allein weil das Ensemble der Ermittler aus vier Figuren besteht. Was hat Sie gereizt, für Dortmund anzuheuern?

Wagner: Zum einen hat es mich gereizt, weil das Ensemble aus Schauspielern besteht, mit denen ich teilweise schon mehrfach gearbeitet habe. Zum anderen spielt die Zusammenarbeit mit Frank Tönsmann, dem verantwortlichen Redakteur, eine Rolle. Er hat mir versichert, dass die Form von Freiheit, um nicht zu sagen: Free-Jazz, die ich für das Gelingen des Projekts brauche, gegeben ist.

Welche Figur des Ensembles ist für Sie die spannendste?

Wagner: Ich finde die ganze Konstellation sehr spannend. Die Rolle Faber, die mit ihrer ungewöhnlichen Veranlagung, stand häufig im Vordergrund. Unser „Tatort“ ist aber auch der Versuch, die übrigen Figuren in ein anderes Verhältnis zu bringen – weil unser Faber in dieser Folge nicht ganz so funktioniert, wie er sich das selber vorgestellt hat.

Wo in Dortmund drehen Sie vor Ort?

Wagner: Wir sind hauptsächlich im Bereich des Stadthafens unterwegs. Unsere Geschichte nimmt dort ihren Ausgangspunkt. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, so viel Dortmund-Flair wie nur irgend möglich, in den Fall einzubauen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es wichtig für den Zuschauer ist, die Geschichte auch räumlich zu verankern und nicht im luftleeren Raum zu erzählen.

Die steinernen Schauspieler erzählen im Film eine stumme Geschichte.

Wagner: Wir werfen in dem Film einen besonderen Blick auf das Thema Familie, und wir sehen, dass Dortmund eine Stadt ist, die vor besonderen sozialen Herausforderungen steht, gleichzeitig ist Dortmund eine Stadt mit Menschen, denen es sehr gut geht. Die Wirtschaftskraft der Stadt prägt Dortmund auch optisch. Auch das wird in unserer Geschichte spürbar sein.

Wie haben Sie sich der Stadt buchstäblich genähert?

Wagner: Wir haben versucht, einen Blick auf die Stadt zu finden; deshalb gehen wir in die Höhe. Allein schon dadurch gibt es einen klaren räumlichen Bezug.

Wie haben Sie das Dortmund-Flair aufgesaugt?

Wagner: Wir haben Motive vor Ort besucht. Wir wollten sich Dortmund wie irgend möglich in uns aufnehmen, was wichtig ist für die Szenen, die unter freiem Himmel spielen. Es ging uns darum, Wiedererkennungsmotive in unsere Geschichte einzuarbeiten.

Gibt es eine Geschichte, die das Dortmund-Gefühl auf den Punkt bringt?

Wagner: Ich hatte am Morgen vor Drehbeginn eine Begegnung mit einem alkoholisierten, aber sehr freundlichen Herrn. Die Spuren des Lebens hatten sich in sein Gesicht eingemeißelt. Er war zwar nicht mehr fahrtüchtig, aber er hat sich als Helfer für die Produktion angeboten. Im gleichen Moment fuhr ein Porsche an uns vorbei. Das Fahrzeug war lackiert wie der Roboter in „Star Wars“, C-3 PO, in diesem unwirklich schimmernden Gold. Besser kann man die Kontraste dieser Stadt nicht darstellen.