Dortmund.. Die Zahl der Konfessionslosen steigt jährlich um 200.000 Menschen. Nun formiert sich eine Gruppe, die den Ungläubigen eine Stimme gibt. Sie kämpft gegen konfessionelle Kindergärten und Krankenhäuser. Doch die scheinbar einheitliche Gruppe ist heterogen: Von Ketzern bis zu Spaghettimonster-Fans ist alles dabei.
Die ersten Schäfchen flüchten. Das Tor der Umzäunung, die nicht zufällig kreuzförmig ist, steht sperrangelweit offen. Irgendwer muss es aufgestoßen und der orientierungslosen Herde auch noch zugerufen haben: „Austreten, jetzt!“ Jörg Schnückel trägt dieses Szenario sinnbildlich auf der Brust, und man könnte meinen, er selbst sei dieser Lausbub gewesen, der an dem Tor Hand angelegt hat. Er, der Konfessionslose, stellt die Kirche und ihre gläubigen Schäfchen nämlich aktiv in Frage. Der Dortmunder vertritt eine Gruppe, die längst größer ist als die der Katholiken oder der Protestanten und die nun immer lauter wird. Es ist die Gruppe der Agnostiker, der Humanisten, der Atheisten. Kurz: der Ungläubigen.
Wie rasend schnell die Konfessionslosen expandieren, dürfte selbst den Christen Sorge bereiten: Seit 1990 verlassen jedes Jahr mehr als 200.000 Menschen die beiden Großkirchen, denen aktuell noch 24,6 Millionen (katholisch) und 24,1 Millionen Menschen (evangelisch) angehören. Konfessionslos sind hingegen etwas mehr als 30 Millionen. „Und sehr viele sind nur Christen auf dem Papier“, behauptet Schnückel und bekommt von einer repräsentativen Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2010 Recht. Dort heißt es: Nicht einmal jeder fünfte Katholik (17 Prozent) bezeichnet sich als „kirchennah“, fast jeder Zweite hingegen als distanziert, unsicher oder nicht religiös. Es sei, so Schnückel, deshalb einzig und allein ein mathematisches Phänomen, dass er und seine Mitstreiter nun auch mehr wahrgenommen würden: „Wo mehr Leute, da auch mehr, die den Mund aufmachen.“
Ketzer-Stammtisch in Münster
Inzwischen treffen sie sich regelmäßig: In Münster, beim Ketzer-Stammtisch. In Bochum, beim Treffen „Religionsfrei im Revier“. Daniela Wakonigg aus Münster und Gunnar Teriet aus Lünen leiten die Treffs. Studenten kommen hierher, Rentner, Mütter, Vollverdiener. Sie sehen sich als Interessenvertreter, als Stimme ihrer Zunft, die so politisch ist wie noch nie. Ihr „Parteiprogramm“, das nur in ihren Köpfen existiert, fordert vor allem eins: die strikte Trennung von Kirche und Staat. „Es darf keine konfessionellen Kindergärten oder Krankenhäuser mehr geben, in denen Mitarbeiter nicht mit ihrem Partner unehelich zusammenwohnen dürfen“, sagt Wakonigg, „Der Staat muss neutral sein.“ Zumal die Kirchen ohnehin nur einen kleinen Teil der Kosten an den Einrichtungen übernehmen, aber dennoch die Glaubensrichtung vorgeben – den Löwenanteil, im Schnitt 92 Prozent, zahlen nämlich die Kommunen.
Sie seien nicht missionarisch, betonen die Drei. Sie wollten lediglich zum kritischen Nachdenken anregen. Schon dies sei jedoch ausreichend, um angefeindet zu werden. „Gottloses Pack“ werden sie gerufen, als Menschen, die schon sehen werden, was sie „da oben“ erwarten wird. Über all dem stehen sie drüber.
In den USA will niemand Atheisten als Nachbarn haben
Viel nachdenklicher stimmt sie eine Studie aus den USA, die untersuchte, wie sich die Vorbehalte gegenüber gesellschaftlichen Randgruppen in den vergangenen Jahren verändert haben. Das Ergebnis: Alle werden positiver gesehen, Homosexuelle, Ausländer, Drogenkonsumenten. Nur die Atheisten, die wolle nach wie vor niemand als Nachbarn haben. Als Daniela Wakonigg von diesen Ergebnissen erfuhr, fiel sie ein zweites Mal vom Glauben ab: „Das hat mich erneut motiviert, mich zu engagieren und zu zeigen: Hey, Atheisten sind ganz normale Menschen.“
Menschen, die Beschneidung aufs Schärfste anprangern. Die gegen Religionsunterricht bis zum 14. Lebensjahr sind. Die wie Daniela Wakonigg, 39, Theologie studierten und desillusioniert wurden. Die wie Jörg Schnückel, 49, Hodenkrebs hatten – und trotzdem den Weg zurück zum Glauben nicht beschritten haben. „Wenn mir jemand beweist, dass es Gott gibt, glaube ich es auch“, sagt Schnückel denen, die nur verständnislos den Kopf schütteln. Und der den Gläubigen im Zweifel sein Totschlagargument serviert: „Im Namen des Humanismus’ wurde noch niemand ermordet.“
Das Fliegende Spaghetti-Monster
Allzu ernst nehmen sie sich nicht immer und versuchen mit provokanten, manchmal aber auch parodistischen Mitteln Aufsehen zu erregen. Wie etwa Nico Alm, ein Österreicher, der vorgab, an das Fliegende Spaghetti-Monster zu glauben und allen Ernstes darauf bestand, auf seinem Führerscheinfoto ein Nudelsieb auf dem Kopf zu tragen. Quasi als religiöse Kopfbedeckung. Er würde es als Demokrat nicht akzeptieren, dass manche gleicher seien als andere, insbesondere wenn diese ihre Sonderrechte auf unbeweisbare Behauptungen stützen würden. Die Behörden genehmigten nach drei Jahre langem Gezerre, obwohl die Polizei das Sieb nicht als „religiös“ anerkannte. Das wiederum ist widersprüchlich zum geltenden Recht in Österreich: Eine Kopfbedeckung ist auf Dokumenten verboten, es sei denn sie wird aus religiösen Gründen getragen.
Übrigens: Wer an das Fliegende Spaghetti-Monster glaubt, gehört dem Pastafaritum an. Eine Ulk-Glaubensgemeinde, eine Art Protestbewegung, die keine Dogmen duldet und den Großkirchen derzeit eins voraus hat: Sie gewinnt Mitglieder.