So wenig sagt die neue Statistik über Gewalt in Stadien aus
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Dortmund.. Jedes Jahr veröffentlicht die Polizei aktuelle Zahlen über Gewalt in Fußballstadien. Daraus entwächst stets eine Debatte über Sicherheit. Nachdem zunächst der Tenor “Es gab noch nie so viel Gewalt rund um Fußballstadien“ war, ist nun eine Debatte über die Aussagekraft der ZIS-Statistik entflammt.
Mehr Verletzte, mehr Strafverfahren, viel mehr Arbeitsstunden für die Polizei: Die aktuelle Statistik zur Gewalt im Fußball, die von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) für die Saison 2011/12 nun veröffentlicht wurde, zeichnet ein düsteres Bild. Doch die vermeintlich besorgniserregenden Zahlen liefern mehr Fragen als Antworten. Statt einer neuen Debatte um die Sicherheit in Fußballstadien ist nun eine Debatte um die Aussagekraft dieser Statistik entflammt.
Ausgelöst wurde dies insbesondere durch einen offenen Brief des Bündnisses aktiver Fußballfans (B.A.F.F.), das diese Statistik anprangert und die damit verbundene Diskussion als „Hysterie“ und als Grundlage für das „Klima der Verteufelung von Fußballfans und Ultras“ bezeichnet.
Randale bei Revierderby
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Das Bündnis aktiver Fußballfans wollte es nicht bei ihrer Kritik an der neuen Statistik zur Gewalt in Fußballstadien belassen. Sie stellte Fragen. Fragen, die Licht ins Dunkeln bringen sollten, das die Zahlen zuvor hinterlassen haben. Die zur WAZ-Mediengruppe gehörende Westfälische Rundschau leitete diese an die zuständige Behörde, die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), weiter – und erhielt erstaunliche Antworten.
Statistik ohne Aussagekraft
1142 Verletzte zählte die ZIS in der zurückliegenden Saison 2011/12. Dies ist ein deutlicher Anstieg zur Vorsaison (846). Aufgeschlüsselt zeigt sich: Unter den Verletzten waren 235 Polizeibeamte (Vorsaison: 243), 393 „Unbeteiligte“ (344) sowie 514 Fußballfans – sogenannte „Störer“. Letztere Zahl ist im Vergleich zur Vorsaison (259) fast um das Doppelte gestiegen. Stellt sich die Frage: Wer hat diese Verletzungen verursacht? Die Antwort der ZIS: Die Daten über Verursacher werden nicht erhoben. Dann eben anders: Gegen wie viele der verletzten Fußballfans wurde ein Strafverfahren eingeleitet? Die Antwort der ZIS: Die Daten werden nicht erhoben. „Natürlich ist es interessant, wie Verletzungen zustande kommen – ob durch Pfefferspray oder den Knüppel der Polizei oder rivalisierende Fangruppen“, sagt Fan-Anwalt Tobias Westkamp.
8143 Mal leitete die Polizei ein Strafverfahren ein. In der Saison zuvor waren es noch unter 6000. „Wichtig ist doch zu wissen, wie viele mangels Tatverdacht wieder eingestellt wurden“, sagt Westkamp. Schließlich könnten nur diese als Straftat gezählt werden. Deshalb stellten wir auch diese Frage der ZIS. Sie ahnen es: Diese Daten werden nicht erhoben.
Randale bei BVB 2 - KSC
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7 298 Mal zog die Polizei Fußballfans vorübergehend aus dem Verkehr. Dies waren damit 1137 freiheitsentziehende Maßnahmen mehr als in der Vorsaison. Allerdings: In Liga eins und zwei sind diese Zahlen fast gleich geblieben (plus 1 Prozent). Lediglich in internationalen Wettbewerben sind die Freiheitsentzüge explodiert. Allein bei internationalen Spielen haben sie sich mehr als verdreifacht und haben die Gesamtzahlen somit deutlich beeinflusst.
Polizei beklagt Überstunden
1,88 Millionen Einsatzstunden hat die Polizei abgeleistet. Im Jahr zuvor waren es „nur“ 1,56 Millionen Stunden. Was unter den Tisch fällt: Die Einsatzzeiten in der Bundesliga haben sich sogar verringert. Jedoch verdoppelten sie sich in der Zweiten Liga sowie in den internationalen Wettbewerben.
18,7 Millionen Besucher und damit 1,3 Millionen mehr (!) als in der Vorsaison waren 2011/12 anlässlich der 757 Partien im Stadion. Demnach betrug der Anteil der Verletzten gerade einmal 0,0051 Prozent. „Das Fußballstadion ist der sicherste Ort der Republik. Die Wucht der Debatte damit auch nicht nachvollziehbar“, resümierte Fan-Anwalt Tobias Westkamp. Kriminologie-Professor Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum geht im Gespräch mit der WAZ-Mediengruppe sogar noch einen Schritt weiter: „Wenn ich mit dem Auto zum Stadion fahre, ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem Verkehrsunfall verletzt zu werden, wesentlich größer als die Gefahr, beim Fußballspiel selbst Opfer zu werden.“
Übrigens: Die Westfälische Rundschau fragte zudem bei der ZIS nach, ob sich etwas an der Datenerhebung ändern würde, ob die Kritik künftig zu einer detaillierteren und damit aufschlussreicheren Statistik führen würde. Diesmal erhielten wir eine inhaltliche Antwort. Nämlich: nein.
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