Dortmund.. Gewalt beim Revier-Derby ist nicht neu. Doch so heftig wie am vergangenen Samstag war es in den vergangenen Jahren selten. Beobachter stellten eine ungewohnte Aggressivität der Fans auf beiden Seiten fest. Eine Zusammenfassung der Ereignisse.

„Dortmunder und Schalker Gewalttäter haben unser Sicherheitskonzept bewusst unterlaufen und sind entgegen der Ankündigung konspirativ angereist“, klagte der Einsatzleiter der Dortmunder Polizei, Dieter Keil, nach den Ausschreitungen vor dem Spiel.

Doch außergewöhnlich war die separate Anreise der Schalker Ultras der Gruppen „Ultras Gelsenkirchen“ (UGE) und „Hugos“ beileibe nicht. In den vergangenen Jahren ist es immer wieder vorgekommen, dass Ultras, darunter auch gewaltbereite, eben nicht mit den bereitgestellten Sonderzügen zum Stadion gefahren sind, sondern separat – teilweise auf abenteuerlichen Umwegen.

Warum konnten Schalker Ultras separat anreisen?

So konnten rund 600 Schalker aus dem Umfeld der UGE zur Dortmunder Uni fahren, um von dort beinahe unbehelligt von der Polizei zum Stadion zu marschieren. Friedliche BVB-Fans, die den Shuttle-Service von der Uni zum Stadion nutzen wollten, sahen sich plötzlich einer großen Anzahl gewaltbereiter Schalker gegenüber. Die Polizei teilte auf Nachfrage mit, die szenekundigen Beamten hätten die Gruppe „im Blick“ gehabt. Ein inzwischen nur einem eingeschränkten Personenkreis zugängliches Video der Ultras Gelsenkirchen zeigt jedoch, dass die Schalker offenbar ohne Polizeibegleitung marschieren konnten.

Eine weitere Gruppe Schalker Ultras der Gruppierung „Hugos“ reiste unbemerkt zur S-Bahn-Station Möllerbrücke und randalierte anschließend auf der Lindemannstraße. Die Polizei bestätigt diese „konspirative“ Anreise. Die Polizei sei „gezielt getäuscht“ worden. Das Ziel der Gruppe sei offenkundig gewesen, „in Stadionnähe zu gelangen, um Gewalt zu verüben“, so die Polizei.

Polizei wurde in Gelsenkirchen ausgetrickst

Bereits in Gelsenkirchen hätten die Ultras mit der Täuschung begonnen. Etliche Schalke-Anhänger hätten dort versucht, die Polizei „regelrecht abzuschütteln“. Sie wechselten die U-Bahnen und verwickelten die Polizei in sogenannte „Laufspielchen“. „Diese absichtlichen Täuschungen zeigten die Schalker bis zur Konfrontation mit den BVB-Anhängern und der Polizei“, heißt es von Seiten der Polizei Dortmund. Die Beamten hätten dann einschreiten müssen, um die Gewalttäter beider Fanlager voreinander zu schützen.

Eine große Gruppe BVB-Fans, ein Zeuge spricht vom größten Dortmunder Fanmarsch seit Jahren, wurde währenddessen von der Polizei daran gehindert, über die Hohe Straße und die Ardeystraße zum Stadion zu gehen. Stattdessen führten die Beamten die Fans durch das enge Kreuzviertel. Doch diese Umleitung führte die zum Teil aggressiven und gewaltbereiten Dortmunder genau auf die auf der Lindemannstraße randalierenden Gelsenkirchener „Hugos“ zu. „Stellenweise gab es sogar Blickkontakt“, erinnern sich mehrere Zeugen.

Polizei wurde zur Zielscheibe aggressiver Dortmunder

Die Polizei löste die Situation zunächst mit Pfefferspray und Einkesselungen. Um ungefähr 14 Uhr kam es dann zum großen Zusammenstoß auf dem Stadionvorplatz. Mehrere Hundert aggressive Ultras des FC Schalke und von Borussia Dortmund drohten aneinander zu geraten, die Polizei ging dazwischen und trennte die Gruppen, so dass es zu keinem direkten Zusammenstoß kam. Da die Schalker für die gewaltbereiten Dortmunder nun unerreichbar waren, wurde die Polizei Ziel der Angriffe. Mit Flaschen, Steinen und Farbbeuteln attackierten die zum Teil vermummten BVB-Fans die Beamten. Die Polizei reagierte mit Pfefferspray. Nach wenigen Minuten war der Spuk vorbei. Fans, die um kurz nach 14 Uhr an der Nordtribüne eintrafen, berichteten auf Nachfrage, sie hätten von Ausschreitungen überhaupt nichts mitbekommen – wie der Großteil der gut 80.000 Zuschauer.

Während die Situation vor der Nordtribüne bereinigt war, kam es beim Transport der Schalker Sonderzugfahrer zum Stadion zu einer kurzen Eskalation. Schon lange vor Ankunft der Sonderzüge hatte die Polizei den Bereich um den Bahnhof „Signal-Iduna-Park“ abgeriegelt und damit den Unmut zahlreicher BVB-Fans geweckt, die nicht auf ihrer gewohnten Route zum Stadion gehen konnten.

NPD-Funktionär festgenommen

Unterdessen griff eine etwa 200 Personen große Gruppe, darunter zahlreiche altgediente Hooligans, an der Gaststätte Flora die Schalker Ultras an. Es flogen Bierbänke, Flaschen und Motorradhelme. Die Polizei nahm bei der Randale unter anderem den Dortmunder NPD-Vorsitzenden und Ratsvertreter Matthias Wächter fest.

Als die Sonderzüge aus Gelsenkirchen eingetroffen waren, begleitete die Polizei die Schalker zur Nordtribüne. Dabei kam es zu einer kurzen Auseinandersetzung mit der Polizei, als eine kleine Gruppe Schalker den Zaun zu einem Fahrradparkplatz durchbrach. Ein kurzer Wasserwerfer-Einsatz klärte die Situation. Hier war es schon beim vorigen Derby im November 2011 zu einer Eskalation gekommen. Im weiteren Verlauf versuchten einige Dortmunder die Schalker zu attackieren. Beobachter der Szene bezeugen eine ungewohnt hohe Aggression bei den Dortmund-Fans.

Eskalation im Stadion

Beim Einlaufen der Mannschaften dann die nächste Störaktion, diesmal von Seiten der Schalker. Im Gäste-Stehblock wurden blau-weiße Fahnen über die Köpfe gespannt – als Sichtschutz, um Masken über die Köpfe ziehen zu können und anschließend zu zündeln. Bengalische Feuer wurden gezündet, Rauch stieg auf der Nordtribüne auf. Während die BVB-Fans diese Aktion noch mit Pfiffen quittierten, reagierten die Ultras auf die nächste Provokation aggressiver. Die Schalker präsentierten ein Banner der Dortmunder Ultra-Gruppen Desperados und The Unity, das 2009 aus einem Lagerraum im Dortmunder Stadion gestohlen worden war. Daraufhin verließen diese Gruppen und auch einige andere Fans ihre Plätze im Herzen der Südtribüne. Die Polizei spricht von etwa 200 Dortmundern.

Die Desperados versuchten demnach, Schalker auf der Westtribüne anzugreifen oder gar bis zum Gästeblock vorzudringen, wurden aber von der Polizei daran gehindert. Auf der Verteilerbene hinter der Südtribüne kam es unter dessen zu einem heftigen Zusammenstoß mit der Polizei. Einige der laut Zeugen und auch nach Polizeiangaben sehr aggressiven Dortmunder attackierten die anwesenden Polizisten, worauf die Beamten mit dem Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken reagierten. Die Pfefferspraydämpfe zogen durch die Mundlöcher auf die Stehränge der Südtribüne, zahlreiche Fans klagten noch nach dem Spiel über gereizte Augen.

Sorge um Entwicklung der Ultra-Szene

Was bleibt, ist Ratlosigkeit und die Suche nach den Gründen für die kurzen aber heftigen Eskalationen. Kenner der Dortmunder Fanszene fürchten, dass dieses Derby zu einer erhöhten Militanz der Ultras beitragen könnte. Die Tatsache, dass 600 Gelsenkirchener Ultras unbehelligt durch Dortmund marschieren konnten, während sich BVB-Fans in ihrer eigenen Stadt nicht frei bewegen durften, stößt vielen sauer auf. Der in den Augen der Fans harte Polizeieinsatz hinter der Südtribüne sei für viele Ultras ein weiterer Anlass zur Radikalisierung gewesen. Den gemäßigten Ultras falle es immer schwerer, beschwichtigend einzuwirken.

Doch wäre das zu kurz gegriffen. Schon vor dem Spiel war bei vielen BVB-Fans eine erhöhte Aggressivität festzustellen. Immer wieder kam es zu kleinen Zusammenstößen zwischen Fans, auch seitens ganz „normaler“ Fans. In der Stadt und im Stadionumfeld kam es zu Jagdszenen. „Die Stimmung war extrem aggressiv“, erklärt auch Borussia Dortmunds Direktor Organisation, Dr. Christian Hockenjos.

Vereine distanzieren sich von gewaltbereiten Fans

Die beiden Vereine Schalke 04 und Borussia Dortmund distanzierten sich am Montag in einer gemeinsamen Erklärungen von den gewaltbereiten Fans. „Die am Rande des Revierderbys eingesetzten Polizisten hatten am Samstag erfolgreich und mit enormem Aufwand ein Aufeinandertreffen großer gewaltbereiter Anhänger-Gruppen unterbunden und so noch Schlimmeres verhindert. Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 werden die Vorkommnisse in Gänze zeitnah und kritisch gemeinsam mit der Polizei intern analysieren“, heißt es in der Erklärung.

„Bewiesene schwerwiegende Verstöße werden wir konsequent mit Stadionverboten ahnden. Wir sind sehr betroffen und entschuldigen uns bei den Opfern der Gewalttäter. Ihnen werden wir jede erdenkliche Hilfe zukommen lassen“, sagt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.