Mengede.. Friedemann Stuhm sucht einen Käufer für die Mengeder Traditionsgaststätte “Schieferecke“, angeblich aus dem 16. Jahrhundert.
„Hier bin ich Mensch“, hat Johann Wolfgang von Goethe seinen Faust sagen lassen, „hier darf ich’s sein.“ Hätte der deutsche Dichter den Mengeder Friedemann Stuhm gekannt, die Rolle des Faust – jenes ständigen Zweiflers, unnachgiebigen Forschers und unbändigen Revolutionärs – wäre dem 57-Jährigen wie auf den Leib geschrieben.
Zweifel hegt Stuhm an den Bürokraten – allen voran der Stadtverwaltung. Forsch kommt ihm mancher Spruch über die Lippen. Und eine gesellschaftliche Revolution – ja, die brauche es in diesem unserem Lande. Meint Friedemann Stuhm. Und das will er mit einem Rundgang durch die „Schieferecke“ beweisen. Er – seit 1984 Eigentümer der Mengeder Traditionsgaststätte – streckt die Segel und will zugleich auf zu neuen Ufern. Für das Gebäude – angeblich 16. Jahrhundert – samt Grundstück sucht er Käufer.
„Der Trödel soll hier weg“
„Erst einmal soll der Trödel hier weg“, sagt Stuhm. Damit meint er das Inventar aus den Glanzzeiten einer Epoche, die die „Schieferecke“, den „Westfalenhof“ und den „Burghof“ noch als Zentrum des Dortmunder Nordwestens erstrahlen ließ. Inzwischen prangen in den staubigen Fenstern der „Schieferecke“ Schilder, die Investoren ein Stück Mengeder Tradition feilbieten. Im „Westfalenhof“ künden die heruntergelassenen Rolläden vom Ende der „guten alten Zeit“, und nur der „Burghof“ erlebt gerade seine kulinarische Renaissance durch den Gastronomen Thomas Jaworek.
Hätten ihn die Oberen nur gelassen, so wie er – Stuhm – es wollte. Seufzt einer, der sich mit dem Rücken an die (Lehm-)Wand gedrängt fühlt. Die gute deutsche Eiche – in Balkenform – gibt der beigefarbenen Lehmwand im Fachwerk der „Schieferecke“ den Halt, den Friedemann Stuhm in Dortmund immer gesucht, aber wohl nicht gefunden hat. Für einen alternativen Lebensstil, schimpft er, sei kein Platz in dieser Stadt. Das verwundert, denn wer hätte nicht gerne eine Saunakabine mit kunstvoll als Grotte moduliertem Waschbecken, zwei gemütliche Schlafsäle (in denen Musiker gern logieren) und eine „Suite“ – mit Fernsehgerät und Hängematte. Das alles offeriert die „Schieferecke“ hinter wohl baufälliger Fassade.
Ein Paradies. Irgendwie. Wenn auch einige Zimmer den Besucher im Winter frösteln lassen. Denn mit dem hauseigenen Blockheizkraftwerk mag Stuhm nur die Räume heizen, die noch alternatives Lebensgefühl auszustrahlen vermögen.
Doch jetzt reicht es ihm. Friedemann Stuhm hat die Nase voll. Von „opportunistischen Parteien“, „paragrafenbesessenen Amtsträgern“ und „missgünstigen Nachbarn“. Alles Spießer – dieses Wort kommt dem selbsternannten Weltverbesserer zwar nicht über die Lippen, aber es schwingt mit. Er will weg. Aus Mengede, aber nicht unbedingt aus Dortmund. „Das ist schließlich meine Heimat“, bekräftigt Stuhm.
Zeugen Jehovas wollten kaufen
Die Zeugen Jehovas wollen auch die Welt verbessern. Der Saal im ersten Stock war einstmals ihr Domizil. Doch ihre Kaufanfrage hat Friedemann Stuhm damals abgelehnt. Stress bekam der Eigentümer später mit Stadt, Polizei und Nachbarn – etwa wegen Ruhestörung. Die Anschuldigungen gingen indes noch weiter: Ein alternativer Lebensstil, wie ihn das von Stuhm initiierte „Café Chaos“ propagierte, „war in Mengede offenbar unerwünscht“, bilanziert er. Die Stadt habe mehrfach die Konzession für einen Gaststätten-Betrieb verweigert, „obwohl das hier doch schon seit Urzeiten eine Kneipe war“. Die Aktivitäten als „privater Klub“ laufen zu lassen, habe – so Stuhm – der Stadt ebenfalls missfallen. „Die haben von mir einen Antrag auf Nutzungsänderung gefordert.“
Die Kraft zum Kämpfen hat Friedemann Stuhm in bald 30 Jahren verloren. „Ich bin Lebenskünstler“, sagt er dennoch fast trotzig auf die Frage nach seinem Beruf. „Einfach ein Mensch.“ Und das ist wohl auch seine persönliche Tragik: Er ist Mensch. Und darf es doch – dort – nicht sein.