Bottrop. Ihr Sohn leidet an Epilepsie, ein Medikament mildert seine Symptome. Doch eine Bottroper Familie kann es nirgendwo bekommen.

Malik* ist drei Jahre alt und leidet an stiller Epilepsie. Was nach der Geburt zunächst unbemerkt geblieben ist, weil die epileptischen Anfälle äußerlich nicht sichtbar sind, wurde vor einem Jahr diagnostiziert. Ein Medikament mildert seine Symptome. Doch es ist nirgendwo erhältlich. Maliks Eltern sind verzweifelt.

„Wir haben komplett Bottrop abgeklappert“, sagt seine Mutter Yeter*. Als sie und ihr Mann in keiner Apotheke in der Stadt fündig geworden sind, hat ihre Schwester die Pharmazien in Gladbeck angerufen. Weiter ging die Suche in Oberhausen, Essen, Düsseldorf. Bis nach Hessen haben sie telefoniert, doch nirgendwo ist das Medikament zu bekommen.

Dreijähriger Malik braucht dringend Epilepsie-Medikament

Malik hat „Fehlströmungen im Gehirn“, wie seine Mutter sagt. Alle 20 Minuten hat er einen epileptischen Anfall, den man von außen nicht sieht, der aber dafür sorge, dass der Junge nichts um sich herum mitbekommt. Seit einigen Monaten wird er mit Ethosuximid behandelt. Die Arznei gibt es als Saft und in Form von Kapseln. Die Kapseln sind erhältlich, aber einem Dreijährigen kaum zu geben. Der Saft ist überall nicht lieferbar, auch nicht in Online-Apotheken. Laut den beiden Herstellern, die das Medikament vertreiben, kommt es frühestens Mitte November wieder auf den Markt.

„Wir haben noch genug Saft für die nächsten zwei Tage“, sagt Yeter. Dann ist die 125-Milliliter-Flasche leer. Zweimal am Tag bekommt Malik seine Dosis. Zwei dieser Flaschen darf die Mutter auf einmal kaufen. Einen größeren Vorrat anzulegen erlaubt die Krankenkasse nicht. Sie kümmere sich immer einige Tage vor Ende der Ration um Nachschub, bislang sei das nie ein Problem gewesen. „Es muss oft bestellt werden, ist dann aber abends da.“

Dieses Mal nicht. Ihr Arzt habe ihr gesagt, sie solle die Kapseln öffnen und den Wirkstoff in einen Joghurt rühren und so ihrem Sohn verabreichen. Eine Apothekerin habe widersprochen: Das gehe nicht. „Wem soll ich jetzt glauben und wem kann ich vertrauen?“, fragt die Mutter.

Bottroper Apothekerin: „Wir kriegen die Rechnung für unsere Gesundheitspolitik“

Auch die Apothekerin Karima Ballout, die zwei Pharmazien in der Bottroper Innenstadt besitzt, hat sich bemüht, der Familie zu helfen. Sie hat sich informiert, ob sie aus den Kapseln einen Saft herstellen kann. „Das geht definitiv nicht“, sagt Karima Ballout. „Es sind Weichkapseln, darin liegt der Stoff gelöst vor und man kann es nicht heraus suspendieren.“ Es gebe das Medikament auch in Hartkapseln, aber auch darin liege der Wirkstoff wachsartig vor. „Der Hersteller sagt, man kann es nicht rauskratzen und einen Saft daraus machen.“

Karima Ballout, Apothekerin aus Bottrop

„Wir kriegen gerade die Rechnung für unsere Gesundheitspolitik. Das ganze System kränkelt.“

Karima Ballout, Apothekerin aus Bottrop

Auch international dürfe sie die Arznei nicht besorgen, auch wenn es einen Hersteller in Frankreich gibt. Das Medikament ist in Deutschland nicht zugelassen. Aktuell wartet sie auf eine Rückmeldung des deutschen Herstellers, woran der Lieferengpass liegt.

Ein solches Problem ist kein Einzelfall in der Apotheke. „Wir kriegen gerade die Rechnung für unsere Gesundheitspolitik“, sagt Karima Ballout. Als Vorsitzende der Bezirksgruppe Bottrop im Apothekerverband Westfalen-Lippe hat sie schon oft aufmerksam gemacht auf die aktuell schlechte Medikamentenversorgungslage. „Das ganze System kränkelt“, sagt die Apothekerin.

Bottroper Mutter zum Medikamentenmangel: „Es ist erschreckend und furchtbar“

Nicht nur bei solch speziellen Medikamenten wie Ethosuximid kommt es zu Lieferengpässen. Auch Penicillin und Insulin sind knapp. Und es liege nicht nur an den Wirkstoffen, die nicht verfügbar seien, sondern teils an banalen Produkten wie Deckeln für Flaschen oder sogar der Tinte für den Etikettenaufdruck, die nicht verfügbar sind.

Für die Eltern von Malik ist das alles unverständlich. Und es ist auch nicht das erste Mal, das sie eine Arznei für eines ihrer drei Kinder nicht bekommt. „Es fehlt immer irgendwas“, sagt die Mutter. „Das ist erschreckend und furchtbar. Unser Gesundheitssystem funktioniert nicht mehr.“

*Der Name der Familie ist der Redaktion bekannt und für die Berichterstattung geändert worden.