Bottrop. Ansichtskarten mit kuriosen Details, seltene Blicke, verschwundene Orte: Das zeigt die Ausstellung des Stadtarchivs „Grüße aus Bottrop“.
Diese Ausstellung des Stadtarchivs öffnet zahlreiche kleine Fenster in die Bottroper Vergangenheit. Dabei werfen die ausgewählten Ansichtskarten aber immer auch Schlaglichter auf die Zeitgeschichte und die Menschen, die sie einst schrieben. „Einst“, das bedeutet hier: „Es sind insgesamt 85 Postkarten aus der Zeit von 1899 bis 1942 zu sehen, die wir aus der riesigen Bottrop-Sammlung von Jörg Wingold ausgewählt haben“, sagt Stadtarchivarin Heike Biskup.
Grundlage der Ausstellung ist die „Bottropika“-Sammlung des früheren Ratsherrn Jörg Wingold
Der vor zwei Jahren verstorbene Politiker, der zuletzt für die DKP im Rat saß, und lange im Jugendamt der Stadt arbeitete, hatte ein Faible für die Stadt, gepaart mit einer ungeheuren Sammelleidenschaft. „Es sind einfach viele Alltagsdinge, nicht nur Ansichtskarten, die Jörg Wingold gesammelt hat, es gehören Utensilien des alten Bottroper Biers (Westfalia) ebenso dazu, wie Plakate, Flyer oder selbst die berühmten Zuckerstückchen mit der Aufschrift der Cafés oder Einkaufstüten Bottroper Geschäfte dazu“, so die Stadtarchivarin.
Zu diesem riesigen Konvolut an Ephemera, so der Fachausdruck für diese meist papiernen Gebrauchsdinge, denen normalerweise kein langes Leben zugedacht war, gehört auch Wingolds Postkartensammlung. Auf zwei Etagen der Städtischen Galerie im Kulturzentrum sind sie nun angeordnet, nach Orten und Themen, Arbeit und Freizeit. Aber auch historische Ereignisse wie der Erste Weltkrieg oder die Ruhrbesetzung von 1923 spielen eine Rolle.
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Da ist Zeche Prosper II mit einer kolorierten belgischen Flagge über der „Koolmijn“ zu sehen. Es sollte wohl den Empfängern in der Provinz Brabant zeigen: „Wir sind hier und haben die Industrie der Kriegsverlierer fest im Griff.“ Dass die ein Trugschluss war, entpuppte sich erst später und war sicher auch dem Kartenschreiber nicht klar. Die deutschen Karten aus dem Krieg selbst zeigen – natürlich – das alte Kaiser-Wilhelm-Denkmal oder Stadtansichten, dick umrandet von den patriotischen Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot.
Das übernächste Regime nach Ende des Kaiserreiches hatte seine eigenen Ansichten: das Rathaus im Hakenkreuz-„Schmuck“ oder den Altmarkt, der einige Jahre lang „SA-Platz“ hieß. „Aber Motivkarten aus der Nazi-Zeit sind überraschend rar“, sagt Heike Biskup. Das gelte nicht für die Wingold-Sammlung, auch für das Archiv selbst, das vor der Übergabe der Wingold-Sammlung 2020 eine eigene Postkartensammlung hatte.
Immer wieder stehen Straßenzüge wie die Hochstraße, Essener Straße oder Hansastraße im Fokus der Schau. Manche Schreiber sprechen vom „Dorf“ mit einem „riesigen Bahnhof“, einem „Ort ohne Wald“ obwohl daneben Ansichten vom Köllnischen Wald mit der markanten Herzogsbuche oder dem wie verwunschen wirkenden Forsthaus Specht hängen. Eine Karte weiter (von 1938) zeigt sich das Traditionshaus aber schon mit rückwärtigem modernem Anbau und großer Ausflugsterrasse. Auch die Gaststätte Reidick mit altem Saal und Wirtshausgarten neben dem Stadtgarten ist zu sehen.
Nicht nur die Bottroper Innenstadt, auch die Vororte und Zechen waren einst fit für Ansichtskarten
Selbst die Vororte finden Eingang in die Postkartenmotive. Eigen und Boy, mit Gasthäusern wie Große-Wilde oder dem alten Pestkreuz sind zu sehen, natürlich die Johanneskirche in der Boy oder die Herrenhäuser wie die Knippenburg. Ob das kleine Mädchen im Sonntagsstaat wirklich auf dem Foto war oder später hineingemalt wurde, lässt sich hinter Glas schwer erkennen. Sonst könnte man vom frühen „Photoshop“ sprechen. Eine Vorform der heutigen WhatsApp-Nachrichten oder E-Mails sind die Ansichtskarten allemal, vor allem die knapp und beiläufig geschriebenen.
Als die älteste ausgestellte Karte gedruckt wird, ist das kommerzielle Medium „Ansichtkarte“ in Preußen gerade einmal ein Vierteljahrhundert alt. Zuvor waren nur von der Post herausgegebene, sogenannte „offene Karten“ zugelassen. Manches Motiv erinnert an Effekte des frühen Stummfilms, etwa, wenn sich eine seltene Luftansicht der Innenstadt aus einem gemalten grünen Blatt heraus schält. „Eine meiner Lieblingskarten“, sagt Heike Biskup.
Eine Vitrine zeigt wahre Raritäten: Kolorierte Postkarten, aus denen sich ein Leporello mit vielen Miniaturansichten Bottrops heraus schlängelt. Um so etwas zu finden, und dann nicht von bekannten Touristenorten, sondern von einer aufstrebenden Industriestadt in Westfalen, muss der Sammler schon akribisch unterwegs gewesen sein.
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Gestalterin Stephanie Klein fasst die Themenbereiche hinter Glas wie in einer großen Ansichtskarte zusammen. Der leicht gelb gehaltene Hintergrund nimmt die Farbgebung vieler Karten diskret auf. Eine kleine Brieftaube „flattert“ einem historisch anmutenden Postkasten entgegen, in den Ecken: kleine verspielte Ornamente, wie zarte Federzeichnungen. Übrigens: Alle Texte und Destinationen wurden transkribiert und, wenn nötig, übersetzt. Eine detailreiche Schau, die auch zum Suchen einlädt – nicht nur das Bottroper Publikum.
„Grüße aus Bottrop“: Historische Ansichtskarten von 1899 bis 1942. Eröffnung: 17. Oktober, 18 Uhr. Zu sehen bis 23. Dezember im Kulturzentrum, Blumenstraße 12-14. Eintritt frei.