Bottrop/Marl. Ein 53-jähriger Bottroper ist bei einem schweren Unfall in Marl gestorben. Die Suche nach dem Schuldigen brachte eine spektakuläre Wende.
Dies ist die Geschichte eines tragischen Verkehrsunfalls, bei dem im März in Marl ein 53-jähriger Bottroper starb. Doppelt bitter für die Hinterbliebenen: Zur Trauer um den geliebten Verstorbenen kam der Verdacht, das Todesopfer habe den Unfall selbst verursacht. Nach monatelangen Ermittlungen stellt sich die Sachlage jetzt aber ganz anders dar. Eine andere Unfallbeteiligte wird sich im November vor Gericht wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten müssen.
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Das Autobahnkreuz Marl-Nord verbindet die A43 mit der A52 und der Landesstraße 612. Auf diesem Stück Landesstraße prallt der Bottroper am 23. März um 13.15 Uhr mit seinem Citroën frontal mit dem Passat einer 36-jährigen Fahrerin aus Haltern zusammen. In die verkeilten Wracks kracht ein weiterer VW, dessen Fahrerin (35) nicht mehr rechtzeitig bremsen kann. Der Bottroper wird in seinem Wagen eingeklemmt, fünf weitere Menschen, darunter drei Kinder, werden schwer verletzt.
Bottroper eingeklemmt: Feuerwehr alarmiert Rettungshubschrauber
Schon nach dem ersten Notruf in der Leitstelle der Feuerwehr Haltern, in dem von mehreren Verletzten und drei beteiligten Fahrzeugen die Rede war, fahren die Retter den Alarm massiv hoch. Mit dem Einsatzstichwort „MANV“ (Massenanfall an Verletzten) alarmiert die Feuerwehr weitere Rettungswagen, Notärzte und einen Rettungshubschrauber.
Für den Bottroper kommt allerdings jede Hilfe zu spät. Er wird im völlig zerstörten Autowrack eingeklemmt und stirbt noch an der Unfallstelle an einem Polytrauma, wie die Notärzte feststellen und die Gerichtsmediziner später bestätigen.
Bottroper stirbt am Unfallort an einem Polytrauma
Darunter verstehen Unfallmediziner „mehrere, gleichzeitig entstandene Verletzungen verschiedener Körperregionen, von denen eine Verletzung oder deren Kombination lebensbedrohlich ist“. Die Definition stammt von einem der führenden Unfallmediziner Deutschlands, dem Chirurgen Prof. Harald Tscherne. Er baute ab 1970 an der medizinischen Hochschule in Hannover ein Unfallzentrum auf und wurde 1979 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU).
Trotz der Verbesserungen in der Unfallmedizin in den letzten Jahrzehnten ist das Polytrauma weiterhin die häufigste Todesursache für Menschen, vor allem für Männer, unter 45 Jahren. Nach Angaben der DGU verstirbt jeder achte Schwerverletzte nach einem solchen Verkehrs-, Arbeits- oder Freizeitunfall. Die Hälfte der Opfer erliegt in den ersten 24 Stunden einem schweren Schädel-Hirn-Trauma oder unstillbaren Blutungen, die andere Hälfte stirbt später im Krankenhaus an Multiorganversagen oder einer Infektion.
Das ist die erste Version des Unfallhergangs
Zum Unfallhergang meldet die Polizei Münster, zuständig für das Autobahnkreuz, am Abend: „Nach ersten Erkenntnissen ist ein 53-jähriger Citroën-Fahrer aus Bottrop auf der Autobahn 52 in Richtung Haltern, kurz hinter dem AK Marl-Nord, aus bislang ungeklärter Ursache in den Gegenverkehr geraten.“ Der verstorbene Bottroper soll also den Unfall selbst verursacht haben. In ersten Meldungen ist zudem davon die Rede, er solle trotz eines Verbots zum Überholen ausgeschert sein.
Doch schon kurz nach dem Unfall kommen Zweifel auf, ob der Bottroper wirklich selbst Schuld trägt an der schweren Kollision. Experten der Bochumer Polizei haben wegen der Schwere des Unfalls die Ermittlungen am Unfallort übernommen, Sie sichern Spuren, die Zweifel wecken an der ersten Darstellung der Polizei.
Zweifel am Unfallhergang: Polizei schaltet Gutachter ein
Knapp eine Woche nach dem Unfall kassiert die Polizei Münster ihre Darstellung ein und schaltet einen Verkehrsgutachter ein. Niklas Preuth, Sprecher der Autobahnpolizei Münster, sagt jetzt: „Was ursächlich für den Unfall war, ist weiterhin Gegenstand der Ermittlungen.“ Und zwar Monate lang.
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Dann die spektakuläre Wende: Nicht der Bottroper soll in den Gegenverkehr geraten sein, sondern das entgegenkommende Auto der 36-jährigen Fahrerin aus Haltern. Die Ergebnisse des Gutachtens überzeugen die Staatsanwaltschaft Essen: Am 29. Juli erhebt sie Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen die Frau. Das bestätigt Staatsanwältin Hannah Wörmann auf WAZ-Anfrage.
„Die Anklage legt ihr zur Last, dass sie unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt den Unfall hätte vermeiden können.“
Aufgrund dieser Anklage muss die Fahrerin aus Halten sich im November vor dem Amtsgericht Marl verantworten. Sie selbst soll vor dem tödlichen Unfall auf der L612 in Richtung Haltern nach links auf die Gegenfahrbahn geraten sein und so die Kollision verursacht haben. Den Anklagevorwurf formuliert Amtsrichterin Sabrina Martin Lopez so: „Die Anklage legt ihr zur Last, dass sie unter Beachtung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt den Unfall hätte vermeiden können.“