Rio ist nicht Bottrop. Klar, diese schmalen Straßen giftigen Steigungen wie in der Stadt am Zuckerhut gibt es zwischen Ebel und Ekel nicht – auch hat in Bottrop die untere Bauaufsichtsbehörde mehr zu melden.
Jetzt beginnen in Rio de Janeiro die Paralympics, wo ich Nachrichtenbeiträge von der Eröffnungsfeier und später Berichte vom Goalball, Rollstuhlrugby und vielem anderen machen darf.
Dank Urlaub zwischen Olympischen und Paralympischen Spielen habe ich viele schöne Eindrücke im Land gesammelt, von der malerischen Kolonialstadt Paraty, der zauberhaften Insel Ilha Grande, den atemberaubenden Wasserfällen in Iguazu und auch sonst. Ohne Zeit- und Arbeitsdruck lassen sich die normalen Widrigkeiten im brasilianischen Alltag viel leichter erdulden.
Am faszinierendsten war dabei die Tour durch Brasiliens vielleicht größte Favela Rocinha, im südlichen Teil Rio de Janeiros zwischen den Schwerreichenvierteln São Conrado und Gávea gelegen. Das Viertel entwickelte sich wie viele der etwa tausend Armensiedlungen in der 6,5-Millionen-Stadt aus provisorischen Hütten aus Sperrholz, Palmwedeln und Blech, besteht inzwischen aber meist aus gemauerten Wohnhäusern mit legalisierten Besitzverhältnissen. Dass Baubehörden damit befasst gewesen seien, ist nicht überliefert. Der optische Eindruck scheint den Bewohnern eher unwichtig, aber es soll sogar ein elfgeschossiges Haus geben. Viele sind vier- oder fünfstöckig, mitunter aber nur auf 30 Quadratmetern.
Auf weniger der Hälfte als der Fläche Bottrops leben vermutlich etwa 150 000 Menschen, dicht an dicht, nicht so anonym wie in den vielen Hochhaussiedlungen Rios. Es ist ein nettes Miteinander und es gibt alles: Krankenhäuser, Schulen, Anwälte, Bars, Restaurants und auf oft nur 20 Quadratmetern im Parterre haufenweise Autowerkstätten und kleine Läden. Der Salat kostet hier umgerechnet oft kaum mehr als zehn Cent.
Seit 2011 in Rocinha der große Drogenboss Antônio Francisco Bonfim Lopes, laut Staatsanwaltschaft der „Boss der Bosse“, mit riesigem Polizeieinsatz festgenommen wurde, hat sich viel getan. Immer noch aber zeigt sich die Polizei – in grellbunten Weste weit sichtbar – an vielen Stellen.
So ist es ein richtig lebenswertes Viertel, mit seinen Winkeln, Treppen und Schotterpisten aber sicher nicht allen Paralympicsteilnehmern zugänglich. Rollstuhlfahrer waren nicht zu sehen. Ein interessantes Gemeinwesen etwa einen Kilometer hinter dem Strand, mit ähnlich vielen Einwohnern wie Bottrop. Nicht, dass ich Oberbürgermeister Bernd Tischler nicht zutrauen würde, auch hier klarzukommen. Aber ein Gebäude von der Größe seines Amtssitzes im Rathaus mit einer Freifläche wie den Ernst-Wilczok-Platz sucht man in Rocinha vergebens.