Bottrop. Weil es keine guten Singles und LP gab, gründete Franz-Josef Timmer mit zwei Brüdern kurz nach der ersten Rockpalast-Nacht einen eigenen Laden.
Wenn Bands wie The Who oder The Police, die Red Hot Chilli Peppers, ZZ Top oder Stars wie David Bowie und Peter Gabriel in der Gruga-Halle bis in den frühen Morgen die lange Rockpalast-Nacht durchmachten, standen ihre neuesten Schallplatten am Morgen danach in den Regalen der Plattenküche. Der kleine Laden in der schrägen Gasse zwischen dem Berliner Platz und dem Torbogen zur Fußgängerzone an der Gladbecker Straße war für Bottrop die Sensation. Drei Brüder hatten ihn kurz nach der ersten Rockpalast-Nacht vor 40 Jahren eröffnet.
„Wir haben uns immer geärgert, dass man hier einfach keine vernünftigen Platten gekriegt hat“, erinnert sich Mitgründer Franz-Josef Timmer. „An die aktuellen Singles und LP aus den USA und England kam man hier ja lange nicht heran“, erzählt der Bottroper. Im örtlichen Handel hätte es ja nur die Massenware von Adamo bis Zillerthaler Zithermusik gegeben.
Am 1. Oktober 1977 eröffnete die Plattenküche
Timmer gab sogar seinen guten Job in der EDV-Organisation in der Düsseldorfer Zentrale eines Industriekonzerns auf, um das zu ändern. Er machte sich mit seinem älteren Bruder Hubert selbstständig. Später machte auch ihr jüngerer Bruder Werner mit. Am 1. Oktober 1977 eröffneten die Brüder die Plattenküche. „Es war der helle Wahnsinn, was da abging“, erinnert sich Franz-Josef Timmer. Es sei kaum zu beschreiben, wie viele junge Leute sich in den Laden an der Luise-Hensel-Straße 11 quetschten und dabei ja auch noch in den Regalen stöberten und einkauften. „Der Umsatz war abenteuerlich für die fünf Stunden, die wir zur Eröffnung offen hatten“, erzählt der heute 68-Jährige.
Die Plattenküche blieb über Jahre die gefragteste Adresse für Rockmusikfans in der Stadt. „Dass wir elf Wochen nach der ersten Rockpalast-Nacht eröffnet hatten, war eher Zufall“, meint der Bottroper. Wie die Rockpalast-Nächte sei auch die Plattenküche Ausdruck ein und desselben Phänomens gewesen: Die Rockszene startete Ende der siebziger Jahre weltweit durch.
Über der Theke hing das Cover der neusten Top-Band
Die Plattenküche hatte wirklich alles zu bieten in ihren Regalen: Rock, Pop, Underground, New Wave, Punk und die neuesten Importe aus den USA und Großbritannien. „Wir sind zweimal pro Woche nach Rotterdam gefahren. Denn da stand schon in den Regalen, was hier noch keiner kannte“, sagt Timmer. Bands wie Police, Clash, Sex Pistols oder Motörhead hätten sich ja 1977 im ersten Jahr der Plattenküche gegründet. „Später kamen dann zum Beispiel Dire Straits, Depeche Mode oder U 2. Die kannte hier noch kein Mensch. Doch wir spielten ihre erste LP schon“, erinnert sich der 68-Jährige, und im News-Anzeiger über der Theke hing das Cover, damit es jeder sah. „Da schauten alle hin, weil sie wussten: Was da hängt, kommt bald ganz groß heraus“, erzählt Timmer
Auch für Musiker aus der Bottroper Rockszene war die Plattenküche eine Top-Adresse. Jürgen Pluta, Dieter Thelen von The Rickets oder Berni „Lennon“ Schulz von den Dirty Tigers kauften dort nicht nur ein. „Jürgen Pluta brachte uns seine erste Solo-LP ,Blanche’. Wir haben sie verkauft und das Schaufenster komplett ausgeräumt und allein mit seinem Cover dekoriert“, sagt der Mitinhaber des Plattenladens, „eines mit Widmung habe ich noch zu Hause“.
Kaufhäuser steckten viel Geld in CD-Abteilungen
Zwar ging Timmer irgendwann in seinen alten Beruf zurück. Bruder Werner machte allein weiter. Bis 1992 blieb die Plattenküche geöffnet. „Die CD hat den LP den Rang abgelaufen“, meint der Bottroper. Mit den riesigen Investitionen der Kaufhäuser in ihre CD-Abteilungen konnte der kleine Laden schließlich nicht mithalten. Doch Timmer sagt: „Bereut haben wir nichts“.
>>> Einer hält die Vinyl-Zeit in Bottrop noch in Ehren: Hans-Joachim Schneider im LP-Shop an der Gladbecker Straße 238. Der Bottroper hortet dort über 20 000 Langspielplatten - vom Rockklassiker bis zu Geheimtipp in seinem Schallplatten-Antiquariat. Der LP-Shop ist im Vergleich zur alten Plattenküche ein Riese. „Jochen Schneider ist ein ehemaliger Großkunde der Plattenküche“, sagt deren Ex-Inhaber Franz-Josef Timmer. „Er ist einer der größten Plattensammler des Ruhrgebietes und einer, der sich bestens auskennt“, lobt er. Ab und zu sei er auch er noch in Schneiders LP-Shop. „Zum Stöbern: mein Bruder Werner auch“, verrät Timmer. Etliche Kunden sehen die Brüder dann kurz an, erkennen sie wieder, und sagen einfach nur: „Plattenküche!“