Bottrop. Warum Bottrop ein Modekaufhaus braucht, Fußgängerzonen out sind und er die Mitarbeiter hält: Sinn-Chef Friedrich Göbel im Interview
Aus Mensing wird Sinn. Dass die Hagener Modekette jetzt das insolvente Bottroper Stammhaus und die sechs weiteren Filialen übernimmt, kommt nicht aus heiterem Himmel. Mensing steckte seit Längerem in Schwierigkeiten und die Sinn GmbH befindet sich nach überstandener Insolvenz seit einiger Zeit auf Expansionskurs. Das Angebot bei beiden sei ähnlich – und Mensing habe Potenzial sagt Friedrich Göbel. Mit dem Sinn-Sprecher sprach Dirk Aschendorf.
Sie setzen mitten in der Pandemie in der alle nur noch von Online reden auf stationären Einzelhandel und expandieren sogar. Warum?
F.G.: Es gibt auch eine Zeit nach der Pandemie und eine mittelgroße Stadt wie Bottrop braucht einen vernünftigen Einzelhandel, Gastronomie, kurz: einen guten Mix an Nahversorgung und dazu gehört auch Bekleidung. Und Sinn hat trotz Expansion keine Schulden, sonst hätten wir das nicht gemacht. Wir sind derzeit auch noch an anderen Orten der Region in Gesprächen. Online sehe ich als intelligente Ergänzung, zur Kundenpflege und –bindung, wie zum Beispiel durch unsere ständig erweiterte Sinn-App mit ihren bereits 100.000 Downloads. Online ist mehr als ein elektronischer Warenkatalog und simpler Internet-Shop.
Sie übernehmen Mensing komplett, mit allen Mitarbeitern. Einsparungen sind also kein Thema?
Nein und ja. Die etwa 27 Beschäftigten der Mensing-Holding, also der Verwaltung, übernehmen wir nicht. Da sind wir in Hagen gut aufgestellt. Die übrigen rund 255, übrigens sehr guten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Filialen bleiben. Gutes Personal einzusparen und damit auf Service und Kompetenz zu verzichten, das wäre sicher falsch. Und wir sind ja gekommen, um zu bleiben, das gilt auch für unser Team. Wer sich gut und sicher fühlt, wird auch gut verkaufen. Das sage ich auch nächste Woche bei meinem Besuch in Bottrop.
Haben Sie die Immobilien übernommen?
Nein, die waren auch vorher nicht im Mensing-Besitz. Aber wir haben neue Mietverträge abgeschlossen.
Langfristige?
Zwischen fünf und 15 Jahren. Das hing auch immer vom Eigentümer ab. In Bottrop sind es glaube ich zehn Jahre.
Wird Mensing ab Januar komplett umgekrempelt? Was ändert sich für die Kunden?
Vielleicht gar nicht so viel. Bei unseren Sortimenten haben wir ja fast 90 Prozent Überschneidungen. Und noch sind wir ja im Lockdown. Ab März kommt das, was wir Umflaggung nennen, also: Aus „Mensing“ wird „das macht SiNN“. Etwas Neues werden wir dann bereits zeigen. Vor allem aber soll sich das Ladenbaukonzept ändern. Das Bottroper Haus wirkt zwar schön, ist aber unübersichtlich. Die Ware, die emotional gesucht wird, muss auch gut gefunden werden. Das neue Sinn-Sortiment kommt dann ab Herbst und Winter.
Wie beurteilen Sie die Bottroper Innenstadt?
Die Gesamtsituation in Bottrop traue ich mich noch nicht einzuschätzen. Es gibt noch Frequenz und trotz mancher Leerstände einen Einzelhandelsmix und mittendrin einen Wochenmarkt. Man wird gerade in mittleren Städten lokal einkaufen, wenn sich ein gutes, komplettes Angebot findet, das hierher passt. Bottrop hat da wirklich eine Chance.
Was müsste noch und was dürfte in der City nicht passieren?
Eine Verdrängung des Individualverkehrs ist in fast allen Städten ein großer Fehler. Ein vernünftiges Verkehrskonzept, das auch Autos in langsamem Tempo und vielen Kurzzeitparkplätzen einbezieht, gehört auch in Bottrop dazu. Die überdimensionierten Fußgängerzonen der 60er, 70er Jahre passen heute nirgendwo mehr. Ich freue mich jedenfalls auf Gespräche mit möglichst vielen Akteuren in der Stadt. Ab Januar geht es ja los.
Info
Friedrich-Wilhelm Göbel (57), früherer Investment-Banker und seit vielen Jahren Modeunternehmer, hat bereits die Modekette Sinn (früher SinnLeffers) durch zwei Insolvenzen geführt. Im Frühjahr 2020 gehörte er zu den scharfen Kritikern des ersten harten Lockdowns in der Corona-Pandemie.2019 machte Sinn einen Jahresumsatz von rund 208 Millionen Euro. 2020 werden es deutlich weniger sein. Göbel ist davon überzeugt, dass sich auch Modehandel in Innenstädten nach wie vor profitabel betreiben lässt.