Bochum. „Warum vergreift man sich an Fremdgeld?“ Das Landgricht Bochum machte einem angeklagten Anwalt eine klare Ansage. Es geht um 1,2 Millionen Euro.
Im Prozess am Landgerichts gegen einen Bochumer Rechtsanwalt (57) wegen mutmaßlicher Veruntreuung von Erbschaften haben sich die Parteien am Dienstag (12.), am zweiten Sitzungstag, einen harten Schlagabtausch geliefert. Es geht laut Anklage um insgesamt rund 1,2 Millionen Euro, die der Angeklagte zwischen 2017 und 2022 von Treuhandkonten vorübergehend für sich privat und seine Kanzlei abgezweigt haben soll. Am Ende machte Richterin Anneke Wulf eine klare Ansage.
Verteidiger: In keinem der 20 angeklagten Einzelfälle ein Schaden entstanden
Die Strafbarkeit der Vorgänge ist bisher komplett streitig. Verteidiger Kay Hofheinz betonte seine „feste Überzeugung, dass mein Mandant unschuldig und freizusprechen“ sei. Auf die angeklagten Abbuchungen von den Treuhandkonten mit den Erbmassen – den Kern der Anklage – ging er nicht näher ein. Er betonte aber, dass der Angeklagte bzw. dessen Kanzlei jederzeit zahlungsfähig und liquide gewesen sei. Damit wollte er wohl sagen, dass zu keinem Zeitpunkt eine strafbare Vermögensgefährdung bestanden habe. In keinem der 20 angeklagten Einzelfälle sei ein Schaden entstanden.
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„Alles ist ausgeglichen“, ergänzte der Angeklagte. „Darauf lege ich großen Wert: Kein Mandant hat einen finanziellen Schaden.“ Außerdem hätte keiner der betroffenen Erben das Mandat mit ihm gekündigt. Warum wohl? „Sicher nicht, weil ich schlecht gearbeitet habe, sicher nicht, weil sie ihr Geld nicht bekommen haben.“
Sein Verteidiger übte auch scharfe Kritik an der Anklage. Sie sei „in wesentlichen Punkten“ lückenhaft. Die Staatsanwaltschaft sei nicht nur verpflichtet, Belastendes zu ermitteln, sondern auch Entlastendes; dem sei sie „nicht nachgekommen“. Sie habe „ganz erhebliche Tatbestandsmerkmale nicht aufgeklärt“. „Die Reputation meines Mandanten steht in Frage.“
Richterin: „Warum vergreift man sich an Fremdgeld?“
Richterin Wulf fehlte in der Erklärung aber ein Antwort auf das Entscheidende, „die ganz große Frage“: Wenn er doch selbst genug Geld gehabt habe – „warum vergreift man sich an Fremdgeld? Warum bucht man von Treuhandkonten Geld ab?“ Das sei „nicht nachvollziehbar“. Inständig hielt sie dem Angeklagten vor, dass er den Ermittlungen zufolge zum Beispiel Gelder aus einer Erbmasse für ganz andere Erbfälle eingesetzt habe. Und 500.000 Euro aus einer Erbschaft habe er in Wertpapiere gesteckt. „Haben Sie gezockt an der Börse? Spielsucht?“
Eine Antwort bekam sie nicht.
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Es sei, fuhr die Richtrein fort, seine „Pflicht“ gewesen, „die Gelder unangetastet zu lassen. Dagegen haben Sie verstoßen“. Und dies als Rechtsanwalt, „als „Organ der Rechtspflege“. Es sei „vielleicht doch besser“, teilweise einzuräumen, dass alles nicht so gelaufen sei, wie es hätte laufen sollen.
Außer der Strafjustiz sitzt dem Angeklagten auch noch die Rechtsanwaltskammer im Nacken. Sie entscheidet über etwaige disziplinarische Maßnahmen wie etwa die Zulassung als Anwalt.
Der Prozess wird fortgesetzt.