Bochum. Im Prozess um mutmaßliche Untreue- und Betrugstaten mit Millionenschäden zählt der Staatsanwalt den Hauptangeklagten an: „Langsam reicht‘s!“
Der fünfte Verhandlungstag im Prozess um Millionen-Tricksereien bei einem großen Bochumer Pflegebetrieb begann am Donnerstag (7.) mit einem Paukenschlag. Der Hauptangeklagte (68) bekam von Staatsanwalt Jörg Maleck sozusagen die Gelbe Karte gezeigt. Das Wort „Haftbefehl“ fiel.
Verdacht der Verdunklungsgefahr steht im Raum
Vorsitzender Richter Julian Möllers teilte gleich zu Beginn der Sitzung mit, dass ihn am Tag zuvor der Rechtsanwalt einer für diesen Mittwoch geladenen Zeugin angerufen und angekündigt habe, dass seine Mandantin aus Angst nicht aussagen wolle. Aus dem Umfeld der Beteiligten sei versucht worden, ihre Aussage zu beeinflussen. Dadurch stand der Verdacht der Verdunklungsfahr im Raum. Und das wäre ein Grund, jemanden in U-Haft zu sperren. Der Hauptangeklagte ist wie die beiden anderen Angeklagten bisher auf freiem Fuß.
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Zwar wurde seitens der Zeugin kein Name genannt, sondern „Umfeld der Angeklagten“, trotzdem sprach Ankläger Maleck sofort den Hauptangeklagte an, einen Arzt und ehemaligen leitenden Angestellter des Unternehmens für ambulante Pflege. „Es ist verdammt eng. Langsam reicht‘s!“ Schon vor dem Prozess, im Ermittlungsverfahren, habe er darüber nachgedacht, einen Haftbefehl gegen ihn beim Gericht zu beantragen. „Es war schon mehrmals knapp.“
Verteidiger: „Diesen Zungenschlag lasse ich nicht zu“
Der 68-Jährige bestritt, mit der Zeugin vor dem Prozesstag gesprochen zu haben. Sein Verteidiger reagierte geradezu empört auf den Verdacht: „Diesen Zungenschlag lasse ich nicht zu.“ Alles sei „blanke Vermutung“.
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Tatsache ist, dass die Zeugen tatsächlich nicht erschien. Sie macht von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, weil auch sie selbst in den Verdacht kommen könnte, in die damaligen finanziellen Machenschaften involviert gewesen zu sein.
In dem Prozess geht es um mutmaßliche jahrelange Veruntreuungen zu Lasten des Unternehmens sowie Abrechnungsbetrug gegenüber Krankenkassen, um Scheinarbeitsverträge und Schwarzlohnzahlungen. Gesamtschaden laut Anklage: mehr als drei Millionen Euro. Die Angeklagten sind teilweise geständig, bestreiten aber, sich persönlich bereichert zu haben. Die Taten hätten nur der Sicherung des Pflegebetriebes gedient. Mit dem Geld aus der Untreue etwa habe man nur ein finanzielles Notpolster für die Belegschaft angelegt, wie es sinngemäß hieß.
Vorwurf: Pflegeleistungen überhöht abgerechnet
Immer wieder ist im Prozess vom „Pflegenotstand“ die Rede. „Es hat permanent Personalmangel geherrscht“, sagte am Donnerstag eine Zeugin vor der 10. Wirtschaftsstrafkammer. Die 58-Jährige hatte einen von mehreren Pflege-Standorten in Bochum und Hattingen geleitet. Laut Anklage soll jahrelang zu einem Preis abgerechnet worden sein, als sei spezielles Fachpersonal wie zum Beispiel examinierte Altenpflegerinnen oder -pfleger in den Wohnungen der Patienten im Einsatz gewesen. Tatsächlich soll aber nicht ausreichend qualifiziertes Personal die Arbeit erledigt haben.
„Wurden auch Auszubildende eingesetzt, die allein nicht hätten fahren dürfen?“, fragte Richter Möllers die Zeugin. Antwort: „Ja.“ Eine weitere Pflegekraft (54) sagte dazu im Zeugenstand: „Wir hatten keine andere Möglichkeit.“ Wegen „geringer Besetzung“.
Im Dezember soll ein Urteil fallen
Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in dem ganzen Komplex begannen bereits 2019.
Begonnen hat der Prozess am Landgericht am 18. Oktober diesen Jahres.
Die Kammer hat sieben weitere Verhandlungstage bis 18. Dezember angesetzt.
Die 54-Jährige bestätigte auch, dass in dem Pflegeunternehmen Schwarzzahlungen an einige Beschäftigte gezahlt wurden. „Das ist erfolgt.“
Auch gegen sie war ein Strafverfahren geführt worden. Es wurde zwar längst eingestellt, aber nur gegen die Auflage einer Zahlung in Höhe von 8000 Euro.
Der Prozess wird fortgesetzt. Für den Hauptangeklagten steht wohl eine Haftstrafe ohne Bewährung im Raum.