Bochum. Den Zauber der Liebe zeigt Regisseurin Lies Pauwels in „Werther (love & death)“ im Schauspielhaus Bochum. Das Ensemble ist spitze. Unsere Kritik.
Die Zeiten werden rauer, eine Krise jagt die nächste – was wäre da schöner als ein Theaterabend, der volle zwei Stunden lang die Kraft der Liebe feiert? Die Zuversicht, die Hoffnung, auch den Schmerz? All dies und manches mehr bietet „Werther (love & death)“ der Regisseurin Lies Pauwels, dessen Premiere in den ausverkauften Kammerspielen stürmisch gefeiert wird. Genau 250 Jahre seit Erscheinen von Goethes berühmtem Briefroman zeigt die belgischen Theatermacherin in einer prachtvollen Performance, welch enorme Strahlkraft der alte Text bis heute besitzt.
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Aufführungen von Lies Pauwels in Bochum bleiben im Gedächtnis
Im Abstand von mehreren Jahren meldet sich Lies Pauwels immer mal wieder mit Aufführungen am Schauspielhaus Bochum zurück, die im Gedächtnis bleiben. Ihren enorm erfolgreichen „Hamiltonkomplex“ realisierte sie mit 13 Mädchen im Alter von 13 Jahren, die auf der Bühne allerhand anstellten, auch Schlüpfriges, was beim Zuschauen für Verzückung und Schaudern gleichermaßen sorgte. Der Nachfolger „Baroque“ verharrte daraufhin arg bedeutungsschwer im lang vergangenen barocken Zeitalter, imposante Bilder gab es auch hier.
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„Werther (love & death)“, so viel sei verraten, ist Lies Pauwels mit Abstand beste Bochumer Arbeit. Erneut setzt sie auf Profis und Laien, die den Abend gleichberechtigt tragen. Die vier jungen Männer aus dem Ensemble sind allesamt etwas älter als der Autor selbst, der seinen Roman mit 25 Jahren schrieb. Die fünf Mädchen im Teenageralter hingegen sind deutlich jünger.
Gemeinsam gehen sie an diesem Abend durch unterschiedlichste Gefühlswelten: vom Zauber einer jungen Liebe bis zur schieren Verzweiflung nach der jähen Trennung. Dass ihr Zusammenspiel nie peinlich oder bemüht wirkt, sondern ungeheuer leichtfüßig und charmant daherkommt, ist absolut bemerkenswert.
Natürlich lässt Lies Pauwels den Roman nicht brav vom Blatt abspielen, sondern stellt sich dem „Werther“ (mal auf Deutsch, mal auf Englisch) so freigeistig wie möglich. Es gibt keine nennenswerte Handlung, keine genau gezeichneten Figuren, keinen Werther, keine Lotte, keinen Selbstmord. Alles versinkt in einem opulenten Rausch aus Bewegung, Musik, Tanz und sogar etwas Literatur.
Goethes Original-Text wird in Auszügen mal mit dem Buch in der Hand vorgetragen, mal etwas neckisch vorgeführt. So darf jeder reihum einmal den ersten und den letzten Satz wiederholen. Die Berglandschaft auf einem riesigen Vorhang, der den Bühnenraum von Johanna Trudszinski in zwei Hälften teilt, deutet ebenfalls in Richtung des Romans.
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Packende Szenen, klug gewählte Songs
So gibt es immer wieder Szenen, die einen wirklich packen, und nicht selten spielen die klug gewählten Songs dabei eine große Rolle. Zu „Space Oddity“ von David Bowie scheint die Bühne für wenige Minuten fast zu schweben. „And no more shall we part“ von Nick Cave singt Risto Kübar herzzerreißend schön, begleitet wird er dabei von Marius Huth an der Trompete. Wer hätte gedacht, dass die beiden so gute Musiker sind?
Wenn man der Aufführung etwas vorwerfen möchte, dann ist es ihr leichter Hang zur Überlänge. Wenn alles schon gesagt ist, fällt Lies Pauwels immer noch etwas ein: noch ein kleiner Monolog, noch ein Lied, noch ein Tänzchen mit einem lebensgroßen Stoffbären. Ja, etwas selbstverliebt ist diese Inszenierung durchaus. Zum Schluss gibt es eine imposante Fechtszene, dann wird sogar ein Einhorn von der Seite hereingeschoben, zu dem Tabea Zoi Sander einen wundervollen, kleinen Text liest.
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Und was hat das heulende Mädchen auf Rollschuhen zu bedeuten? Und der Kreisch-Alarm beim Popkonzert? Man braucht nicht alles zu verstehen und zu entschlüsseln an diesem Abend. Einiges bleibt rätselhaft und undurchsichtig – fast wie die Liebe.
Infos und Spieltermine
„Werther (love & death)“ in den Kammerspielen Bochum dauert etwa zwei Stunden und zehn Minuten ohne Pause. Wieder am 7. und 11. November sowie am 1., 15. und 26. Dezember.
Schauspieler Dominik Dos-Reis, der auf der Bühne einen der liebestollen jungen Kerle gibt, zeigt derzeit im Oval Office ein sehenswertes Solo: In „Eschenliebe“ spielt er einen Mann, der unglücklich verliebt ist – in einen Baum! Letztmals zu sehen am 9., 15. und 16. November. Karten und Infos: 0234 3333 5555.