Bochum. Im Prozess um Millionen-Tricksereien in einem Bochumer Pflegebetrieb gibt es Teilgeständnisse. Eines streiten die Angeklagte aber entschieden ab.
Mit Teilgeständnissen hat der zweite Prozesstag gegen einen damaligen Chef (68) und eine damalige Chefin (58) eines großen Bochumer ambulanten Pflegedienstes begonnen. Beide räumten am Montag vor dem Landgericht ein, hinter dem Rücken ihres Arbeitgebers, einer Stiftung, hohe Geldsummen abgezweigt zu haben – laut Anklage 1,15 Millionen Euro.
Allerdings bestreiten sie den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, sich an der Beute persönlich bereichert zu haben. Das abgezweigte Geld habe ausschließlich dazu gedient, Bargeld zu generieren und damit die Zahlungsfähigkeit des Pflegedienstes zu sichern.
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Auch Schwarzlohnzahlungen wurden eingeräumt. Die 58-jährige Angeklagte berichtete: Wenn wegen Ausfällen Personalnot vor allem an Feiertagen und am Wochenende geherrscht habe, die täglich rund 1200 Patienten zu Hause aber trotzdem hätten versorgt werden müssen, hätte in der Belegschaft schnell Ersatz besorgt werden müssen. Dann habe sie schon mal zu diesem oder jenem gesagt: „Komm, kriegst `nen Fuffi extra! – Dann haben die Leute gesagt: Klar, ich spring ein.“
Mitarbeiter wurden in das Untreue-System eingebunden
Die Angeklagten sind ein Arzt, der zugleich die Geschäfte in mehreren Niederlassungen in Bochum und Hattingen leitete, sowie eine damals leitende Pflegekraft. Laut Anklage schlossen sie über Jahre hinweg mit einigen wenigen ihrer mehr als 200 Beschäftigten Scheinarbeitsverträge, zusätzlich zu deren regulären Verträgen. Den überwiesenen Netto-Lohn sollen die jeweiligen Beschäftigten in bar an die Angeklagten zurückgegeben haben, ohne für das Geld eine Arbeitsleistung erbracht zu haben. Das Bargeld landete auf einem extra angelegten Privatkonto der Angeklagten.
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Diese Gelder, so die angeklagte Pflegekraft, seien nur „für spätere Versorgungsengpässe beiseite gelegt“, niemals für private Zwecke. Dem schließt sich der angeklagte Arzt an, er sprach von einem „Rücklagenkonto“. Mehrere medizinische Tochterunternehmen der Stiftung seien damals in finanzielle Schieflage geraten, und er habe befürchtet, dass auch seine ambulanten Dienste, die profitabel gewesen seien, in den Strudel einer Insolvenz geraten würden. Deshalb habe er mit den Scheinarbeitsverträgen so viel Geld zurückgelegt, um all seinen Beschäftigten im Notfall zumindest ein Monatsgehalt auszahlen zu können. „Ich habe gedacht: Sorg vor! Damit wir nicht von heute auf morgen bankrott sind!“
Zudem erklärten die Angeklagten, dass sie einige Beschäftigte schwarz bezahlt hätten – allerdings mit ihrem privaten Geld. „Wir haben Anreize gesetzt, um Leute zu motivieren“, sagte die 58-Jährige mit Blick auf den hohen Arbeitsdruck in dem Pflegebetrieb. Der Arzt erklärte, dass er auch Pflegekräfte mit persönlichen Geldzuwendungen unterstützt habe, wenn sie privat in Not geraten seien: bei Erkrankungen ihrer Kinder oder Tiere, bei Scheidungen, bei Hochwasserschäden, bei Autounfällen und anderen finanziellen Engpässen. Auch dies sollte die Pflegekräfte für die Arbeit motivieren: „Wichtig war, alle Patienten versorgt zu bekommen. Das war das Hauptziel.“
Weiterer Vorwurf: Abrechnungsbetrug
Zusätzlich zu den Untreue-Vorwürfen wirft der Staatsanwalt den beiden Angeklagten auch Abrechnungsbetrug gegenüber Krankenkassen vor.
Zwischen 2016 und 2021 sollen sie Pflege-Leistungen zu einem Preis abgerechnet haben, als sei spezielles Fachpersonal wie zum Beispiel examinierte Altenpflegerinnen oder -pfleger im Einsatz gewesen. Tatsächlich soll aber nicht ausreichend qualifiziertes Personal die Arbeit erledigt haben – oder auch gar keine Leistung erbracht worden sein. Mutmaßlicher Schaden: 1,7 Millionen Euro.
Der Arzt bestreitet eine Mitschuld daran, die Mitangeklagte räumt dies indes teilweise ein, verwies aber auf die enormen Probleme des „Pflegenotstands“. „Ich wollte helfen, die Patienten versorgen zu können.“ Das sei „ein täglicher Kampf“.
Beide Angeklagte räumen ein, dass sie „Fehler“ gemacht haben. Die angeklagte Pflegekraft fühlt sich aber trotzdem von der Staatsanwaltschaft „kriminalisiert“. Mehrfach betonte sie die Selbstlosigkeit ihres Tuns. „Sie widmete ihr ganzes Leben schwer kranken Menschen“, sagte ihre Anwältin.
Die Angeklagte strebt eine bewährungsfähige Strafe an, der mitangeklagte Arzt ebenso. Er allerdings muss wohl zittern, ob das klappt. Die 10. Wirtschaftsstrafkammer stellt allein für die Untreue-Vorwürfe einen Strafrahmen zwischen einem Jahr und neun Monaten sowie zweieinhalb Jahren Haft in Aussicht. Ab zwei Jahren ist eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr möglich.
Angeklagt ist auch eine 68-jährige Ex-Mitarbeiterin des Pflegebetriebes. Sie spielt aber nur eine Nebenrolle in dem Fall. Der Prozess wird fortgesetzt.