Bochum. Wo heute Wein ausgeschenkt wird, war einst der Hauptbahnhof: „Katholikentagsbahnhof“ nennen manche Bochumer die Rotunde. Woher kommt der Name?
„Gerechtigkeit schafft Frieden“: Der Leitsatz ist aktueller denn je. Dabei ist es 75 Jahre her, dass er als Motto eines der bedeutendsten Ereignisse der Stadtgeschichte diente. 1949 wurde in Bochum der 73. Deutsche Katholikentag gefeiert. Mehr als eine halbe Million Besucher pilgerten ins Ruhrgebiet. Ein markantes Bauwerk in der Innenstadt und eine Siedlung in Harpen erinnern bis heute daran.
Willi Pollmüller ist Hobbyhistoriker. Daheim im Ehrenfeld taucht er tief in die Bochumer Vergangenheit hinab. Eher zufällig stieß er kürzlich auf eine Sammlung mit Originaldokumenten des Katholikentages: Programmhefte, Postkarten, Fotos und Plaketten, aufbewahrt von seinen Eltern, die als Gemeindemitglieder von St. Johannes Wiemelhausen tief im Glauben verankert waren. Blick aufs Datum: 1. bis 4. September 1949. Jubiläum!
„Rotunde“ Bochum: Für den Katholikentag als Hauptbahnhof neu gebaut
Wer recherchiert, erfährt schnell: Für Bochum ist das Kirchentreffen vier Jahre nach Kriegsende ein Kraftakt. Teile der Stadt liegen noch in Trümmern. Für eine Veranstaltung dieser Größenordnung fehlt die komplette Infrastruktur. Doch Oberbürgermeister Franz Geyer macht als Organisationsleiter mit dem Segen der Alliierten das eigentlich Unmögliche möglich.
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Erste Aufgabe: die geordnete Anreise der Gläubigen. Der heutige Hauptbahnhof wird erst 1957 in Betrieb genommen. Der Vorgänger steht dort, wo jetzt im Bermudadreieck Party gemacht wird. Doch er ist derart zerstört, dass eigens für den Katholikentag ein Neubau errichtet wird. Daraus erwächst später der Szene-Club Rotunde, von vielen älteren Bochumerinnen und Bochumern noch immer „Katholikentagsbahnhof“ genannt.
Festplatz für 500.000 Menschen mit Blick auf den Bochumer Verein
In dem vergleichsweise kleinen Bahnhof herrscht Anfang September 1949 mächtig Betrieb. Die meisten Teilnehmer reisen mit dem Zug an. Mehr als 500.000 aus 18 Nationen sind es insgesamt an den vier Tagen. Zwei zentrale Feierstätten sind für sie geschaffen worden:
- Eine 150 Meter lange Maschinenhalle des Bochumer Vereins an der Alleestraße in Stahlhausen (heute Westpark/Jahrhunderthalle) wird als Festhalle hergerichtet. Hier wird der Katholikentag am 1. September eröffnet. In den Tagen darauf folgen Pontifikalämter, Messen und Chorkonzerte. Über 60.000 Menschen kommen hier zusammen.
- Der Festplatz entsteht nicht weit entfernt zwischen Gahlenscher- und Dorstener Straße. „Die Fläche wurde zum Teil mit Trümmerschutt aufgefüllt“, heißt es in einer Chronik. Eindrucksvoll sind die historischen Aufnahmen, die die Abschlusskundgebung mit einer halben Million Teilnehmern mit der Industrie-Silhouette des Bochumer Vereins im Hintergrund zeigen. „Der Altar liegt hoch, so daß jeder dem Geschehen auf dem Platze folgen kann“, wird im Programmheft versprochen. Rom schaltet sich dazu: Per Rundfunk wird eine Rede von Papst Pius XII. in deutscher Sprache an den Katholikentag übertragen.
Mit Plaketten für eine Mark gab‘s überall freien Eintritt
Neben Glaubensfragen steht die katholische Soziallehre in der Tradition eines Adolph Kolping im Mittelpunkt. Resolutionen zur Mitbestimmung und zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand werden auf den Weg gebracht. Die Gleichberechtigung der Frauen in der Arbeitswelt ist gleichfalls eine Kernforderung.
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„Damals spielte die Kirche im Leben und Alltag der Menschen eine deutlich größere Rolle. Das hat sich nicht zuletzt wegen der vielen Skandale und der Schließung vieler Gotteshäuser auch in Bochum leider geändert“, weiß WAZ-Leser Willi Pollmüller. Er war beim Katholikentag sieben Jahre jung, hat nur noch vage Erinnerungen. Auf seine Sammlung ist der ehemalige Industriekaufmann stolz. Vor allem auf zwei Original-Festplaketten mit dem Konterfei des Heiligen Vaters. Für eine Mark gewährten sie freien Eintritt bei allen Veranstaltungen. „Eine Mark: Das war damals viel Geld.“
Bemerkenswert: Auch die Bochumer Kinos stellen sich auf das Glaubenstreffen ein. Das „Capitol“ an der Kortumstraße zeigt „Das Siegel Gottes“. Als deutsche Uraufführung ebenfalls im Programm: der Film „Krieg dem Kriege“. Auch dies ein Titel, der nichts an bedrückender Aktualität eingebüßt hat.
Spenden legten Grundsteine für die Harpener „Katholikentagssiedlung“
Besondere Anteilnahme wird der 75. Jahrestag in Harpen finden. Während des Kirchentages werden die Teilnahme um ein „Stundenlohnopfer“ gebeten, um den Bau neuer Siedlungen und Kirchen zu ermöglichen. „Der Lohn betrug damals 1,60 Mark. Insgesamt wurden 100.000 Mark gesammelt“, berichtete der Bochumer Historiker Hans H. Hanke, als 2019 die Siedlergemeinschaft am Schleipweg ihr 70-jähriges Bestehen feierte.
Die Spenden der Gläubigen bildeten 1949 die Anschubfinanzierung für das Viertel rund um die Heilig-Geist-Kirche und den Apostelplatz, das unter dem Namen „Katholikentagssiedlung“ bekannt ist. Ein Kreuz erinnert an die kirchliche Historie. Inschrift: „Gerechtigkeit schafft Frieden.“