Bochum. In Bochum nimmt nur ein Arzt Schwangerschaftsabbrüche vor. Die Versorgungslage könnte sich weiter verschlechtern. Gynäkologin schlägt Alarm.
Die Zeit ist knapp bemessen: Schwangere, die ihr Kind nicht austragen wollen, haben nur zwölf Wochen Zeit, diese Entscheidung zu fällen und zu vollziehen – von der Feststellung der Schwangerschaft bis zum Ablauf der Frist ist die Zeit in der Regel deutlich kürzer. Umso dramatischer wird die Situation dann, wenn die Versorgung nicht sichergestellt ist.
In Bochum gibt es derzeit nur einen Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche durchführt: Dr. Goran Vidovic. Seine Praxis in Wattenscheid betreibt er seit vielen Jahren, doch er ist mittlerweile über das Rentenalter hinaus. „Es ist im Grunde nur eine Frage der Zeit,“ fürchtet Dorothee Kleinschmidt, selbst Gynäkologin und Beraterin bei Pro Familia in Bochum. Ein Nachfolger ist bislang nicht in Sicht, und die Versorgungslage könnte sich dadurch dramatisch verschlechtern.
Stand jetzt müssen Frauen, die ihre Kinder nicht austragen wollen, in Zukunft also in umliegende Städte fahren. Nach Herne oder Dortmund etwa, doch auch dort ist die Lage kaum besser. „Aktuell ist die Versorgungslage noch akzeptabel, und Frauen erhalten zeitnah Termine“, erklärt Kleinschmidt. „Aber wenn einer der Gynäkologen in der Region krank oder im Urlaub ist, sieht es schon ganz anders aus.“
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Schwangerschaftsabbrüche in Bochum: Ärztemangel und gesetzliche Frist könnten Folgen haben
Häufig werde eine ungewollte Schwangerschaft erst nach einiger Zeit bemerkt, erläutert die Beraterin. In vielen Fällen lassen sich die Frauen zunächst die Schwangerschaft bestätigen, bevor sie eine Beratung in Anspruch nehmen. Nach der Beratung ist eine Bedenkzeit von zwei Tagen vorgeschrieben. Erst danach kann der Eingriff durchgeführt werden. „Die zwölf Wochen sind ohnehin schon knapp bemessen,“ meint Kleinschmidt. Je weniger Ärzte zur Verfügung stünden, desto länger würden die Wartezeiten. Künftig könnten daher im schlimmsten Fall mehr Frauen keinen rechtzeitigen Termin erhalten, fürchtet die Ärztin.
Die Lage in Bochum ist insbesondere in den westlichen Bundesländern kein Einzelfall – im Osten dagegen seien Abtreibungen viel mehr an Krankenhäuser angegliedert, was die Situation entspanne, so Kleinschmidt. Doch warum ist es so schwer, in Bochum eine adäquate medizinische Versorgung in diesem Bereich zu gewährleisten?
Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, berichten immer wieder von gesellschaftlicher Kritik, Anfeindungen oder sogar Drohungen. Dennoch gaben 2019 nur wenige Ärzte in einer Umfrage von Pro Familia in Bochum an, dass sie wegen des sozialen Drucks keine Abbrüche durchführen. Auch die fachliche Kompetenz trauten sich die meisten Befragten zu.
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Pro Familia Bochum sieht dringenden Handlungsbedarf
Abtreibungen, egal ob medikamentös oder operativ, seien jedoch mit erheblichem Aufwand verbunden, erklärt Kleinschmidt. Für den operativen Eingriff sind spezielle Räumlichkeiten und Ausstattungen erforderlich, die in den meisten Praxen nicht vorhanden sind. Wird eine medikamentöse Abtreibung angeboten, muss entweder ein Raum für die Beobachtung der Patientin bereitgestellt oder ein Notdienst organisiert werden, der bei Fragen oder Komplikationen telefonisch erreichbar ist und im Ernstfall Hausbesuche durchführt.
Auch die Abrechnung gestaltet sich kompliziert, da Schwangerschaftsabbrüche – sofern keine medizinische Indikation vorliegt – nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Die Patientinnen müssen den Eingriff selbst bezahlen oder erhalten einen Zuschuss vom Land, der anders abgewickelt wird als andere Leistungen..
„Die Anforderungen, die an Arztpraxen gestellt werden, um Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, sind hoch,“ betont Kleinschmidt. Ein Großteil der von Pro Familia befragten Ärzte gab an, dass er zwar grundsätzlich bereit sei, Abbrüche durchzuführen, aber die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen einfach nicht gegeben seien. Ohne gezielte Maßnahmen vom Land NRW oder – noch besser – der Stadt Bochum selbst, wird sich die Lage weiter verschlechtern – mit schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Frauen, ist sich das Team von Pro Familia daher sicher.