Bochum. Wie die olympische Flamme wird ein Symbol durch das Ruhrgebiet getragen. Beschäftigte von Thyssenkrupp begrüßen sie jubelnd. Es gibt auch Mahner.

Über 120 Kilometer führte die 61. Etappe der olympischen Flamme am Freitag mitten durch das französische Departement Val-d‘Oise. Viel kürzer, gut 20 Kilometer, aber nicht weniger symbolträchtig und emotionsgeladen war der Weg, den die „Flamme der Solidarität“ auf ihrem dritten Abschnitt quer durch das Ruhrgebiet von Dortmund nach Bochum zurückgelegt hat. Mit ihr wollen die Belegschaften und Betriebsräte sowie die IG Metall den Zusammenhalt der Stahlstandorte von Thyssenkrupp Steel Europe beschwören.

Thyssenkrupp-Betriebsratschef erwartet harten Kampf

„Wir haben kämpferische Zeiten vor uns“, ahnt Dirk Stahlschmidt (53); der Mann mit dem Namen, der wie geschaffen ist für einen Stahlarbeiter und der unter dem Jubel von etwa 100 Mitstreitern am Freitagmorgen eben jene Fackel aus den Händen von Kirsten Zeidler entgegennimmt, die diese vom TK-Werk in Dortmund nach Bochum gebracht hat. Er muss es wissen. Seit 37 Jahren arbeitet er im Stahl, immer im Werk an der Castroper Straße, dessen Betriebsratsvorsitzender er ist. Er kennt die vielen Kämpfe um Standorte, Produktionsmengen, Tarife und Arbeitsbedingungen. Aber dieser Kampf droht noch härter zu werden als die vielen davor. „Und dafür brauchen wir wirklichen jeden Mann“, so Stahlschmidt. Symbole und symbolische Aktionen spielen dabei eine große Rolle.

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Wie groß die Herausforderung ist, vor der die 27.000-köpfige Belegschaft von Thyssenkrupp Steel Europe steht, zu der die 600 Frauen und Männer im Werk an der Castroper Straße und ihre 2000 Kollegen an der Essener Straße in Bochum gehören, macht Tekin Nasikkol klar. Der Duisburger ist Konzernbetriebsratsvorsitzender und damit so etwas wie der Gegenspieler von Thyssenkrupp-Chef Manuel Lopez. . Die Idee von der „Flamme der Solidarität“ findet er prima, sie reihe sich ein in die Liste anderer symbolträchtiger Zeichen: das „Herz für Stahl“, mit denen Unterstützer aus Politik gewürdigt werden, und den „Stahlhammer“, den all jene zu sehen bekommen, „die nicht richtig parieren“.

Herausforderungen für Stahlarbeiter sind sie groß wie nie

Es gehe um viel Geld; nämlich um eine mögliche „Mitgift“ des Gesamtkonzerns für die Loslösung der Stahlsparte; es gehe um die Transformation vom grauen zum sogenannten grünen Stahl, der klimaneutral produziert werden soll, es gehe um die Reduzierung der jährlichen Stahlproduktion um zwei Millionen Tonnen mit noch nicht absehbaren Folgen für einzelne Standorte. „Und als würde das nicht reichen, kommt noch mit EPH ein Investor dazu, der Interesse hat, mit mehr als jetzt schon 20 Prozent beim Stahl einzusteigen. Da sind so viele Bälle in der Luft und so viele Herausforderungen; das überfordert viele Belegschaftsmitglieder, die das gar nicht mehr zusammenkriegen und alles verstehen“, so Nasikkol

Auf kämpferische Zeiten stimmen sich Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel Europe ein.
Auf kämpferische Zeiten stimmen sich Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel Europe ein. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Und das in Zeiten, in denen der gesellschaftliche Zusammenhalt zu schwinden scheint und selbst eine so hartgesottene Gemeinschaft wie die der Stahlkocher mit einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von 98 Prozent nicht mehr ganz so kämpferisch ist wie es in vergangenen Jahren der Fall war. Einer ihrer „Dauerbrenner“, Bundestagsabgeordneter Axel Schäfer (SPD), seit 55 Jahren Mitglied der IG Metall, mahnt an diesem Morgen denn auch, die Botschaft von der „Flamme der Solidarität“ an alle Beschäftigten weiterzutragen. Weil: „Das, was ihr gemeinsam zu stemmen habt, ist viel mehr als alle, die vorher hier am Werk und an der Essener Straße etwas zu bewältigen hatten.“ Auf keinen Fall, so Schäfer, dürfe die Belegschaft dabei den Fehler machen, den es bei Nokia und Opel gegeben habe; dass Standorte gegeneinander ausgespielt werden. Die Lasten einer Zukunftslösung, und davon wird es nach Einschätzung der Redner einige geben, müssten gemeinsam getragen werden.

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An der Castroper Straße haben sie eigentlich sogar schon Gewissheit darüber, wie groß ihre Last ist. 2030 wird ihr Werk geschlossen, immerhin vier Jahre später als es die ursprüngliche Vereinbarung vorsah. Noch wird es benötigt, um während der Phase der Modernisierung an der Essener Straße die Produktionskapazitäten zu sichern. „Aber wer weiß, was diese Vereinbarung vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung wert ist“, unkt Betriebsratschef Dirk Stahlschmidt, um schließlich gemeinsam mit seinen Mitstreitern die „Fackel der Solidarität“ wenige Kilometer weiter zur Essener Straße zu bringen. Von dort wird sie am nächsten Mittwoch nach Gelsenkirchen wandern.

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