Bochum. Bernhard Krauße spricht über sein Berufsleben: bei Nokia, Blackberry und VW. Bochum spielt für die IT und das vernetzte Auto eine große Rolle.
Als Geschäftsführer Technik hat Bernhard Krauße seit 2014 die Entwicklung des VW-Tochterunternehmens Volkswagen Infotainment in Bochum maßgeblich mitgestaltet. Zuvor hat er dem Standort Bochum in zwei weiteren Weltunternehmen seinen Stempel aufgedrückt: Zuerst von 1995 an bei Nokia in Riemke, 1999 übernahm der gebürtige Rheinländer den Bereich Forschung und Technik des finnischen Telekommunikationsriesen; dann bei Blackberry in Querenburg. Von 2008 an leitete Krauße die europäische Entwicklungszentrale der Kanadier. Ende Juni geht der 58-jährige Elektrotechnikingenieur und Master der Betriebswirtschaft in den Ruhestand. Im Gespräch mit dieser Redaktion blickt er zurück auf fast drei Jahrzehnte mit revolutionären Veränderungen in Technik und Gesellschaft und auf die Rolle Bochums in dieser Zeit.
Herr Krauße, 1991 hat Ihr Berufsleben beim Faxgerätehersteller Muratec in der Typenzulassung begonnen. Haben Sie noch ein Faxgerät?
Nein. Ich hatte noch sehr lange eines und war einer der wenigen, der auch zu Hause eines genutzt hat. Aber irgendwann bin ich ganz zur E-Mail und zur Telefonie übergegangen.
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Wie viele technische Quantensprünge hat es seitdem gegeben?
Etliche. Wenn wir Anfang des Monats mit den Neustartern im Unternehmen zusammenkommen, dann erzähle ich häufig von den technologischen Innovationen und versuche deutlich zu machen, dass jede von ihnen gesellschaftliche Veränderungen herbeiführt. Die Gesellschaft kann sich verändern, weil Technologie es möglich macht. Die erste, die ich durch meinen ersten Firmenwechsel zu Nokia erlebt habe, ist der Schritt von der analogen Festnetztelefonie hin zu mobiler digitaler Technik. Das war damals einer dieser Quantensprünge, möglich geworden durch Miniaturisierung, und Energiedichte in Akkus. Das waren die Treiber, um überhaupt Handys herzustellen. Dann hat es Firmen gegeben, die haben das umgesetzt. Und die Gesellschaft hat das angenommen und hat sich offensichtlich ganz stark verändert. Vor-Handy-Zeit und Nach-Handy-Zeit hat was mit der Gesellschaft gemacht.
Wann kommt die nächste große Veränderung?
Die läuft schon. Momentan verändert sich die Mobilität, u.a. vom Besitz eines Autos hin zu der Nachfrage von komplexer Mobilität. Das verändert die Gesellschaft. Immer mehr junge Menschen wollen kein Auto mehr besitzen, wollen aber bequem von A nach B kommen. Dazwischen gab es andere Schritte: nicht nur das Mobiltelefon, also unterwegs erreichbar zu sein, sondern auch das Internet mit der absoluten Informationsverfügbarkeit.
Haben Sie als junger Ingenieur in den 1990er Jahren eine solche Entwicklung für möglich gehalten?
Nein, überhaupt nicht. Aber gerade in meiner Zeit bei Nokia habe ich das beobachtet, war fasziniert davon und bin auch ein bisschen stolz darauf, Teil davon zu sein. Wenn man mittendrin in einer solchen großen Veränderung steckt, so wie jetzt, ist es schwer, diesen Zusammenhang zu erkennen. Wir nutzen es beim Volkswagen Infotainment als Motivator, um gerade jungen Mitarbeitern zu zeigen, wofür wir hier arbeiten. Ich sage ihnen, das ist der Grund, warum ich gerne zur Arbeit komme; weil ich sehe, wir können etwas zum Besseren verändern.
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Sie haben für drei Weltunternehmen gearbeitet: Nokia, Blackberry, jetzt Volkswagen: Was kennzeichnet sie, was sind die großen Unterschiede?
Ich tendiere dazu, die Nokia-Zeit ein bisschen zu verherrlichen. Ich war 13 Jahre bei Nokia, zuerst drei Jahre als Ingenieur in den Fax-Welten und habe dort dann Management gelernt. Da muss ich Nokia sehr viel Kredit geben. Es ist ein tolles Unternehmen gewesen. Wobei es einfach war, toll zu sein, weil der Markt es möglich gemacht hat, jedes Jahr die Umsätze zu verdoppeln. Dieser Boom im Handy-Markt, und Nokia war damals Markführer, hat auch dem wachsenden Management unendliche Möglichkeiten gegeben. Auch für mich als jungen Leiter des Bereichs Forschung und Entwicklung mit 200 bis 300 Mitarbeitern. Nokia war super jung und super schnell wachsend. Es gab flache Hierarchien, man konnte ganz viel bewegen. Das war einfacher als es heute möglich ist, gerade im Vergleich zu einem großen Konzern.
Das hört sich nach Start-up-Mentalität an?
Ja, absolut. Nokia hat viel in Nachwuchs- und Managementförderung investiert. Das bleibt bis heute in sehr positiver Erinnerung.
Bochum und viele ehemalige Nokianer blicken etwas anders auf das Unternehmen. 2008 wurde das Werk in Riemke ziemlich plötzlich abgewickelt. Wie bewertet Sie das?
Ich habe zwölf fantastische Jahre bei Nokia erlebt und ein Scheiß-Jahr. Wenn das Geld wegbleibt, wenn Abbau vor der Tür steht, können auch fantastische Unternehmen hart mit der Umwelt umgehen. Trotzdem ist die Art, wie sie sich hier aus Bochum zurückgezogen haben und wie dann der ganze Abbau gelaufen ist, nicht schön gewesen und hat auch bei mir Ängste ausgelöst.
Dann kam Blackberry.
Blackberry ist von der Kultur her ein komplett anderes Unternehmen. Kleiner. In der Höchstphase hatte Blackberry 17.000 Mitarbeiter. Nokia Mobilphones hatte 50.000 und Nokia insgesamt 150.000, VW hat 670.000. Blackberry hatte einen anderen Charme. Die haben gar nicht erst versucht, auf unsere Kultur einzugehen. Das ist das, was wir hier gerade bei Volkswagen Infotainment ganz stark machen, dass wir versuchen, Werte zu beschreiben, Kultur zu beschreiben. Blackberry hat gesagt, wir kaufen uns unsere Mannschaften zusammen: von Motorola, von Nokia. Die Kulturen werden schon zusammenfinden. Aber es gab eine väterliche Leitfigur, den Gründer Mike Lazaridis, ein Milliardär und Technik-Nerd.
Wie war die erste Zeit im neuen Unternehmen?
Das Management-Team war nach Kanada eingeladen. Sozusagen zu einer Druckbetankung. Ich wollte etwas aus Bochum mitbringen und habe mich dann an Ansgar Schwenken, den damaligen Geschäftsführer des VfL, gewendet und habe gesagt, vielleicht wird Blackberry den Club später mal über ein Sponsoring unterstützen – was im Übrigen tatsächlich passiert ist. Ich habe dann Plastiktüten voller signierter Trikots und anderer Fanartikel mit nach Waterloo genommen, zum Sitz von Blackberry in Kanada. Dort waren sie ganz verrückt danach. Noch Jahre später hingen die Sachen in den Büros an den Wänden.
Ein guter Schachzug also, um den neuen Standort Bochum bekannt zu machen?
Das war total gut.
Aber auch das war nur eine Übergangszeit.
Wir waren sechs Jahre bei Blackberry. Das Unternehmen war antizyklisch unterwegs. Während rundherum der Mobiltelefonmarkt schrumpfte, hat Blackberry aufgebaut und hatte anfangs auch mit seiner Nische, dem Text-Telefon, großen Erfolg. Vor der Expansion waren es 3000 bis 4000 Mitarbeiter, dann 17.000 und jetzt sind es wieder etwa 4000, weil die Nische irgendwann nicht mehr funktionierte. Das Endgerätegeschäft wurde an Foxconn verkauft, die Forschung und Entwicklung vorher herausgeschnitten. Wir wurden abgewickelt, allerdings ist Blackberry damit offener umgegangen als Nokia. Wir wussten relativ früh Bescheid.
Und dann kam Volkswagen auf sie zu?
Wir, das Management-Team der Forschung, hat offen einen Nachfolger gesucht. Und es gab mehrere Interessenten, ich habe uns bei BMW und einigen anderen vorgestellt. Volkswagen ist es dann geworden. Ein Management-buy-out kam für uns nicht in Frage.
Warum sind Sie mit Ihrer Mannschaft bei einem Automobilhersteller gelandet?
Die Handy-Industrie war zwar eine Option, aber die war schon aufgeteilt. Medizintechnik war ein möglicher Bereich. Wir haben auch Gespräche mit Professor Grönemeyer geführt, haben sogar Prototypen gebaut. Aber wir wollten das ganze Team mit 200 Köpfen mitnehmen, Ingenieure, Techniker, alle. Das hat sich von der Größe nicht ergeben. Wir haben dann eine Hochglanzbroschüre erstellt und haben Klinken geputzt. Die einen haben gesagt: Toll, wir wollen Eure Softwareingenieure, mehr aber nicht. BMW wollte zwar alle Leute, aber alle sollten nach München kommen. Das kam auch nicht in Frage.
Sie haben darauf bestanden, eine Lösung für die gesamte 200-köpfige Mannschaft zu finden?
Ja, und es ist heute ein gutes Gefühl, dass wir das geschafft haben. Keine Genugtuung, aber das gute Gefühl, sich selbst und anderen gezeigt zu haben, dass es aufgeht, eine ganze Mannschaft mit einer wirklichen Perspektive zu übernehmen.
Nun sind Sie und viele andere frühere Nokianer und Blackberry-Beschäftigte bei Volkswagen gelandet. Wie tickt dieses Weltunternehmen?
Die Größe macht schon was aus. Wenn man Dinge bewegen will, wenn man Sachen verändern will oder neue Ideen hat, dann geht das tatsächlich. Aber erst nach einem Weg durch viele Gremien. Das ist einfach viel aufwendiger, aber auch verständlicher. Es geht um Produkte, die weltweit vertrieben werden. Wenn man da Parameter verändern will, dann gibt es viele Sachen an verschiedenen Teilen in der Welt, die das beeinflussen und die berücksichtigt werden müssen.
Trotzdem scheint Volkswagen Infotainment immer noch wie ein Startup zu ticken, dynamischer als ein Tanker wie VW; selbst wenn es mittlerweile auch hier in Bochum schon etwa 1000 Mitarbeiter sind.
Das ist etwas, was wir von Anfang an versucht haben, zu bewahren: auch in einem großen Unternehmen noch mit großer Geschwindigkeit zu agieren. Ich denke, wir haben uns die größere Agilität und Schnelligkeit bewahrt.
Und man lässt sie?
Es ist unbestritten, dass Volkswagen vor zehn Jahren, als wir hier angefangen haben, die Größe hatte, uns Freiheitsgrade zu lassen. Man hätte auch, wie es bei anderen Firmen der Fall war, einfach hart im Konzern integrieren können, statt einen Standort an der langen Leine agieren zu lassen. Das ist nicht selbstverständlich und kommt uns zugute.
Volkswagen Infotainment stellt dem VW-Konzern die Expertise in Sachen Vernetzung und Konnektivität, also zentrale Elemente in der Autowelt von morgen. Wie wichtig ist der Standort Bochum für den Konzern?
Ich glaube, dass wir eine wichtige Rolle haben. Vereinfacht gesagt, wir haben als verlängerte Werkbank angefangen und haben uns zum wirklich geschätzten Partner entwickelt. Man fragt nach unserer Expertise in den Bereichen, in denen wir uns auskennen. Und unsere Meinung hat sicherlich sehr, sehr hohen Einfluss in Bereichen der Konnektivität, in der Hardware, Software, in der Entwicklung von Steuergeräten.
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Volkswagen Infotainment am Standort Bochum auszubauen und hier auf Mark 51/7 eine Entwicklungszentrale zu errichten, war Ihnen und Ihrem Geschäftsführerkollegen Tobias Nadjib sehr wichtig. Warum?
Weil es hier und um Bochum herum ein tolles Potenzial gibt: die Universitätsdichte, das Angebot an jungen, gut ausgebildeten Leuten, aus denen man schöpfen kann. Aber wir sind ja nicht die einzigen, die darauf setzen.
Die Nachwuchssuche wird schwieriger?
Wir haben einen Arbeitnehmermarkt. Nicht wir suchen uns aus, wen wir gerade nehmen und wollen. Wir müssen uns bemühen. Und unsere Botschaft ist: Es ist toll, bei uns zu arbeiten. Wir haben null Schubladen, wir haben keine Vorurteile, wir haben Beschäftigte aus über 50 Nationen, wir sind eine kulturell offene Firma, wir haben viele starke Schultern, wir pflegen ein Zusammengehörigkeitsgefühl, wir haben Angebote weit über die Arbeit hinaus, wir geben jedem die Chance, sich zu entwickeln.
Bewerber fragen also nicht zuerst nach Gehalt, Aufstiegsmöglichkeiten und Urlaub?
Natürlich fragen sie danach. Aber neben Gehalt und Position ist dann, glaube ich, einer der wichtigsten Schritte für sie, was sie bei uns tun können. Es geht um neue technische Themen, mit denen sie an der Uni in Berührung gekommen sind und die sie umsetzen möchten. KI zum Beispiel. Hier bei uns ist ein Nährboden für moderne, neue technische Entwicklungen. Und ein neues Gebäude mit modernen, hellen Arbeitsplätzen ist auch sicherlich auch ein Zugfaktor.
Welche Entwicklung, welche neue Technik aus Bochum wird in den Autos des VW-Konzerns der nächsten Generation stecken?
Wir arbeiten an dem vernetzten Auto als Gesamtes. Für alle Marken: VW, Audi, Porsche. Da geht es um einfache Dinge: Wann die nächste Ladesäule wo zu erreichen ist, wie weit ich mit meinem Auto noch komme und so weiter. Aber die großen Themen sind autonomes Fahren, weitere bessere Elektrifizierung, und Mobilität als Dienstleistung. Dahinter steht die Idee, dass ich ein Auto gar nicht mehr besitzen muss, sondern eigentlich nur von A nach B will. Dafür könnte ich auf einen Knopf drücken, und dann kommt ein selbst fahrendes Robo-Taxi elektrisch vor die Tür gefahren. Ich setze mich rein, es lässt mich an der Arbeitsstelle wieder raus und verschwindet wieder. Das Auto lenkt sich selbst, wäscht sich selbst und so weiter.
Das hört sich nach einer fernen Zukunft an. Wann wird es nach Ihrer Einschätzung so weit sein?
Ich bin überzeugt, dass es keine zehn Jahre mehr entfernt ist. Da, wo der Druck am größten ist, in den Metropolen wie London oder Tokio, wo kein Parkraum mehr ist, wo die Leute gar nicht mehr die Autos haben können, die sie brauchen, da wird es schnell passieren. Ich bin überzeugt, dass die Technologie in den nächsten zehn Jahren die Möglichkeiten schaffen. Und dann werden sich die gesellschaftlichen Trends wahrscheinlich in Metropolen anders entwickeln als auch auf dem Land, wo man gar nicht so einen großen Bedarf hat.