Bochum-Westenfeld. Anwohner der Hochhaussiedlung sorgen sich um Zustand und Sicherheit im Viertel. Ein Problem: Die mehr als 700 Wohnungen gehören 430 Eigentümern.
Vor dem ehemaligen Jugendtreff am Frankenweg breitet Thomas Schmid die Arme aus. „Stellen Sie sich das Ganze mal in gepflegt vor!“, sagt er. „Richtig schön“ könnte es hier sein. Und früher einmal, da sei es auch schön gewesen. Das Viertel weitgehend autofrei, viele Gemeinschaftsflächen für die jungen Familien, die hier einzogen. Der Innenhof der Wohnblöcke am Frankenweg ein kleines Stadtteilzentrum mit Lebensmittelmarkt, Metzger, Friseur.
Heute sind die meisten Geschäfte längst dicht. Germanenviertel heißt die Hochhaussiedlung, die in den 1970er-Jahren in Wattenscheid-Westenfeld aus dem Boden gestampft wurde, benannt nach den Straßen, die hindurchführen: Sachsenring und Wikingerstraße, Franken-, Kelten- und Friesenweg. Seit Jahren hat das Viertel einen eher zweifelhaften Ruf. „Bausünde“ nennt man es, auch der Begriff „Brennpunkt“ fällt mitunter.
„„Stellen Sie sich das Ganze mal in gepflegt vor! Das könnte richtig schön sein.““
Unterschiedliche Interessen bei 700 Wohnungen und 430 Eigentümern
„Nicht ganz so einfach“ sei die Situation hier, sagt Hans-Josef Winkler. Der Vorsitzende der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG: Freie Bürger) hat zur Ortsbegehung ins Germanenviertel geladen, und ein gutes Dutzend Anwohnerinnen und Anwohner sind gekommen. Winkler sagt, er wolle wissen, „wo der Schuh drückt“ bei jenen, die hier wohnen.
„Nicht ganz so einfach“, das muss man erklären: Mehr als 700 Wohnungen gibt es in den Hochhäusern, dazu gehören nach Angaben der Stadt rund 430 Eigentümerparteien. Darunter sind Einzeleigentümer, die selbst dort wohnen. Darunter ist die Baugenossenschaft Bochum, die zwölf Häuser mit mehr als 160 Wohnungen besitzt und einen Großteil davon gerade umfangreich saniert. Aber darunter sind auch Investoren, die Wohnungen oder Häuser als Renditeobjekte angeschafft haben und sich wenig darum scheren, wer darin wohnt und wie es drumherum aussieht.
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Thomas Schmid lebt seit 22 Jahren am Sachsenring, er wolle auch nicht weg, sagt der 64-Jährige. Marlies Kappel (78) sieht das ähnlich. Sie wohnt seit 50 Jahren am Sachsenring. „Ich lebe gerne hier“, sagt sie. Aber ein paar Aufreger, die gebe es schon. Beispiele:
Außenflächen sind verwahrlost
Von Sitzbänken an der Wikingerstraße sind nur noch die Seitenteile übrig. Am Frankenweg steht das Gras mehr als kniehoch auf und um den Platz, auf dem ein paar Betonbänke mehr oder minder zum Verweilen einladen. Wo einst ein Kinderspielplatz war, ist rumpeliger Asphalt übriggeblieben. Abfalleimer sind verschwunden; provisorisch sind Müllbeutel an die Halterungen geknotet. Viele der Grünflächen wirken verwahrlost, manch ein Fußweg ist so zugewachsen, dass man ihn kaum mehr nutzen kann.
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Die Stadt beruft sich darauf, dass sie nur auf den öffentlichen Verkehrsflächen sowie dem Grundstück Friesenweg 28 (Kindergarten) zuständig sei. Die „außergewöhnliche Eigentumssituation“ des Quartiers sei bekannt, gleichwohl: „Die Außenanlagen befinden sich im Privateigentum sämtlicher Hauseigentümer“, sagt Stadtsprecher Peter van Dyk. „Dementsprechend obliegt die Pflege der Außenanlagen ebenfalls der privaten Eigentümergemeinschaft.“
Falschparker blockieren Durchfahrt für den Linienbus
Für Hunderte Schülerinnen und Schüler ist der Sachsenring morgens und mittags der Schulweg: Im Wendehammer endet die Straße auf der Rückseite des Geländes von Hellweg-Gymnasium und Maria-Sibylla-Merian-Gesamtschule. „Morgens um 8“, sagt Marlies Kappel, „kommen Sie hier nicht aus der Einfahrt. Und mittags um halb zwei geht das wieder los.“ An Tempo 30 hielten sich die wenigsten, Falschparker blockierten die Durchfahrt für den Linienbus.
Warum die Stadt die Straße nicht zur Schulstraße erklären und so für Elterntaxis sperren könne, fragt sich Norbert Hinz, der seit 46 Jahren im Viertel wohnt. Stadtsprecher Peter van Dyk erklärt dazu, aktuell bestehe keine Möglichkeit, den Sachsenring als Schulstraße auszuweisen. „Inwiefern überhaupt Schulstraßen ein Mittel der Schulwegsicherung in Bochum sein können, soll als Verkehrsversuch ausprobiert werden“, sagt er. Der Stadt sei der Sachsenring allerdings „auch noch nicht als problematisch gemeldet geworden“.
Und Tempo- sowie Parkkontrollen? Die gebe es im Bereich der Lohackerstraße regelmäßig, sagt van Dyk. „Für den Sachsenring wird momentan geprüft, ob dort Messungen erfolgen können.“ Zu Parkverstößen habe es bei der Stadt „kaum Beschwerden“ gegeben, „daher wird von Seiten der Verkehrsüberwachung der Standort nun geprüft“, erklärt der Stadtsprecher. „Bei Bedarf werden verstärkt Kontrollen dort durchgeführt.“
Illegal entsorgter Sperrmüll auf der Straße
„Wenn Ferien sind, sagen wir immer: Was ist unsere Straße schön sauber!“, erzählen die Anwohner vom Sachsenring. Zu Schulzeiten lande viel Abfall auf Straße, Gehweg und in den Gebüschen. Es bräuchte mehr Behälter entlang der Straße, finden sie. Und illegal entsorgter Sperrmüll müsse auch schneller beseitigt werden.
„„Wenn Ferien sind, sagen wir immer: Was ist unsere Straße schön sauber!““
Dazu erklärt der USB, „seitens der Stadtreinigung haben wir dort in unserer Zuständigkeit keine großen Auffälligkeiten – alles im vergleichbaren Rahmen wie auf anderen Schulwegen“. Gereinigt werde zweimal wöchentlich. Und man wisse „von Verunreinigungen und Abfallansammlungen am Sachsenring, die auffällig sind. Diese befinden sich aber alle auf Privatgrund“.
UWG fordert „konzertierte Aktion mit den Eigentümern“
Er sehe Handlungsbedarf, sagt der Politiker Hans-Josef Winkler. „Kräftigen!“, sekundiert Anwohner Norbert Hinz. Ihnen sei klar, dass nicht allein und überall die Stadt verantwortlich sei, „aber es muss eine konzertierte Aktion mit den Eigentümern geben, und da muss die Stadt vorangehen“, findet Winkler.
Das Germanenviertel sei doch eigentlich ein schönes Wohnviertel. „Wir werden das im Auge behalten“, verspricht Winkler. Westenfeld sei in Bochum „leider so‘n Stiefkind“, sagt einer der Anwohner. Peter van Dyk sagt auf WAZ-Anfrage, für die Stadt sei das Viertel kein besonderer Brennpunkt. „Aus unserer Sicht gibt es im Germanenviertel nichts, was irgendwie negativ herausragen würde im Vergleich zu anderen Gebieten.“