Bochum-Linden. Bettina Kretschmer bietet in Bochum-Linden das Malspiel an. Sie erläutert in ihrem Atelier, warum Bilder hier niemandem gefallen müssen.
Im ersten Pandemiesommer verlegte Bettina Kretschmer das Malspiel in ihren Garten. „Ich fand, dass die Natur ein schöner Schutzraum ist“, sagt die Kunsthistorikerin. Mittlerweile ist sie wieder zurückgekehrt in ihr Atelier im Künstlerhaus Alte Timmer Schule und bietet ihren Besuchern auch hier besonderen Schutz.
Bochumer mit Sehnsucht nach Leichtigkeit
„Natürlich ist das Bedürfnis jetzt umso stärker. Ich merke das an vielen Anfragen und an der Atmosphäre im Raum. Es gibt eine Sehnsucht nach Leichtigkeit“, beschreibt Kretschmer. Die Menschen kommen hierher, ohne ein Urteil erwarten zu müssen. „Wir sprechen nicht über die Bilder, weder über die eigenen noch über die der anderen“, erklärt sie eine der Regeln des Spiels.
Arno Stern erforschte Kreativität bei Kindern
Das Malspiel geht auf die Erkenntnisse des Pädagogen und Forschers Arno Stern zurück. Er entdeckte in seiner Arbeit eine universelle Malsprache. Die von ihm so bezeichnete „Formulation“ meint den Prozess, in dem Kinder ihre eigene Kreativität entwickeln, sie zunächst in typischen Erstfiguren wie Punkte, Kringel oder Striche äußern und sie später aus den eigenen Erinnerungen und den Bedürfnissen heraus eine Figuren- und Farbsprache finden. Nach Forschungen von Stern gleichen sich diese Stadien der Entwicklung an allen Enden der Welt. Und so lange Kinder keinem Urteil entsprechen wollen, malen sie frei.
Bei Bettina Kretschmer erhalten die Teilnehmer die Gelegenheit, das eigene Potenzial der kreativen Selbstentfaltung zu erleben. Während das ein oder andere Kind sofort in dem freien Malen ankomme, benötigten Erwachsene oft länger. Die altersgemischte Gruppe fördere die Freiheit von jeglichen Vergleichen, schildert sie.
Lebensgroßes Bild eines Mädchens in Ballkleid
Der Raum, in dem der Druck eigener und äußerer Erwartungen abfallen soll, ist speziell eingerichtet. Die präparierten Wände sind rundherum mit Packpapier ausgekleidet. Sie sind vom Übermalen mit bunten Farbnetzen überzogen. In der Mitte steht ein Maltisch mit 18 Bio-Farben. Pro Töpfchen liegen drei Pinsel in zwei Größen bereit. Die Malenden stehen und dürfen ihre Bilder ausdehnen.
Kursinformation und Kontakt
Das Malspiel im Atelier Bettina Kretschmer, Künstlerhaus Alte Timmer Schule, Hattinger Straße 764, findet statt: mittwochs von 16 bis 17.30 Uhr und samstags von 10.30 bis 12 Uhr und je nach Anfrage auch von 12.30 bis 14 Uhr. Ein Familienangebot, in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Familienbildungsstätte, findet statt montags von 16 bis 17.30 Uhr. Möglich sind auch Fortbildungen zum Malspiel für Kitas und Grundschulen. Weitere Informationen erhalten Interessierte bei Bettina Kretschmer unter Tel.: 0234/57 98 754 oder 0172/28 77 957. Oder bei Facebook unter: https://www.facebook.com/MalspielBochum
So entsteht zum Beispiel über mehrere Blätter hinweg das lebensgroße Bild eines Mädchens in violettem Ballkleid, während sich an der gegenüberliegenden Wand quirlige Formen und Farben auf einem einzigen Papier tummeln.
Kunsthistorikerin unterstützt Malende im Flow
Bettina Kretschmer selbst agiert als Malbegleiterin. Sie mischt Wunschfarben an, heftet mit Reißzwecken weißes Papier an die Wände und tupft laufende Farbe ab. „Ich tue alles dafür, dass meine Teilnehmer in ihrem Flow bleiben können“, sagt sie. Das wohlwollende Unterstützen des Malprozesses vermittelte dabei auch eine Wertschätzung gegenüber der Person.
„Besonders Kinder, die es aus Schule und Kindergarten gewohnt sind, sich nach Erwachsenen richten zu müssen, verhilft das Malspiel zu mehr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen“, beschreibt Bettina Kretschmer weiter. Am Ende des Malspiels werden die Bilder erst nach fünf Jahren im Atelier-Archiv freigegeben. „Die Bilder werden nicht mitgegeben, um sie auch nachträglich keiner Bewertung auszusetzen. Es ist wie Tanzen, danach nimmt man auch nichts Materielles mit“, erläutert sie.
Ihre Ausbildung absolvierte Bettina Kretschmer bei Arno Stern in Paris. Zwei Jahre später, 2016, erhielt sie erstmals die Chance, innerhalb eines deutsch-afrikanischen Sozialprojekts, ein temporäres Malspiel in einem Township in Middelburg nahe Johannesburg in Südafrika anzubieten.