Bochum. In Wattenscheid stach ein 20-Jähriger im Dezember 2020 auf eine junge Frau ein. Sie wollte ihrer Freundin helfen. Am Dienstag begann der Prozess.
Manchmal sehe er schwarz, sagt der 20-Jährige. „Dann tue ich etwas, was ich normalerweise nie machen würde.“ Am 4. Dezember 2020 muss ein solcher Moment gekommen sein. In Wattenscheid stach der junge Mann fünf Mal auf eine Frau ein. Seit Dienstag muss er sich vor der Jugendstrafkammer am Bochumer Landgericht verantworten. Die Anklage lautet u.a. auf versuchten Mord.
Modische Kurzhaarfrisur, blauer Hoodie unterm weißen Blouson, stylishe Nerd-Brille, klare, strukturierte Aussagen, kein Verstecken vor der TV-Kamera: Selbstbewusst wirkt der Bochumer; äußerlich teilnahmslos verfolgt er die Verlesung der Anklage, die das brutale Geschehen des Winterabends an der Geitlingstraße nachzeichnet.
Versuchter Mord: Angeklagter stammt aus zerrütteter Familie
Ein knappes Jahr ist der Azubi zu dieser Zeit mit seiner Freundin zusammen. Ob die 17-Jährige seine Vorgeschichte kennt, bleibt zum Prozessauftakt unklar. Der so cool daherkommende Mann entstammt einer zerrütteten Familie. Verwahrlosung, Gewalt: Mit fünf Jahren kommt der Junge zu seinen Großeltern nach Wattenscheid. Zu seinen Eltern hat er fortan kaum noch Kontakt.
In der Schule sieht er sich Mobbing-Attacken ausgesetzt. Früh flüchtet er sich als Jugendlicher in Drogen, beginnt, sich zu ritzen. Dennoch schafft er die Fachoberschulreife, zwei Jahre später auch das Fachabi an einem Bochumer Berufskolleg.
Beziehungen sind von Eifersucht vergiftet
Seine Beziehungen zu Mädchen sind – wie er selbst eingesteht - von Eifersucht vergiftet. Als er glaubt, dass seine erste Freundin untreu ist, verschickt er Nacktbilder an Familie und Freunde. „Ich wollte mich rächen.“ Dafür wird er zu einer Geldbuße verurteilt.
Als „Auf und Ab“ kennzeichnet er auch die Beziehung mit der 17-Jährigen. Einzelheiten werden erst an den folgenden Verhandlungstagen bekannt werden. Gesichert ist: Am 4. Dezember 2020 kommt es in der Wohnung der Großeltern am Lerchenweg in Grumme, wo der Auszubildende seinerzeit noch immer wohnt, zu einem heftigen Streit.
Freundin wollte Schluss machen
„Eifersucht“ vermutet die Anklage als Grund, warum der 20-Jährige seine Freundin mehrfach gegen den Türrahmen geschleudert und mit einer Glasschale auf ihren Kopf eingeschlagen haben soll. Die junge Frau will endgültig Schluss machen. Im Auto seines Großvaters, das er regelmäßig nutzen darf, fährt der 20-Jährige mit seiner nun Ex-Partnerin zu deren Wohnung an der Geitlingstraße: um seine Sachen zu holen, wie es heißt.
Eine Nachbarin kommt an der Haustür zufällig hinzu. Die 19-Jährige hat sich mit der Mitbewohnerin angefreundet, ist in Sorgen, als sie die Kopfverletzungen bemerkt. Während die 17-Jährige in der Wohnung verschwindet, stellt die Nachbarin den Freund zur Rede. Wohl aus Angst, dass sie die Polizei rufen könnte, habe der 20-Jährige ein Klappmesser gezückt, berichtet der Staatsanwalt. Das habe er regelmäßig bei sich geführt, um „sich sicherer zu fühlen“, sagt der 20-Jährige am Dienstag.
Nachbarin wird lebensgefährlich verletzt
Die Nachbarin hat keine Chance. Der erste Stich trifft sie von hinten in den Rücken. Sie fällt zu Boden, wird – so die Ermittler – mehrfach getreten und mit weiteren vier Messerstichen in die Lunge und Halsschlagader schwer verletzt. Eine Notoperation im Bergmannsheil rettet ihr Leben.
Kurz vor der Tat, beteuert der Angeklagte, habe er eine Therapie antreten wollen, „wegen meinem Aggressionsproblem“. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Seit seiner Festnahme sitzt er in U-Haft, knapp ein Jahr, bevor er seine Ausbildung zum Bürokaufmann beendet hätte.
Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.