Bochum-Gerthe. Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger diskutiert mit Heinrich-von-Kleist-Schülern in Bochum über Judenhass. Sie haben viele Fragen.
Die Schüler der
Heinrich-von-Kleist-Schule (HVK)
haben es mitbekommen: Auf aktuellen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen werden auch wieder alte Narrative gegen Juden bedient. Sündenbock für die Pandemie, Verschwörungstheorien über Impfungen – was dort teilweise über Juden erzählt wird, entbehre jeder rationalen Grundlage. „Darauf fallt ihr doch nicht rein!“, sagte die Antisemitismusbeauftragte und ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Freitag (27.) zu Schülerinnen und Schülern der HVK
in Bochum.
Antisemitismus- Wie Bochums Juden auf Anfeindungen reagieren
Gemeinsam mit ihnen diskutierte die Politikerin
über Antisemitismus
– seine Hintergründe, seine Facetten und vor allem seine Bekämpfung. „Weil antisemitische Straftaten seit 2015 stetig angestiegen sind, hat die Landesregierung das Amt der Antisemitismusbeauftragten geschaffen“, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger den Schülerinnen und Schülern und berichtete von ihrem Ehrenamt: „Aktuell wirke ich daran mit, dass eine Antisemitismus-Meldestelle geschaffen wird“, sagte sie. Wichtig sei ihr vor allem, die Haltung für eine offene Gesellschaft zu vermitteln.
Früh über Themen sprechen, damit antisemitische Denkmuster sich nicht festsetzen
„Es soll nicht nur darum gehen, was potenziell strafbar ist, sondern um den Wert einer toleranten Gesellschaft, in der jeder seinen Glauben leben darf“, so die Ex-Ministerin.
Der Besuch bei Schülerinnen und Schülern
sei daher eine Art Prävention: „Je früher man über das Thema spricht, desto besser. So können sich antisemitische Denkmuster und Einstellungen gar nicht erst festsetzen.“ Dafür setzt sich die HVK auch als „Schule ohne Rassismus und Schule mit Courage“ ein.
„Ich weiß gar nicht so viel über das Judentum und habe auch nicht viele Berührungspunkte“, sagt Sebastian Gerhardt (17). Er wolle deshalb mehr lernen, um bei diskriminierenden Aussagen bessere Argumente zu haben. „Ich würde definitiv einschreiten, wenn ich so etwas mitbekomme“, meint Mitschüler Niklas Wehlan-Rohde (17). Er befürchte, dass durch die wachsende Gefahr von rechts auch der Antisemitismus wieder größer werde.
Zahl der antisemitischen Straftaten: Überraschende Zahlen
„Antisemiten greifen Ängste und Sorgen in der Bevölkerung auf und verdrehen Tatsachen über Juden völlig“, hat er beobachtet. Dass beispielsweise nur knapp 95.000 Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland leben, überraschte viele Schüler.
Die Zahl von etwa 2000 antisemitischen Straftaten,
die im vergangenen Jahr deutschlandweit laut Kriminalstatistik verübt wurden, erschien ihnen im Verhältnis zum geringen Bevölkerungsanteil plötzlich viel größer als zuvor.
„Besorgniserregend ist vor allem, dass sie in den letzten Jahren gestiegen sind. Auf NRW als bevölkerungsreichstes Bundesland sind 2019 über 300 Taten entfallen“, berichtete die Antisemitismusbeauftragte. Die Schüler waren sich deshalb sicher: Wer Juden persönlich kennt, der hat beim Thema Antisemitismus ein Gesicht vor Augen und fällt nicht so schnell auf Verschwörungstheorien herein.
Israel-Fahrt für AG der HVK Bochum geplant
Von Leutheusser-Schnarrenberger wollten sie viel wissen: „Wieso leugnen Menschen den Holocaust?“, so Nora Wolters, „Was tut das Land gegen Antisemitismus?“, interessiert sich Felix Leniger und: „Ab wann spricht man von Antisemitismus“, fragt Florian Bessel. Leutheusser-Schnarrenberger antwortete: „Judenhass richtet sich gegen Personen und Sachen. Vor wenigen Tagen sind beispielsweise Steine auf eine Synagoge geworfen worden.“ Das sei genauso Antisemitismus wie Beleidigungen aufgrund der Religion.
Auch von Bildungsprojekten wie einer Lesereihe, der Verfolgung von antisemitischen Straftaten im Netz und von Studien zum Dunkelfeld Antisemitismus konnte Leutheusser-Schnarrenberger berichten. Für viele Schüler steigerte die Diskussionsveranstaltung die Vorfreude auf eine kommende Israelfahrt der schuleigenen Israel-AG. In diesem Jahr musste sie coronabedingt ausfallen. Wenn es das Infektionsgeschehen zulässt, soll sie im kommenden Frühjahr nachgeholt werden. Vor Ort wollen die Schüler dann noch offenen Fragen nachgehen: Wie leben Juden in Israel im Vergleich zu Deutschland? Welche Rolle spielt die Politik gegenüber Palästina?
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