Bochum. Fünf Interviews zur Kommunalwahl präsentiert der WAZ-Leserbeirat in dieser Woche. Zum Thema „Soziales“ sprechen Ralf D. Lange (Die Linke) und Erika Stahl (CDU) mit Jürgen Drebes und Anke Niegel-Deichen.
Was halten Sie für die wichtigste soziale Aufgabe der Kommunalpolitik in Bochum in den nächsten Jahren?
Erika Stahl (CDU): Die sozialste Politik ist Arbeitsplätze schaffen.
Ralf-D. Lange (Die Linke): Das Wichtigste ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinander geht. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Das muss man auch kommunal abfedern, zum Beispiel in dem man darauf achtet, dass Stadtteile nicht abgehängt werden. Schon jetzt gibt es Stadtteile, in denen 20 Prozent der Bürger und 40 Prozent der Kinder von Hartz IV leben. Da muss besonders intensiv Sozialarbeit betrieben werden.
Sie sprechen Hartz IV an. Wie lässt sich darauf vor Ort Einfluss nehmen?
Lange: Die Stadt sitzt in der Trägergemeinschaft für das Jobcenter. Und da lässt sich Einfluss nehmen darauf, dass Kosten für die Unterkunft weiter gezahlt und Menschen nicht gezwungen werden, Wohnungen zu wechseln oder in Stadtteile zu ziehen, wo die Wohnungen gammelig, aber bezahlbar sind. Außerdem gibt es über die Trägergemeinschaft die Chance, Arbeitsplätze zu schaffen – und zwar tariflich bezahlte Arbeitsplätze und nicht 1-Euro-Jobs oder untertariflich bezahlte Arbeit.
Stahl: Dass wäre für mich ein Laborieren an den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit. Damit wird nicht die Ursache beseitigt. Wir müssen Arbeitsplätze schaffen, um erst gar nicht diese von ihnen beschriebenen Probleme zu haben. Die boomende Gesundheitswirtschaft hilft uns dabei. Aber wir dürfen uns nichts vor machen: Nicht alle Opel-Beschäftigten können in diesem Bereich arbeiten. Es muss auch noch Produktionsarbeitsplätze geben. Was die Trägerversammlung des Jobcenters betrifft. Als Mitglied der erweiterten Trägerversammlung weiß ich, wie groß der kommunale Einfluss ist. Er ist deutlich geringer als in der Zeit vor Einführung der Jobcenter.
Welche Konzepte haben sie, um Armut zu bekämpfen?
Lange: 17 Prozent aller Bochumer leben in Armut oder sind armutsgefährdet, nur fünf Prozent nutzen aber den Sozialpass. Wir möchten den Pass automatisch jedem Hartz-IV-Empfänger zustellen und außerdem sein Angebot noch erweitern. Wir fordern außerdem ein kostenloses Sozialticket für Leute, die wenig Geld haben. Die 30 Euro, die bislang dafür verlangt werden, kann sich kein Hartz-IVler leisten.
Stahl: Die Versorgung mit Sozialpässen ist erst der zweite Schritt. Viel wichtiger ist, dass bereits in Schulen und Kindergärten mit Bildung angefangen wird. Das halte ich für das wichtigste.
Welche Rolle spielt da das Ehrenamt?
Stahl: Ehrenamt darf nicht auf den Bereich Sozial reduziert werden, das gibt es ja in vielen Bereichen. Aber natürlich wird ehrenamtliche Arbeit sehr stark im Bereich Soziales geleistet. Viele Aufgaben wären städtisch oder staatlich auch gar nicht zu bewältigen. Was ich bedauere ist, dass das Freiwilligencenter wieder eingeschlafen ist, nachdem sich Mitfinanziers zurückgezogen haben.
Lange: Es ist nicht akzeptabel, dass Leute, die finanziell benachteiligt sind, auf Dauer auf Mildtätigkeit angewiesen sind. Wir wehren uns gegen die Vertafelung der Gesellschaft oder dagegen dass Kinder, die eingeschult werden, Anträge stellen müssen, um Leistungen zu bekommen, die Bestandteil ihrer Menschenwürde sind. Finanzieren ließe sich dies, wenn man weniger Leuchtturmprojekte anginge und mehr Geld ausgibt für ärmere Leute, und durch eine Umverteilung von oben nach unten. Im übrigen sollten ehrenamtliche Aufgaben irgendwann professionalisiert werden. Es führt sonst zur Überforderung des Ehrenamts und ist auch eine Missachtung der Leistung. Arbeit, die gesellschaftlich notwendig ist, muss auch ordentlich bezahlt werden.
Ein städtische Pflegeheim für die Älteren
Lassen Sie uns zur Krisenhilfe kommen. Die hat ihre Räume am Westring gegenüber dem künftigen Musikzentrum. Wird sie dort bleiben?
Lange: Die Krisenhilfe leistet ganz wichtige Arbeit und es ist gut, dass es sie als Anker und Anlaufstelle gibt. Wir sind dafür, dass das Angebot weiter ausgebaut wird und dass der Druckraum (Drogenkonsumraum; Anm. der Redaktion), den es dort gibt, dort erhalten bleibt. Ich finde es wäre ein völlig falsches Signal zu sagen, da kommt jetzt so ein Leuchtturm wie das Musikzentrum hin und deshalb muss drumherum alles sauber sein und den Druckraum verlegen wir nach Stahlhausen.
Stahl: Wir haben uns, als der Raum eingerichtet wurde, ein bisschen schwer getan – wegen der Finanzierung. So weit ich weiß, läuft jetzt der Mietvertrag aus und deshalb wird über einen möglichen anderen Standort diskutiert. Ich hätte nichts dagegen wenn die gesamte Einrichtung in die Nähe des Gesundheitsamtes könnte. Das hätte seinen Sinn, ich weiß aber nicht, ob das räumlich möglich wäre. Auch das ist mitten in der Stadt. Ansonsten sind wir der Meinung, dass es ganz wichtig ist, dass es solche Orte gibt.
Wir werden älter, aber es gibt zu wenig geeigneten Wohnraum für Ältere. Wie wollen Sie da Abhilfe schaffen?
Lange: Wir brauchen mehr seniorengerechten Wohnraum: in Altenheimen, vor allem mit Einzelzimmern, aber auch seniorengerechte Wohnungen in allen Stadtteilen, damit die Menschen im Alter nicht ihre gewohnte Umgebung verlassen müssen. Wir unterstützen alles, was den Menschen ein selbstbestimmtes Leben in ihren eigenen Wänden ermöglicht. Das können Mehrgenerationenhäuser sein, mobile Pflegedienste, Nahversorgungsmöglichkeiten.
Stahl: Wir brauchen nicht mehr Plätze in Alten- und Pflegeheimen. Wir brauchen mehr barrierefreie Wohnungen. Und vor allem dürfen sie nicht auf der grünen Wiese stehen.
Muss eine Stadt ein Pflegeheim unterhalten, kann sie das überhaupt kostendeckend tun, oder ist das eine Aufgabe, die allein private Anbieter erledigen sollten?
Stahl: Wenn sie auf die Einrichtung an der Grabelohstraße abheben, dann liegt das Minus, das dort gemacht wird, am miserablen Mietvertrag der dort vor 30 Jahren gemacht wurde und der – glaube ich – 2018 ausläuft. Aus dem kommt die Stadt nicht heraus. Das kostet Millionen. Das Ganze ist eigentlich ein Skandal. Aber gute Seniorenarbeit und wirtschaftliche Kriterien müssen sich nicht ausschließen. Es gibt viele gute, privat geführte Häuser. Würde die Stadt das alles betreiben wollen, wäre das nicht mehr bezahlbar.
Lange: Es mag gute private Einrichtungen geben. Aber jede Pflege in kommunaler Hand ist besser als in privater Trägerschaft, es gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge und sollte nicht Wirtschaftsinteressen unterliegen. Profitdenken sollte aus dem Gesundheitsbereich herausgehalten werden.
Die Stadt hat die Struktur ihrer Seniorenarbeit verändert und acht Seniorenbüros für 24 Stadtteile eingerichtet. Das widerspricht dem was wir uns im Alter wünschen; eine wohnortnahe Betreuung, oder?
Lange: Wir sind gegen die Schließung von Begegnungsstätten und gegen diese neue Struktur, die nicht nur für Senioren, sondern auch für andere Gruppen wie Jugendliche oder Migranten nicht gut ist. Wenn man dem Seniorenbeirat, für dessen Stärkung wir im übrigen sind, ein Vetorecht einräumen würde, wäre die Sache wahrscheinlich auch ganz anders ausgegangen.
Stahl: 2010 ist im Sozialausschuss entschieden worden, dass die Begegnungsstützpunkte geschlossen werden. Wir als CDU haben damals den Antrag gestellt, sie nicht zu schließen, sondern auf die großen Seniorenveranstaltungen zu verzichten und weiter die Stützpunkte zu unterhalten. Es ist anders passiert, die Seniorenbüros wurden eingerichtet. Ich halte das nach wie vor für eine falsche Entscheidung; ebenso dass erst Anfang des Jahres die Konzepte dafür erarbeitet und im Frühjahr die Verträge dafür unterschrieben wurden. Die alten Strukturen können wir zwar nicht mehr zurückholen. Aber mein Anliegen ist, dass man zumindest eine bessere Vernetzung der Träger hinbekommt. Dass man von Stiepel ins Uni-Center soll, ist doch ein einziger Krampf.
Das Interview führten die Leserbeiräte Jürgen Drebes und Anke Niegel-Deichen.