Bochum..

Die Lage scheint unter Kontrolle, jedenfalls auf den ersten Blick: Alte Menschen sind in aller Regel nicht verwahrlost, ihr Schicksal bewegt die Öffentlichkeit und es gibt Institutionen, die sich kümmern. Zur Zeit leben in den 33 Bochumer Alten- und Pflegeheimen knapp 3800 ganz unterschiedlich pflegebedürftige alte Menschen.

Von diesen Bewohnern leiden schon heute rund 60 Prozent an Demenzerkrankungen; Tendenz steigend. Die Aufenthaltsdauer hat in den letzten Jahren rapide abgenommen. Konkret bedeutet es, dass die Menschen im Durchschnitt wesentlich älter sind, bevor sie die eigene Wohnung aufgeben. Durchschnittlich ein halbes Jahr leben die Männer und Frauen im Heim.

Knapp 3800 pflegebedürftige Menschen leben derzeit in Bochumer Altenheimen. Foto: Ingo Otto
Knapp 3800 pflegebedürftige Menschen leben derzeit in Bochumer Altenheimen. Foto: Ingo Otto © Ingo Otto / WAZ FotoPool | Ingo Otto / WAZ FotoPool

Hinzu kommen 112 Wohnanlagen oder Wohnungen mit speziell für ältere Menschen zugeschnittene Wohnbedingungen. Sie bieten ebenfalls Platz für rund 3500 Menschen.

37 anerkannte Pflegedienste

Nur schwer bezifferbar ist, wie viele alte Menschen in ihren Familien ohne oder mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste betreut werden. Sicher ist nur, dass es in Bochum 37 anerkannte Pflegedienste gibt, bei denen rund 250 examinierte Pflegekräfte arbeiten.

Hinzu kommt folgende Tatsache: Wer sich mit Fachleuten der Alzheimergesellschaft in Bochum unterhält, erfährt, wie vor allem weibliche Angehörige mit großer Belastung sich um erkrankte Männer, Väter oder Schwiegerväter sorgen.

Dr. Heide Ott ist Leiterin des Sozialamtes: „Wir sind gerade dabei, den derzeit noch gültigen Altenhilfeplan auf den neuesten Stand zu bringen.“ Zahlen werden aktualisiert und Bedürfnisse neu gefasst.

Traditionelle Familienzusammenhänge

Was bislang in der Gesellschaft kaum bekannt ist: Noch betreuen beinahe ausschließlich die Angehörigen die Migranten aus der ersten Gastarbeitergeneration (siehe Interview). Diese Männer und Frauen, die von den frühen 60er Jahren an nach Bochum kamen, leben meist in den traditionellen Familienzusammenhängen. Doch ist der Umbruch zu spüren. Je länger die Menschen mit Migrationshintergrund hier leben, desto mehr bekommen die alten Netze der familiären Hilfe gefährlich große Löcher. In Zukunft wird sich die Gesellschaft auch der Alten und Kranken dieser Gruppe annehmen müssen.

Die Soziologin Prof. Dr. Ursula Henke lehrt an der Ev. Fachhochschule und beschäftigt sich seit Jahren mit dem demografischen Wandel und seinen Folgen gerade für die älteren Menschen: „Es gibt heute eine Menge guter Ideen, allein es mangelt oft genug am Willen, diese umzusetzen.“ Der Anteil der Menschen über 65 Jahren wird in relativ kurzer Zeit auf über 30 Prozent klettern.

Runder Tisch "Gerontopsychatrie"

Schon heute leben in Bochum, einer Stadt mit 366 544 Einwohnern, 100 426 Menschen, die älter als 60 Jahre alt sind. Hiervon erhalten 2991 Grundsicherungsleistungen, vulgo Sozialhilfe. Hinzu kommen 2669 Männer und Frauen, deren Einkünfte nicht ausreichen, um die Kosten etwa für eine Heimunterbringung zu decken, sie erhalten das sogenannte ergänzende Pflegegeld (SGB XII Leistung).

Konkret arbeiten im Bochumer Norden bereits Fachleute in einem Runden Tisch „Gerontopsychiatrie“ zusammen. Da geht es schlicht darum, welche Wege zu gehen sind, wenn etwa ein Mensch von einer dementiellen Erkrankung betroffen ist.

Professionalisierung der Pflege zu Hause

Die Ausbildung der Berufe rund um die Pflege alter Menschen gilt es zu reformieren und auf die geänderten Bedürfnisse anzupassen. An Modellen arbeiten Fachleute wie etwa Ursula Henke intensiv mit. „Da ist etwa eine gestufte Ausbildung zu nennen, die etwa auch jungen Leuten mit einem Hauptschulabschluss den Einstieg ermöglicht.“ Das Spektrum reiche vom Alltagsbegleiter bis zum promovierten Pflegewissenschaftler. Da gehe es darum, dass vorherige praktische Ausbildungen bei einem etwaigen Studium anerkannt werden können.

Eine Finanzierung der Altenpflege für Menschen, die heute geboren werden und rechnerisch ein Lebenserwartung von etwa 100 Jahren haben, sei schlechterdings nicht mehr möglich. „Das ist für uns unbezahlbar“, ist sich Henke sicher. Einen möglichen Ausweg sieht sie in einer Professionalisierung der Pflege zu Hause. Schon jetzt sei die Familie der größte Pflegedienst der Nation. Es gehe darum, den alten Menschen solange wie eben möglich die häusliche Umgebung zu erhalten.

Keine Science-Fiction-Spinnerei

Helfen dabei, dies bezahlbar zu gestalten, könnten etwa Automaten, Roboter, wem es gefällt. Dies ist alles andere als Science-Fiction-Spinnerei. Denn die tun heute schon ihre Pflicht bei der Pflege in den eigenen vier Wänden, etwa wenn es um die Überwachung der Herzfrequenz geht, oder den Blutzuckerspiegel – Telemetrie nennt dies der Fachmann. Solche Werte können via Internet übertragen und von einer Klinik oder dem Hausarzt kontrolliert werden.

Zudem gibt es bereits futuristische Prototypen, die Wäsche transportieren oder Getränke servieren können. Erst vor einigen Tagen diskutieren diese und andere Fragen die Fachleute beim 4. Bochumer Altenpflegetag in der Evangelischen Stadtakademie. Dabei standen die ethischen Grenzen des Einsatzes von Maschinen in der Pflege auf der Agenda.

Stimmung kippte ins Positive

Bei aller Skepsis steht für Reinhard Quellmann, Geschäftsführer der Altenhilfe bei der Diakonie Ruhr, fest: „Die Geschichte lehrt uns, dass man Technik nicht aufhalten kann.“ Es gelte, dieses Thema im Interesse einer menschenwürdigen Altenpflege differenziert zu diskutieren. Als Beispiel nennt er etwa Badewannen, die mittels einer Ultraschalltechnik den Körper säubern oder Duschen, bei denen Waschen und Trocknen sozusagen vollautomatisch funktioniert.

Neulich plauderte Reinhard Quellmann in einer Runde mit älteren Damen und Herren auch über solche Hilfsmittel und stieß überwiegend auf Skepsis. Aber: „Die Stimmung kippte jedoch ins Positive, als ich erzählte, dass mit solcher, bald bezahlbarer Technik der Verbleib in den eigenen vier Wänden gesichert werden könnte.“