Bochum.. An jedem Abend suchen zahlreiche junge Menschen zwischen 14 und 21 Jahren in Bochum Zuflucht in der Notschlafstelle „Schlaf am Zug“ an der Castroper Straße. Sie haben kein eigenes Bett mehr und große Probleme. Die WAZ hat mit zwei von ihnen gesprochen.

Neun Betten bietet die Notschlafstelle.
Neun Betten bietet die Notschlafstelle. © Ingo Otto / WAZ FotoPool | Ingo Otto / WAZ FotoPool


Wenn es dunkel wird, suchen täglich mehrere junge Männer und Frauen in einem kleinen Gebäude an der Castroper Straße Zuflucht vor Kälte, Dreck und Einsamkeit. Sie gehen zur Notschlafstelle „Schlaf am Zug“. Neun Betten stehen dort für junge Leute ohne Obdach zwischen 14 und 21 Jahren bereit. Außerdem gibt es abends kostenlos ein warmes Essen und morgens ein Frühstück. Sich reinigen und Wäsche wechseln kann man dort auch. Um 20 Uhr öffnet die Tür. Minderjährige haben Vorrang. Ansonsten wird ausgelost. Fast jede Nacht sind alle Zimmer belegt.




Wer dort hingehen muss, bei dem ist etwas total schiefgelaufen. Wie bei Andreas (20, Name geändert), der aus ganz normalen Verhältnissen stammt. Vor vier Monaten kam er das erste Mal. „Ich hatte vor zwei Jahren zu kiffen angefangen“, erzählt er der WAZ. „Das hatte sich gesteigert.“ Es machte Schulden, wurde antriebslos, brach seine Mechaniker-Lehre im dritten Lehrjahr ab und bestahl seine Eltern, bei denen er wohnte. „Mein Geld ging nur für Dope drauf.“ Zweimal sei er zu Hause rausgeflogen. „Mein Vater war sehr konservativ. Er kannte solche Probleme nicht und wusste nicht, wie er sie lösen sollte.“

„Tagsüber esse ich fast nichts“

Um 9 Uhr früh muss er wie alle anderen raus aus der Notschlafstelle. Raus auf die Straße und sich irgendwie bis zum Abend durchschlagen. „Tagsüber esse ich fast nichts.“ Ihm stehen 184 Euro Kindergeld zu. Er sagt, er müsse es sich am Elternhaus abholen, in Raten, an der Tür. Offenbar würde er gern wieder dort einziehen: „Das vertraute Heim. Dach über dem Kopf. Ich habe mein Zimmer, mein Revier, kann ausschlafen.“ Weihnachten stellt er sich so vor: „Man sitzt mit der Familie am Tisch und hat gutes Essen.“ Mittlerweile kiffe er nicht mehr. Und Vorwürfe mache er auch nur sich selber.

Normalerweise kochen die Mitarbeiter von „Schlaf am Zug“ selbst ein einfaches Essen. Heute lassen sie die Speisen kommen, weil Heiligabend ist: Hühnerbrust, Putenmandelschnitzel, Schweine-Medaillons, Salate, Desserts. Außerdem spielt jemand Gitarre. Der Aufenthaltsraum ist festlich geschmückt.

"Schlaf am Zug" in Bochum zählt mehr als 200 Besucher pro Jahr

Auch Kevin (19, Name geändert) nächtigt bei „Schlaf am Zug“. Er wirkt unbefangen, locker, mitunter heiter. Doch wie anders war sein bisheriger Lebensweg! Als Zwölfjähriger kam erstmals ins Heim. Grund: Mutter und Stiefvater, beide sehr dem Alkohol zugetan, hätten ihn geschlagen. Er wechselte in andere Einrichtungen, nahm Drogen und galt zeitweise als schwer erziehbar. Eine Zeit lang driftete er ins Kriminelle ab: Einbrüche, Körperverletzungen. „Ich bin in falsche Kreise gerutscht.“ Unlängst bekam er eine Anklage zugestellt. „Ich glaub, ich muss ins Gefängnis.“

Er sagt, er wolle keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern. Aber das stimmt wohl nur zur Hälfte. Wäre der Stiefvater weg, „ich würde da hinFLIEGEN. Egal, was ich für einen Stress mit Mama hatte, ich liebe sie. Sie hat mich unter Schmerzen neun Monate getragen.“

„Schlaf am Zug“ wird von der Diakonie Ruhr über das Kinder- und Jugendheim Overdyck betrieben. Leiterin ist die Sozialarbeiterin Janine Düding. Zu anderthalb festen Stellen kommen 16 studentische Aushilfskräfte.

Über 200 verschiedene Besucher schlafen dort pro Jahr. Einmal pro Woche gibt es eine offene Sprechstunde für allgemeine Themen, einmal im Monat gemeinsame Freizeitangebote.

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