Bochum. Mit einem Erdwall beginnen die Bodenarbeiten im früheren Opel-Werk. Kritiker der Sanierung haben auch nach einer Info-Veranstaltung Bedenken.
Das Werk ist dicht. Und ein Jahr nachdem Opel mit der Lackiererei selbst einen Teil seines Automobilwerks in Laer abgerissen hat, geht der Abbruch unter der Regie der Entwicklungsgesellschaft Bochum Perspektive 2022 mittlerweile in Windeseile voran. Ende des Jahres sollen im ersten Bauabschnitt, der südlichen Hälfte des Werks, alle Gebäude dem Erdboden gleich gemacht sein. Damit ist der Anfang vom Ende gemacht. Denn die Zeit drängt, nachdem ein Einspruch gegen die Vergabe der Abrissarbeiten das gesamte Projekt um etwa sechs Monate verzögert hat.
In diesen Tagen beginnen die ersten Erdarbeiten auf der ehemaligen Bahntrasse im Südosten des 70 Hektar großen Geländes. Dort wird der Beton- und Ziegelmantel der früheren Lackiererei, der gebrochen und noch an der Wittener Straße zu einem Bauschuttberg aufgetürmt ist, zu einem Erdwall aufgeschüttet. Das von Norden nach Süden abfallende Gelände muss um einige Meter angehoben werden und damit buchstäblich der Boden bereitet werden für das DHL-Megapaketzentrum, das an dieser Stelle errichtet werden soll.
„Das ist sauberer Bauschutt“, versichert Projektleiterin Swantje Semprich-Schrickel von der Bochum Perspektive. Analysiert und für gut befunden. Die Lackieranlage selbst sei von Opel demontiert und abtransportiert worden. Der belastete Anteil der Ummantelung lagere in einer Halle auf dem Gelände und werde später unter einer Dichtung im Boden eingebracht.
Zweifel wegen Schadstoffen
Anwohner des Werks und Mitglieder der Unweltgewerkschaft hatten sich in jüngster Zeit besorgt über den Umgang mit dem belasteten und möglicherweise für die Umwelt schädlichen Material auf dem Werksgelände geäußert. Etwa 100 Unterschriften wurden gesammelt und u.a. gefordert, das nach eingehenden Untersuchungen auf dem gesamten Areal erstellte Schadstoffkataster öffentlich zugänglich zu machen. „Die Leute sollen sich selbst ein Urteil darüber bilden können“, sagt Anatol Braungart, Sprecher der Umweltgewerkschaft Bochum.
Eine Abordnung der Kritiker konnte mittlerweile einen Blick in das mehr als 200 Seiten dicke Kataster werfen und sich außerdem mit Fachleuten der Bochum Perspektive sowie der Firma Wessling, einem der Projektsteuerer für die Altlastensanierung, austauschen. Von einer „sachlichen Information“ spricht Braungart. Aber Zweifel blieben – sowohl am Abfräsen von asbesthaltigem Estrich als auch an der Verlagerung von PAK-belastetem Erdreich auf dem Gelände. Braungart kündigt für Samstag, 29. Juli, von 16 bis 18 Uhr eine Informationsveranstaltung auf dem Lahari-Platz in Laer an.
Drei Aktenordner sind die Bibel der Sanierer
Seit April lässt die Entwicklungsgesellschaft Bochum Perspektive, die das Opel-Gelände für den symbolischen Preis von 1 Euro von dem Autobauer übernommen hat, abreißen. Wie geschieht das?
Für den ersten, 25 Hektar großen Bauabschnitt liegt ein Teilsanierungsplan vor, der mit der Unteren Bodenschutzbehörde abgesprochen ist. Er umfasst drei dicke Aktenordner, enthält die Verbindlichkeitserklärung der Stadt, die Beschreibung und Dokumentation der Altlastensituation, Maßnahmen zur Baureifmachung, das Materialmanagement, Anforderungen des Arbeitsschutzes sowie zahlreiche andere Auflagen wie Arbeits- und Anwohnerschutz. Die Bibel der Sanierer. „Der Sanierungsplan ist mit einer Baugenehmigung zu vergleichen“, sagt Projektleiterin Swantje Semprich-Schrickel von der Bochum Perspektive.
„Wir wissen gar nicht genau, welche Schadstoffe auf dem Gelände sind und wie wir uns davor schützen können“, kritisieren Anwohner und die Umweltgewerkschaft. Wie verschmutzt ist der Boden und wie belastet sind die Gebäude?
Auskunft über die Hallen gibt das Gebäudeschadstoffkataster – ein gut 200 Seiten starker Katalog, der Schadstoffe benennt, ihre Lage kennzeichnet und der Dokumentationen wie Fotos, Begehungsprotokolle und Laborergebnisse enthält. Erstellt wurde er von der URS Deutschland GmbH, die 2013 von Opel mit einer Bestandsaufnahme beauftragt worden war. Vervollständigt hat sie die Wessling GmbH, die gemeinsam mit CDM Smith die Sanierung plant und koordiniert.
Welche Schadstoffe gibt es auf dem Gelände?
„In erster Linie haben wir Asbest, ein bisschen PCB, dann vor allem den Bereich der künstlichen Mineralfaser und der polyzyklischen aromatischen Wasserstoffe, also teerstämmige Verbindungen, gefunden“, sagt Christian Ostermann von der Firma Wessling. Allein 3000 Tonnen Asbest, so die Schätzung, müssen entsorgt werden. Außerdem 500 bis 600 Tonnen Mineralwolle, 7800 Tonnen Dachpappe und 1300 Tonnen Bahnschwellen. Abgerissen werde erst, nachdem die Schadstoffe entfernt wurden – und zwar mit von der Aufsichtsbehörde genehmigten Verfahren. „Alle Schadstoffe werden auf Deponien gebracht“, so Perspektive-Geschäftsführer Prof. Rolf Heyer.
Wie wird gewährleistet, dass gefährliche Stoffe nicht über die Luft weiter getragen werden?
„Indem wir getestete und genehmigte Verfahren anwenden, die immer wieder von der Bezirksregierung und vom Arbeitsschutz kontrolliert werden“, so Swantje Semprich-Schrickel. Fensterbänke, die fest gebundenes Asbest enthalten, werden komplett herausgenommen und setzen so keinen Schadstoff frei. „Astbestprodukte, die schwach gebunden sind, wie etwa Brandschutzplatten, werden unter Unterdruckhaltung ausgebaut“, so Christian Ostermann. Arbeiter, die in diesem Bereich arbeiten, tragen Schutzmasken und Schutzanzüge, betreten und verlassen den eingehausten Bereich durch eine Schleuse, „so dass keine Materialien, die kontaminiert sind, aus dem Bereich herausgetragen werden. Die Luft wird gefiltert.“ Erst wenn Messungen ergeben, dass im betreffenden Bereich die Grenzwerte unterschritten sind, wird der eingehauste Bereich verschoben.
Was passiert mit den belasteten Böden?
Böden mit Kleber und Flexplatten werden eingehaust und entfernt. Der asbesthaltige Estrich in den Hallen wird mit Straßenmaschinen abgefräst, zeitgleich wird gesaugt und das Ganze wird unter Wasser gehalten. „Die Bezirksregierung hat uns aufgegeben, dass wir beweisen müssen, dass dieses Verfahren keine Asbestfasern an die Luft abgibt. Diese Verfahren sind vor zwei Wochen bei einem Pilotsanierungstag durchgeführt worden. Die Ergebnisse waren in Ordnung und die Bezirksregierung hat dann dieses Verfahren freigegeben“, erklärt Christian Ostermann.
Wird deshalb auch draußen gewässert, wenn mit großem Gerät die Hallen niedergerissen werden?
Ostermann: „Das ist eine Bestäubung von Bauschutt und hat nichts mit dem zu tun, was wir im Asbestbereich machen. Bauschutt wird nur benetzt, damit er nicht staubt.“ Alle Schadstoffe seien vor dem Abbruch entfernt worden.
360 000 Tonnen Erde werden aus- und eingebaut
Ist der Boden auch belastet?
Ja. Das haben Untersuchungen ergeben, die alle 1000 Quadratmeter auf dem Areal durchgeführt wurden. Eine halbe Million Kubikmeter Material und 60 000 Kubikmeter Fundament werden ausgegraben und zum Teil an anderer Stelle wieder eingebaut, da das von Norden nach Süden um 18 Meter fallende Gelände neu modelliert werden muss. Etwa 200.000 Kubikmeter davon, rund 360.000 Tonnen, ist mit PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) verunreinigtes Abraummaterial aus dem Bergbau, das beim Bau des Opel-Werks zum Verfüllen verwendet wurde. Es wird ausgegraben und an anderer Stelle des Geländes wieder eingebaut. Darüber kommt eine Bentonitbahn als Dichtung sowie zwei Meter dickes, „sauberes Material“, wie es heißt. Die Bahnen enthalten Ton. Der habe die Eigenschaft zu quillen, wenn es feucht wird. So entstehe eine Abdichtung, die auch das Grundwasser schütze.
Besteht durch den Aus- und Einbau von Erde keine Gefahr für das Grundwasser?
„Wir rechnen damit, dass sich die Belastungen im Grundwasser erst einmal erhöhen werden, das ist eine normale Sache, und irgendwann stellt sich das wieder ein. Das zu dokumentieren, ist auch eine Forderung der Unteren Bodenschutzbehörde“, sagt Marlies Kempe, Boden-Spezialistin beim Ingenieurbüro Wessling. Das Verfahren, Erdreich aus- und an anderer Stelle wieder einzubauen, so heißt es, sei üblich. „Das haben wir in Gerthe-Süd, im Westpark oder auch am Westkreuz“, so Prof. Heyer. Und in den Gebäuden „ist nichts anderes drin als beim Abriss der Gebäude von IA oder IB an der Ruhr-Uni oder bei den alten Schulgebäuden. Die Erich-Kästner-Schule, die gerade abgerissen wird, hat dasselbe Schadstoffspektrum, dieselben Vorsichtsmaßnahmen“. Mark 51/7 sei nicht anders als jede andere industrielle Baustelle. Nur größer.
Sind Kampfmittel ein Problem?
Nur in Teilbereichen, heißt es. Eine aktuelle Luftbildauswertung von 2014 zeige vornehmlich im südlichen Bereich, bei der Bahntrasse, gelegentliche und mittlere Bombardierungen. „Wenn dort mit schwerem Gerät gearbeitet werden soll, dann muss sichergestellt sein, dass es genügend Abstand zu den Bomben gibt“, so Swantje Semprich-Schrickel.
Wie teuer sind Sanierung und Baureifmachung?
Ein zweistelliger Millionenbetrag ist für den ersten Bauabschnitt nötig. Dem Vernehmen nach sind es etwa 15 Millionen Euro.