Bochum.. Zwei Gymnasiastinnen berichten von ihrem Alltag. Der Leistungsdruck ist sehr hoch. Psychiater warnt: „Fehlanforderungen können zur Qual werden“. Psychosomatische Beschwerden seien bei Kindern verstärkt zu beobachten, berichtet er aus der Praxis. Auffällig sei, dass über 20 Prozent aller Schüler mehr als einen Tag im Monat in der Schule fehlten, führte er weiter aus.

Wer was werden will, muss sich sputen. Das haben Gina Herrmann (14) und Vanessa Dobruk (16) ziemlich klar vor Augen. „Gute Jobs ohne ein Studium zu bekommen, ist nicht mehr so einfach“, sagt Gina. Sie besucht die achte Klasse der Schiller-Schule, Vanessa die neunte Klasse der Theodor-Körner-Schule. Beide streben das Abitur im G8-Modell an. Ihr Wochenpensum: 35 Schulstunden, ein- bis zweimal die Woche Mathenachhilfe im Studienkreis und sechs Stunden Lernen vor Klassenarbeiten. Das sind rund 45 Schulstunden.

Bessere Noten ohne Druck?

Gerne würden Gina und Vanessa noch ein Jahr länger zur Schule gehen. „Der Druck wäre nicht so intensiv. Viele Schüler könnten dann sicher eine Note besser stehen“, schätzt Gina. „Im laufenden Schuljahr werden sogar die Themen des kommenden Jahres schon besprochen“, beschreibt Vanessa.

Dabei scheint der aktuelle Lernstoff die Schülerinnen mehr als genug zu beschäftigen. Stress empfinden die Mädchen vor allem in den Prüfungsphasen. „Die Arbeiten kommen immer alle auf einmal. Ich weiß manchmal gar nicht, mit was ich anfangen soll, zu lernen“, berichtet Gina. Der Stoff sei sehr verdichtet und die Themen, die aufeinander folgten, hätten oft nichts miteinander zu tun, bemängeln die Gymnasiastinnen. „Würde ich jetzt gefragt, was ich in der siebten Klasse durchgenommen habe, könnte ich keine Antwort darauf geben“, gesteht Gina. „Wichtiges wird nicht gemacht, Unwichtiges ans Licht gehoben“, so ihre These.

Basiswissen in Vergessenheit

Prozentrechnung und Bruchrechnung etwa würden schon behandelt, doch mittlerweile erledige das oft der Taschenrechner, weil sie jetzt Gleichungen auflösen müssten, schildern die Mädchen. Das Basiswissen gerate so in Vergessenheit. „Vieles was wir durchnehmen, brauche ich für mein Leben wohl nicht mehr, aber die gute Note“, so Gina. Die Berichte der Schülerinnen deuten darauf hin, dass Schule stressig ist und Wissen mitunter suboptimal vermittelt.

Anforderungen können zur Qual werden

Allerdings seien nicht alle Kinder mit den gleichen Begabungsschwerpunkten ausgestattet, betont Dr. Andreas Richterich, Chefarzt der Kinder - und Jugendpsychiatrie des St.-Josef-Hospitals in Bochum Linden. Während er in der Verkürzung der Abiturzeit kein generelles Problem sieht, weist Richterich darauf hin, dass nicht alle Kinder einem hohen Arbeitstempo folgen könnten.

„Fehlanforderungen können zur Qual werden“, gibt er zu bedenken. Im Extremfall entwickelten sich daraus psychische Störungen wie Depressionen, psychosomatische Beschwerden oder Essstörungen. Psychosomatische Beschwerden seien bei Kindern verstärkt zu beobachten, berichtet er aus der Praxis. Auffällig sei, dass über 20 Prozent aller Schüler mehr als einen Tag im Monat in der Schule fehlten, führte er weiter aus.

Ausgleich schaffen

Auch die Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt bestätigt schriftlich, dass vor allem die „Diskrepanz zwischen Leistungsfähigkeit und schulischen (bzw. elterlichen) Anforderungen“ zur enormen psychischen Belastung für Jugendliche werden kann. Die Beratungsstelle ist für Schüler bis zur 6. Klasse Ansprechpartner. In dieser Altersklasse habe sie allerdings keinen Anstieg des Leistungsdrucks beobachtet, teilte sie mit.

„Belastungen gehören zum Leben dazu“, sagt Psychiater Richterich und empfiehlt, angemessen auf Stress zu reagieren. Das heiße: Die Anforderungen an die Ressourcen des Kindes anpassen, Ausgleich zur Schule schaffen und Hilfen in Anspruch nehmen, was eine Erziehungsberatung sein könne oder, wie bei Gina und Vanessa, Nachhilfeunterricht in einzelnen Fächern.