Bochum. Schwitzen und staunen: 22 Leser erlebten am Dienstag hautnah, wie Stahl in Bochum erzeugt und verarbeitet wird. Die WAZ öffnete im Rahmen ihrer Sommerserie die Pforten ins ThyssenKrupp-Werk.
Es dampft. Es zischt. Es brodelt. Einem feuerspeienden Drachen gleich, öffnet der UHP-Hochleistungsofen seinen glühenden, metallenen Schlund. Flammen züngeln, Funken sprühen. Die sengende Hitze strahlt binnen Sekunden meterweit ab. Die WAZ-Gruppe hält sich in sicherer Entfernung die Ohren zu, als Schrottteile mit infernalischem Lärm im Feuermeer versinken. „So“, schreit ein Leser, „stelle ich mir die Hölle vor.“
Highway to Hell an der Essener Straße: Im Rahmen der Sommerserie „WAZ öffnet Pforten“ waren 22 Leserinnen und Leser am Dienstag zu Gast bei ThyssenKrupp Steel Europe. Exklusiv und hautnah konnten sie miterleben, wie Stahl in Bochum erzeugt und verarbeitet wird. „Einmalig!“, strahlten die Besucher nach über vier schweißtreibenden und anstrengenden, aber höchst informativen Stunden.
Zum Auftakt gibt es Physikunterricht
Der Auftakt hat etwas von Physikunterricht. Günter Hellen, altgedienter Metaller und als Werksführer ein wandelndes Lexikon, fächert im Verwaltungszentrum das elementare Wissen über die Stahlherstellung auf. Unter den WAZ-Lesern sind manche Experten, die mitwissend nicken.
Wer nur Bahnhof versteht, erkennt doch: Kein anderes Material ist so fest und zugleich flexibel wie Stahl. Bei ThyssenKrupp wird er millimetergenau auf die Bedürfnisse der Auftraggeber zugeschnitten. Die Autoindustrie gehört ebenso dazu wie Hersteller von Getränkedosen, Waschmaschinen oder Toren.
Der Anblick des Elektrolichtbogenofens ist spektakulär
Genug der Theorie. Mit Helm, Schutzbrille und Schutzmantel steigen die Leser in einen Bus, der sie ins nahe Stahlwerk bringt. Karl-Heinz Rehberg (70) ist besonders gespannt. 32 Jahre hat er als Reparaturschlosser im Bochumer Werk gearbeitet. Vor 18 Jahren nahm er Abschied. „Mal schauen, ob ich alte Kumpels wiedertreffe“, sagt Karl-Heinz Rehberg, der von Sandra Thias begleitet wird – und begrüßt später tatsächlich überschwänglich einen Ex-Kollegen.
Auf der Besucherbrücke im Stahlwerk wird der Kittel-Crew alsbald eingeheizt. Der Anblick des mächtigen Elektrolichtbogenofens, in dem der Stahl erschmolzen wird, ist höllisch spektakulär.
"Das hab ich bisher nur im Fernsehen gesehen"
Nur unwesentlich geringer sind die Temperaturen im Warmbandwerk. Auch hier bietet sich eine faszinierende Industriekulisse. „Das hab’ ich bisher nur im Fernsehen gesehen“, staunt eine Leserin, als glühend gelbe Brammen auf einer Art Fließband in 15 Metern Entfernung vorbeirollen. Maschinell werden sie zu Flachstählen mit Mini-Stärken ab 1,5 Millimetern geschnitten.
Präzisionsarbeit. „Gut möglich, dass einer der Stähle für einen VW Verwendung findet“, weist Günter Hellen auf die überdimensionalen Spulen (die so genannten Coils), auf die die Metallbänder aufgewickelt werden. Hunderte, teilweise noch heiße Rollen warten in den opulenten Lagerhallen auf ihren Abtransport. „Wir produzieren strikt nach Auftrag. Eine Vorratsfertigung gibt’s hier nicht“, betont Günter Hellen.
Vergleichsweise ruhig und kühl ist es im Kaltbandwerk
Vergleichsweise ruhig (und kühl) geht’s im Kaltbandwerk zu, in dem die Flachstähle geformt werden. In der Feuerbeschichtungsanlage wandern die Blicke nach oben. Den Hochbau kannten die Leser bislang nur von außen: als markante, silbern schimmernde Landmarke an der A 40 in Stahlhausen.
Auffällig: Auf dem Weg durchs Werk begegnet die Gruppe kaum Arbeitern. Die Produktion ist weitgehend automatisiert. Die meisten Beschäftigten (bei ThyssenKrupp sind es in Bochum über 2000) sind in von außen unsichtbaren Steueranlagen tätig. Wie berichtet, müssen 700 von ihnen demnächst Kurzarbeit fahren. Die 22 WAZ-Leser werden die Entwicklung fortan besonders aufmerksam verfolgen.