Bochum.. Carina Gödecke (SPD) sitzt am 1. Juni seit 20 Jahren als Abgeordnete für Bochum im Landtag NRW. Seit drei Jahren ist sie Landtagspräsidentin.
Carina Gödecke ist eine der gefragtesten Frauen im Land: Sechs, nicht selten sieben Tage in der Woche ist die 56-jährige Sozialdemokratin in ihrem Bochumer Wahlkreis und in ganz Nordrhein-Westfalen unterwegs; meist mit Dienstwagen und Fahrer, 60.000 Kilometer pro Jahr.
„Alle wollen immer nur die Nummer eins“, sagt Gödecke, „das aber hat mit mir als Person nichts zu tun, sondern nur mit dem Amt.“ Als Präsidentin des Landtages kann sie sich vor Einladungen kaum retten. Dabei verlangt schon der Job an der Spitze des Parlaments und vor Ort vollen Einsatz. Gödecke: „Es ist neben der schönsten bislang die anstrengendste Aufgabe, der ich mich gestellt habe. Es ist die Krönung meiner politischen Laufbahn.“
Machtkampf in der SPD Bochum
In Rüsselsheim und Potsdam stellte das Schicksal wichtige Weichen für diese Karriere. Die Entscheidung der Adam Opel AG, in Bochum ein Autowerk zu bauen, veranlasste die Familie, 1961 von Groß-Gerau (Hessen) nach Laer zu ziehen. Und der Wahlsieg der SPD in Brandenburg machte 1994 für die damalige SPD-Ratsfrau den Weg frei in den Landtag NRW: Oberstadtdirektor Burkhard Dreher wurde Wirtschaftsminister unter Manfred Stolpe und der Landtagsabgeordnete Ernst-Otto-Stüber in der Folge erster Hauptamtlicher Oberbürgermeister in Bochum.
Ein Machtkampf in der örtlichen SPD begleitete aber den politischen Aufstieg der gelernten Chemie- und Pädagogik-Lehrerin 1994. Die Delegierten des Wahlkreises für Nord und Ost hatten den heutigen SPD-Ratsherrn Wolfgang Bresslein nominiert, der Unterbezirk überstimmte diese und stellte Carina Gödecke auf. Nach einem klaren Erfolg im Wahlkreis am 14. Mai 1995 nahm sie am 1. Juni die Arbeit im Landtag auf. 20 Jahre ist das her.
Mit 16 in die Partei eingetreten
Gödeckes Start in Düsseldorf stand unter keinem guten Stern: Die SPD hatte die absolute Mehrheit verloren, Johannes Rau holte sich die Grünen ins Boot. Ein schmerzhafter Prozess, der in Bochum vier Jahre später anstehen sollte. Gödecke, die mit 16 in die SPD eingetreten war und sozialdemokratisches Gedankengut quasi mit der Muttermilch aufgesogen hatte – ihre Eltern saßen in den 1960er und 1970er Jahren im Rat der Stadt – lernte zu dieser Zeit vermutlich, was ihr auch beim Machtverlust 2005 als parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion zu Gute kam: Gespräche führen, Kompromisse suchen, Menschen mit unterschiedlichen Positionen zusammenzuführen.
„Es gab eine gewisse Orientierungslosigkeit in der Partei, ich hatte meine Sachen schon geordnet“, blickt Gödecke zurück. Fünf Jahre später rückte sie 2010 in der Minderheitsregierung unter Hannelore Kraft als Vize ins Präsidium auf.
Kraft nennt Gödecke "Botschafterin mit Herz"
Die Ministerpräsidentin aus Mülheim ist bis heute (natürlich) voll des Lobes für ihre Parteigenossin. „Als Präsidentin des Landtags hat Carina Gödecke sehr viele Verpflichtungen im ganzen Land und tritt stets als oberste Botschafterin Nordrhein-Westfalens auf. Doch für Bochum ist sie zusätzlich noch eine Botschafterin mit Herz, die ganz genau weiß, wo der Schuh drückt in ihrer Heimatstadt“, sagt Kraft.
Das Protokoll eines Landtag-Tages Ende April macht deutlich, was Abgeordnete mitunter leisten müssen. Kurz vor sieben steigt die Präsidentin in der Kolonie Vollmond in ihr „rollendes Büro“ – einem 7er BMW. 60 Minuten später checkt sie mit Mitarbeitern in ihrem echten Büro mit herrlichem Rheinblick den Tag, lässt sich erste Unterlagen geben, ordert weitere. Durchgeplant ist dieser bis 22.30 Uhr. „Es kann aber Mitternacht werden“, sagt Gödecke. „Plenartage sind extrem eng getaktet.“
Türkei Thema am frühen Morgen
Drei gibt es pro Monat. Der heutige beginnt um 8.30 Uhr mit einem Treffen der Parlamentariergruppe NRW-Türkei. Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) berichtet von einer Istanbul-Reise. Gerade einmal drei von 30 Abgeordneten lassen sich blicken und informieren sich über die Freiheit der Forschung in der Türkei. Weitere Themen sind Kooperationen von Hochschulen in beiden Ländern, die Sorge vor den Wahlen im Juni und wachsendem Einfluss der AKP von Präsident Recip Erdogan. 12.000 Studierende aus der Türkei sind an NRW-Hochschulen eingeschrieben.
„Es enttäuscht mich schon“, sagt Gödecke, als sie auf das Fernbleiben vieler Parlamentarier in dieser Arbeitsgruppe angesprochen wird. „Niemand muss Mitglied in der Gruppe sein, auch für mich ist das eine zusätzliche Aufgabe. Ich bin schließlich nicht zum Bespaßen der Abgeordneten da.“
Bochumer Lehrer zu Besuch
Der Tag ist noch jung, der dritte Termin steht an – nach Mitarbeiterbesprechung und Parlamentariergruppe eröffnet Gödecke als Präsidentin um 10 Uhr die 83. Sitzung des Landtags. Keine leichte Aufgabe heute. Sie beginnt mit Gedenkminuten für einen Abgeordneten, der sich das Leben nahm. Gödecke würdigt den CDU-Politiker. Es folgt eine aktuelle Stunde der Piraten zum Thema Wirtschaftsspionage. Das bereits leere Plenum wird noch leerer, ein CDU-Abgeordneter versucht das Thema Energiepolitik einzubinden.
„Ich hatte die Hand schon am Mikrofonknopf“, sagt Gödecke wenig später; die Leitung der Sitzung im Plenum hat sie an einen ihrer Stellvertreter abgegeben. Es ist kurz nach 11 Uhr und sie erläutert Besuchern aus ihrem Wahlkreis, die zuvor im Plenum waren, ihre Arbeit im Landtag. Die CDU sei verärgert gewesen, weil sie ihren Antrag, eine aktuelle Stunde zur Energiepolitik zuzulassen, abgelehnt habe. „Nicht, dass Sie denken, die dusselige Landtagspräsidentin erkennt das wichtige Thema Energiepolitik nicht. Es gibt aber Regeln, die eingehalten werden müssen.“ Der CDU-Antrag habe diesen nicht entsprochen.
Die Lehrer der Grundschule Laer berichten von ihren Alltagsproblemen. „Wir sind eine Schule mit 215 Kindern“, sagt Tim Striebe, der stellvertretende Schulleiter. „50 Prozent unserer Kinder haben Migrationshintergrund, Kinder aus den Kriegsgebieten sprechen kein Deutsch.“ Erfreut sei man in Laer, dass man nun den Status einer Seiteneinsteigerschule besitze und eine Willkommensklasse einrichten könne. „Es fehlt aber an Mitteln, wir sind auf den Förderverein angewiesen“, so Striebe.
Schlag auf Schlag durch den Nachmittag
Gödecke ist die Problematik vertraut. „NRW nimmt 21 Prozent aller Flüchtlinge auf. Ohne Hilfen vom Bund wird es nicht gehen.“ Spontan schlägt sie ein Treffen der Schul-Verantwortlichen im Bochumer Osten vor, um gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Schulausschusses und dem schulpolitischen Sprecher ihrer Partei nach Lösungen zu suchen. „Ich kann nicht direkt Einfluss nehmen, aber Termine organisieren. Und ich bleibe hartnäckig am Ball“, verspricht Gödecke.
Die Präsidentin muss ihre Besuchergruppe etwas eher als geplant verabschieden, SAT 1 möchte kurzfristig noch ein Interview mit Gödecke machen. Das muss vor der ersten Abstimmung im Plenum erfolgen. Vor der nächsten Sitzungsleitung um 14 Uhr steht zudem noch ein Treffen mit Abgeordneten an. Und ein Foto mit einer Besuchergruppe aus dem Sauerland. Schlag auf Schlag geht es weiter, nachmittags will schließlich auch noch das neue Landesjagdgesetz beschlossen werden. „Ein gutes Beispiel, dass man es nie allen Recht machen kann“, so Gödecke.
„EU-Beitritt der Türkei ist richtig“
Allen Recht machen, das ist Gödeckes Ding ohnehin nicht. Schon morgens in der Türkei-Runde wurde das deutlich. Gödecke kündigte an, bei einer Rede im Herbst in Düsseldorf zum türkischen Nationalfeiertag auch zum Thema Völkermord an den Armeniern etwas sagen zu wollen.
„Ich halte den EU-Beitritt der Türkei für richtig, aber unter bestimmten Bedingungen, und dazu gehört auch eine Vergangenheitsbewältigung seitens der Türkei.“ Öl ins Feuer gießen werde sie jedoch nicht und auch nicht die Türkei angreifen. Klar aber sei: „Ich bin nicht die Grüß-Gott-alles-ist-wunderbar-Tante.“